
„Freiheit lässt sich nicht fassen“
Der Freiheit gewidmet – das (fast vollständige) Zeitungsteam hinter der 44. Ausgabe von KulturBegegnungen, von links: Petra Kurbjuhn, Reinhold Schmid, Monika Heppt, Rebecca Köhl, Selina Benda, Monika Ziegler, Anja Gild und als Gastautorin Christiane Pelz. Foto: Florian Bachmeier
Kulturbegegnungen im Altwirtsaal
Wieder ist eine „Kulturbegegnung“ am Start – zu einem großen Thema: Freiheit. In 20 Beiträgen nähern sich Autorinnen und Autoren der KulturBegegnungen, dem Printmagazin von KulturVision, der „Freiheit“ – über Lebenswege, Meinungen, Porträts. Und wieder trafen sich fast alle Protagonisten aus dem Magazin zum Feiern der neuen Ausgabe im Warngauer Altwirtsaal.
Freiheit sichtbar machen
Es war 1963. Hubert Hohlbein schwamm tauchend unter der Wasseroberfläche des Jungfernsees, durch den sich damals die Grenze zog, von Ostdeutschland in den Westen. In die Freiheit. Dort angekommen, grub er einige Zeit später gemeinsam mit anderen Fluchthelfern einen Tunnel nach Ostberlin und verhalf vielen Menschen in den Westen. Seine Geschichte steht sinnbildlich für einen unbedingten Willen zur Freiheit. Während Hohlbein neben Monika Ziegler im Altwirtsaal steht und seine Geschichte erzählt, spürt man seine Betroffenheit. Bis heute. „Ich könnte stundenlang erzählen.“ Mit ihm und der Frage an ihn „Was ist Freiheit heute für Dich?“ beginnt das „Erscheinungsfest“ für die 44. Ausgabe des Magazins „KulturBegegnungen“. „Ich bin bis heute in die Fluchthilfe eingebunden. Ich helfe Menschen in die Freiheit.“ Monika Ziegler erläutert, dass sich das Redaktionsteam schwer getan hat, den Begriff „Freiheit“ zu fassen. Wie lässt sich Freiheit erklären? „Freiheit lässt sich nicht fassen“, sagt Monika Ziegler in der Begrüßungsrede. „Deshalb haben wir uns entschieden, Freiheit über das Erzählen von einzelnen Schicksalen und menschlichen Geschichten sichtbar zu machen.“

Manfred Zick alias Zither-Manä begleitet schon seit vielen Jahren die Veranstaltungen von KulturVision. Das Thema „Freiheit“ liegt ihm besonders am Herzen. Foto: Petra Kurbjuhn
Feierliches Networking
Das Zusammentreffen der Menschen, über die in dem Kulturmagazin geschrieben wurde, und der Autoren und Autorinnen ist mittlerweile eine Tradition. Das Team von KulturVision will damit nicht nur ein Zeichen setzen, dass wieder ein staunenswertes Kulturmagazin in die Öffentlichkeit kommt. Es geht auch und vor allem um Vernetzung. Menschen begegnen Menschen. Kulturbegegnung eben. Und daraus kann wieder neues entstehen.
Und was für Begegnungen! Da wäre zum Beispiel der Zither-Manä (Manfred Zick), einer, der sich und sein Leben als politischer Liedermacher und Musikkabarettist der Freiheit der Gedanken in Wort und Musik verschrieben hat. „Die Gedanken sind frei“ – mit diesem Lied von Hoffmann von Fallersleben aus dem Jahre 1843 stimmt er die rund 50 Anwesenden auf den Tenor des Abends ein. Für das Magazin hat er die Zither gegen den Griffel getauscht und eine Kolumne über seinen Begriff von Freiheit geschrieben. Das Editorial mit der Überschrift „Freiheit ohne Regeln“ stammt aus der Feder von Andreas Wolkenstein.

Anna Kaminski aus Holzkirchen ist Schauspielerin, Fitnesstrainerin und Kinderbuchautorin. Foto: Petra Kurbjuhn
Kinderbuch in Reimform
Dann kommt Anna Kaminski. Sie hat sich die Freiheit genommen, ein Kinderbuch in Reimform zu schreiben und einige Verse daraus vorzulesen. „Seejungfrau & Meerjungfrau verreisen“. Eine Geschichte, geschrieben an der Nordsee und inspiriert von ihren eigenen Kindern. Dass sie heute im Schauspiel und als Autorin erfolgreich ist, ist keine Selbstverständlichkeit: Als Kind hatte sie Legasthenie und sie stotterte. Ihr Beitragstitel lautet: „Aus Schwäche eine Stärke machen.“

Lilli Eisenberg hat just am „Erscheinungsfest“ ihre Klavier-Bachelor-Arbeit abgegeben. Sie widmet sich mit Inbrunst der Entwicklung eigener Musikprojekte. Foto: Petra Kurbjuhn
Jüdisch-deutsche Musik am Tag der Befreiung
Lilli Eisenberg ist eine von zwei jungen Pianistinnen, die in KulturBegegnungen porträtiert sind. Lilli setzte sich ans Klavier im Altwirtsaal und spielte ein Stück des israelischen Komponisten Avner Dorman. Die elegischen, melancholischen Melodien vereinen eigene Kompositionen mit einem Klavierstück von Johannes Brahms. Was hat das mit Freiheit zu tun? Die Holzkirchnerin, die aktuell in Wien ihr Masterstudium im Fach Klavier absolviert, hat das Stück von Dorman am 08. Mai anlässlich des Kriegsendes vor 80 Jahren in einem Gemeinschaftsprojekt mit der jüdischen Autorin Lena Gorelik gespielt. Also am Tag der Befreiung von Nazi-Deutschland.

