71. Kunstausstellung Bayrischzell, Melanie Elmers, Malerei

Ein Gegenstück zum digitalen Wahnsinn

„Schwarzwaldmädel“ von Melanie Elmers in der 71. Kunstausstellung in Bayrischzell. Foto: CS

Vernissage in Bayrischzell

Bereits zum 71. Mal findet die große Kunstausstellung Bayrischzell statt. Im Saal des Katholischen Pfarrzentrums St. Margareth können Kunstliebhaber noch bis 5. September herausragende Werke zeitgenössischer regionaler und überregionaler Künstler sehen.

Gäste, Ehrengäste, Künstler und Kunstinteressierte – viele Besucher kamen trotz Hitze am 9. August zur Vernissage der 71. Kunstausstellung Bayrischzell. Denn diese hochkarätige Schau im Landkreis gehört zu den ältesten in der Region, die sich zeitgenössischer Kunst widmen. „250 Werke wurden bei uns eingereicht“, erzählt Organisator und Künstler Burkard Niesel über die populäre Schau. „89 davon wurden von einer unabhängigen Jury mit kritischem Auge ausgewählt.“ Die insgesamt 63 gezeigten Künstler stammen nicht nur aus der Region, sondern kommen auch von weiter her – vom Allgäu über Nürnberg bis Hamburg.

71. Kunstausstellung Bayrischzell, Burkhard Niesel
Burkard Niesel (Dritter von links) und sein Organisationsteam. Foto: CS

Die Jury besteht aus der Münchner Kunstwissenschaftlerin Martine Klein und den Münchner Kunsthistorikerinnen Isabel Sophie Oberländer und Romana Stehling. „Unsere Neutralität ist aufgrund der geografischen Entfernung zu Bayrischzell und dadurch, dass wir so gut wie niemanden kennen, gegeben“, erklären sie im Interview mit KulturVision.

Bei der Auswahl der Werke folgen sie festen Kriterien. „Wir suchen nach Arbeiten, die sowohl ästhetisch als auch intellektuell ansprechen und neue Fragen oder Perspektiven in die Diskussion einbringen.“ Auch die Mischung von Medien sowie Nachwuchstalenten und etablierten Kunstschaffenden sei wichtig. Die Schau besticht daher durch ihre Vielfältigkeit: Denn sie zeigt Malerei mit Öl, Acryl und Aquarell, Grafik, Video und Fotokunst sowie Plastiken aus Stein, Bronze, Holz und Ton, Collagen und Objektkunst.

Charlotte Fechner, Kathrin Hering und Tini Gogolin bei der 71. Kunstausstellung Bayrischzell

Gleich vor den Räumlichkeiten der Schau wohl das auffälligste Werk: die Arbeit „Mimesis“, eine Fotografie, die als Videodatei auf einem Bildschirm präsentiert wird. Sie zeigt ein in Helligkeit aufgelöstes Gesicht, das verschwimmt und verschwindet. Urheberin ist die Künstlerin Charlotte Fechner aus Schliersee, eine Medizinerin, die sich seit 2016 der Kunst widmet und 2023 ein Studium der Plastik an der Akademie der bildenden Künste in Kolbermoor begann.

71. Kunstausstellung Bayrischzell, Charlotte Fechner, Fotografie
Die Fotografie „Anima IV“ von Charlotte Fechner. Foto: CS

Sie beschäftigt sich mit dem Ich im Raum. „Selbsterfahrene Facetten einer weltverbindenden Wundhaftigkeit scheinen spürbar zu werden“, schreibt der Fotograf und Lehrer Martin Timm über ihr Schaffen. Das ist auch in ihrer Fotografie „Anima IV“ zu sehen, in deren Unschärfe sich ein nackter Frauenkörper erkennen lässt – bei genauem Hinsehen sieht man auch ein Gesicht zwischen den hellen Lichtfeldern.

71. Kunstausstellung Bayrischzell, Tutti Gogolin
Die Materialbilder „Korrosion“ von Tutti Gogolin. Foto: Name

Stark auch die Papierarbeiten der Miesbacherin Katrin Hering. Die studierte Mathematikerin stanzt, bohrt und schneidet komplexe, filigrane Muster ins Papier und schafft so unglaubliche Werke, die Präzision und Ordnung ausstrahlen. Ganz anders muten die Materialbilder von Tutti Gogolin an, die aus Abfallprodukten wie alten Blechdosen, die sie auf einer Holzplatte arrangiert, ausdrucksstarke Kunstwerke schafft. Die Bayrischzellerin organisierte mit ihrem Mann Klaus Gogolin 18 Jahre lang bis 2021 die Bayrischzeller Ausstellung.

Gegenständliche Malerei von Horst Hermenau, Christian Wahl und Melanie Elmers

Neben den vielen abstrakten und farbstarken Bildern in der Schau, wie etwa von der Warngauerin Tina Kappus oder der Kolbermoorerin Therese Prämbock, sind auch viele gegenständliche Gemälde zu sehen. So etwa das großformatige figürliche Werk „Empathie“ des Holzkirchner Künstlers Horst Hermenau und das Venedig-Bild des Dießeners Christian Wahl, das Menschen auf dem Markusplatz zeigt. Fesselnd auch das Werk „Schwarzwaldmädel“ von Melanie Elmers: Das blonde Mädchen mit den blauen Augen und dem Schwarzwaldhut fixiert den Betrachter mit ihrem durchdringenden Blick.

71. Kunstausstellung Bayrischzell, Hannes Kinau, Skulptur
In Vordergrund die Holzskulptur von Hannes Kinau. Foto: CS

Auch Skulpturen sind in der Schau zu sehen: von den großen abstrakten Holzskulpturen von Hannes Kinau, der aus Baumstämmen interessante Strukturen herausarbeitet, über die mythologische Drachenfigur aus Keramik von Angelika Paschmann bis hin zu den kleinen organisch geformten Bronzeplastiken der Brannenburgerin Christine Schauerte.

Eyetracking-Bild von Lukas Niedermeier und Funkenradl-Illustrationen

Das Schöne an der Schau: Auch der junge Künstler Lukas Niedermeier, der gerade im Tannerhof ausstellt, ist mit einer Arbeit vertreten. Mit einer Software hat er Eyetrackingdaten beim Blick aufs Sudelfeld gesammelt und diese Sehspuren mit Laser auf handgeschöpftes Japanpapier graviert. Eine Arbeit, die den Betrachter vielleicht verwirrt, da nichts Erkennbares zu sehen ist. Im Gespräch mit KulturVision sagte er, dass seine Werke eine Art Protesthaltung gegen die überwältigende Bilderflut seien, die uns alle erfasst.

71. Kunstausstellung Bayrischzell, Kunst, Malerei
Die Illustrationen für das Buchprojekt Funkenradel von Susan Laffon. Foto: CS

Gezeigt wurden auch die Bilder zu etwas ganz Besonderem: 20 Illustrationen für das Funkenradl-Kinderbuchprojekt von Susan Laffon, die im Rahmen des Deutsch-Französischen Kulturaustauschs in Bayrischzell zu Gast war. Es entstand auf Initiative des Vereins Bayrischzeller Kultursprung und wurde von Selina Benda koordiniert.

Die 71. Kunstausstellung Bayrischzell als Gegenstück zum digitalen Wahnsinn

Begeistert von den virtuosen Harfen- und Kontrabassklängen von Helena und Kilian Glockner, die die Vernissage musikalisch begleiteten, und von der Vielfalt der Schau zeigte sich der Bürgermeister von Bayrischzell, Georg Kittenrainer. Er eröffnete die Ausstellung mit einer launigen Rede und gab freimütig zu, dass es mit den Ansprachen nicht immer einfach sei. Vor einigen Monaten kam er das erste Mal mit Künstlicher Intelligenz in Berührung und ließ zum Spaß ChatGPT ein Grußwort für die Gemeindenachrichten verfassen: „Es war erschreckend gut und kann mit dem Politiker-BlaBla durchaus mithalten“, lautete sein amüsantes Fazit.

71. Kunstausstellung Bayrischzell, Bürgermeister Georg Kittenrainer
Der Bayrischzeller Bürgermeister Georg Kittenrainer Foto: CS

Diese Erfahrung stimmte ihn aber auch nachdenklich und warf die Frage auf, wo das alles hinführt. Deshalb sei es wichtig, dass wir uns nicht nur in digitalen Welten bewegten: „Die Kunstausstellung Bayrischzell ist ein herrliches Gegenstück zum digitalen, oberflächlichen Wahnsinn, der sich überall abspielt“, sagte er und beglückwünschte die Organisatoren zu dieser großartigen Schau.

Noch bis 5. September im Pfarrzentrum St. Margareth, Mühlleitenstr. 6, 83735 Bayrischzell. Öffnungszeiten: Mo – Sa 13 – 18 Uhr, So und am Feiertag 11 – 18 Uhr. Eintrittspreis: Tageskarte 4 Euro. Halber Eintrittspreis: Mitglieder Kultursprung e. V., Fahrgäste der Bayerischen Regiobahn BRB, Gäste mit Gästekarte der Alpenregion Tegernsee Schliersee. Eintritt frei: Kinder und Jugendliche bis 16 Jahre. Mehr Info unter www.kunstausstellungbayrischzell.de

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