Peter ist sechs Jahre alt. Und liebt den Kontrabass. Er ist hochtalentiert. Vor einem Jahr gewann der damals Fünfjährig den Regionalwettbewerb „Jugend musiziert“ mit voller Punktzahl. Foto: Petra Kurbjuhn
Ein Abend voller Musik
Überhaupt war der Abend von Musik durchzogen. Neben den bereits erwähnten Musikern trat der Pianist und Organist Peter Szeles mit seinem sechs Jahre alten Sohn Peter auf. Nicht Flöte, nicht Klavier, nein – Kontrabass (in Kindergröße) musste es sein. Als der kleine Peter ganz klein war (noch keine drei), entschied er sich für dieses Instrument „Weil es nicht so kratzig klingt“, erzählt sein Vater. Die Fertigkeit der Kinderfinger auf den Saiten und sein absolutes Gehör brachten alle zum Staunen.
Und dann war da noch eine Pianistin: Die Ukrainerin Olga Krupko, die gemeinsam mit ihrem Mann, dem Maler Viktor Tertychnyi, erst 2014 aus der Ost-Ukraine floh, um dann nach dem russischen Angriffskrieg 2022 nochmals zu fliehen. Jetzt ist ihr neues Zuhause Otterfing. Ein Leben, zu dem Flucht und Neubeginn zu gehören scheint. Um der Freiheit willen.

Der Schlierseer Dokumentarfotograf Florian Bachmeier erzählt in seinen Fotos das Leid der Ukrainer, die nicht die Wahl der Freiheit haben. Die in ihren zerstörten Häusern an der Front bleiben und ausharren. Foto: Petra Kurbjuhn
„Sie haben nicht die Freiheit, zu gehen“
Als Florian Bachmeier nach vorne geht und seine Fotografien zeigt, die Geschichten dazu erzählt, ist es sehr still im Altwirtsaal. Bachmeier ist Fotograf und „überall dort unterwegs, wo Frieden und Freiheit in weiter Ferne sind“, schreibt Selina Benda in ihrem Beitrag über den Schlierseer. Der preisgekrönte Dokumentarfotograf könnte viele Menschenporträts und Szenen zeigen, er hat schon Bücher herausgebracht und Einzelausstellungen bestritten. Aber an diesem Abend konzentriert er sich auf seine Fotografien aus der Ukraine. Sei 2013 lässt ihn das Schicksal dieses Landes und seiner Menschen nicht mehr los. Er zeigt den Anwesenden Fotos von Menschen an der Front, die nicht die Freiheit haben, ihr zerstörtes Zuhause zu verlassen. Weil sie schwer traumatisiert oder behindert sind. Weil sie nicht wissen, wohin sie gehen können oder weil sie noch Angehörige pflegen müssen. Die Fotos sind zutiefst berührend. Es sind stille Impressionen, die durch den Stillstand im Moment umso eindrücklicher wirken. Bachmeier erzählt zu seinen Bildern die Geschichten dahinter, distanziert, faktisch. Die Emotionen vermittelt er durch seinen Blick durch die Kamera. Beides entwickelt eine große Wucht.
Noch viele Begegnungen mehr
Es gab noch viel mehr Begegnungen an diesem Abend, der dem Thema „Freiheit“ gewidmet war. Da war der Augenoptiker Michael Werner, der sich die Freiheit nimmt, Kurator für Kunstausstellungen im Holzkirchner Atrium zu sein. Oder Rebecca Zimmermann, Gründerin des „Kulturatlas Bayern“, die mit ihrer Vernetzungsplattform Kulturschaffenden eine gute Basis für ihre Kunst erschaffen möchte (KulturVision ist Kulturbotschafter für den „Kulturatlas“!). Oder die Fotofreunde Tegernseer Tal, denen die „Fotografie die Freiheit gibt, Dinge zu sehen, die man sonst nicht sehen kann“ (Patrick Mautry). Oder der 11-jährige Leo Pelz, der stellvertretend für eine ganze Gruppe von gleichaltrigen über seine Erfahrungen vom Podcast-Machen erzählte. Ihre Lust ist es, Geschichten und Menschen aus dem Landkreis im Audio einzufangen und historischem, alltäglichen, staunenswerten Stoffen in verschiedenen Hörpfaden hörbares Leben einzuhauchen. Dies alles und noch viel mehr lässt sich in der neuen Ausgabe von KulturBegegnungen lesen.