Ein Mann mit den besten Verbindungen

Dr. Wolfgang Proske, Lisa Hilbich und Dr. Thomas Schlemmer (v.r.). Foto: MZ

Buchvorstellung in Miesbach

In Band 18 der Reihe „Täter Helfer Trittbrettfahrer – NS-Belastete aus Oberbayern“ hat Lisa Hilbich einen Beitrag über den Miesbacher Druckereibesitzer und SS-Mann Wilhelm Friedrich Mayr beigesteuert. Im Haindlkeller wurde das Buch vorgestellt.

Die Wahl des Ortes habe drei Gründe, sagte die Gründerin der Geschichtswerkstatt Miesbach. Er sei cool, man habe aus der Bürgerlichkeit herausgehen wollen, dahin, wo die nächste Generation zuhause ist und es sei auch eine Hommage an die Jugendlichen des Haindlkellers, die mit Mut und Engagement ein breites gesellschaftliches Bündnis gegen rechts gegründet haben.

Es gehe um das Thema Aufarbeitung und Nichtaufarbeitung der NS-Vergangenheit, erklärte Thomas Schlemmer vom Institut für Zeitgeschichte Berlin-München. Nachdem der Prozess der Aufarbeitung in den siebziger Jahren begonnen habe, sei er in den vergangenen Jahren revitalisiert worden.

Täter Helfer Triitbrettfahrer
Büchertisch im Haindlkeller. Foto: MZ

Es sei dem Verleger und Historiker Wolfgang Proske zu verdanken, der die Reihe „Täter Helfer Trittbrettfahrer“ ins Leben gerufen habe, dass auch in kleinen Orten wie Miesbach, das Thema gebündelt und publiziert werden konnte. Denn letztlich gehe es um die Frage: Wie geht die Gesellschaft mit der Vergangenheit um?

Täter Helfer Triitbrettfahrer
Dr. Wolfgang Proske mit den drei Bänden „Täter Helfer Trittbrettfahrer“ in Oberbayern. Foto: MZ

Oberbayern sei bei dem Thema NS-Vergangenheit ein Hotspot, eröffnete Wolfgang Proske seinen Vortrag. Er habe damit drei Bücher füllen können. Nach dem zweiten Weltkrieg seien zudem viele ehemalige Nazis nach Oberbayern gekommen. Die Entnazifizierung habe nicht gut funktioniert, sogenannte Persilscheine seien von den NS-Weggefährten gern ausgestellt worden.

Der Verleger betonte, dass die Beiträge in seinen Büchern keine Meinungen beinhalten, sondern saubere Recherchen aus Bundesarchiv, Staats- und Stadtarchiven. Anhand einer Skala ordnete er die verschiedenen Möglichkeiten der NS-Belastung von Duldung über Zustimmung zu Handeln auf Befehl bis hin zu selbständigem Handeln ein.

Täter Helfer Triitbrettfahrer
Die Skala der NS-Belastung. Foto: MZ

Er schätze, dass es in Deutschland etwa eine Million, vermutlich sogar bedeutend mehr NS- Belastete gegeben habe. „Die Gesellschaft war durchdrungen“, konstatierte er. An diesem Abend wolle man den Fall Wilhelm Friedrich Mayr einordnen.

„Ein Mann mit den besten Verbindungen“ nannte Lisa Hilbich gleich eingangs den Miesbacher Druckereibesitzer. Sie sei auf die Druckerei gestoßen, als anlässlich eines Jubiläums die Zeit zwischen 1925 und 1970 nicht dokumentiert wurde, anderseits aber von prosperierenden Geschäften zwischen 1933 und 1945 die Rede war.

Täter Helfer Triitbrettfahrer
Im Podium: Dr. Wolfgang Proske, Dr. Thomas Schlemmer und Lisa Hilbich (v.l.). Foto: MZ

Die Miesbacherin machte sich auf den Weg und recherchierte die Geschichte der Familie Mayr. Dabei kam auch die enge Verbindung zum Miesbacher Anzeiger zur Sprache, der ein offizielles NSDAP-Organ gewesen sei und in dem die antisemitischen Schriften von Ludwig Thoma gedruckt wurden.

Wilhelm Friedrich Mayr kam 1929 zur SS-Staffel und war gut mit Nazigrößen bekannt, mit Heinrich Himmler sogar befreundet. Ab 1933 war er beim Stab Reichsführer SS und 1940 sogar Obersturmführer der Waffen-SS.

Zeugungsverbot verhängt

Interessantes Detail seines Lebens: Seine Frau Sigrid war Vierteljüdin und Heinrich Himmler verhängte, als das bekannt wurde nachdem das Paar bereits drei Kinder hatte, 1939 ein Zeugungsverbot, sowie eine Anordnung, dass die drei Kinder keine SS-Angehörigen heiraten dürfen.

Mayr habe nach dem Krieg eine Täter-Opfer-Umkehr betrieben und aus der jüdischen Abstammung seiner Frau Repressalien ableiten wollen, sei damit aber gescheitert. Er war knapp drei Jahre in US-Gefangenschaft und wurde 1949 als Mitläufer eingestuft.

Für KZ Ravensbrück gedruckt

Nachweislich verdiente die damalige Druckerei Mayr, dessen alleiniger Inhaber Wilhelm Friedrich Mayr ab 1939 war, durch Druckaufträge der SS. Es wurden Formblätter, Formulare, auch für das KZ Ravensbrück gedruckt. Das Jahreseinkommen stieg von 280 000 Reichsmark im Jahr 1934 auf eine Million im Jahr 1944. Sein eigenes Einkommen betrug 1944 500 000 Reichsmark. Die Druckerei wurde 2007 verkauft.

In der lebhaften Diskussion ging es immer wieder um die Frage, die Peter Rosner so formulierte: „Es macht mich betroffen, wie ich aufgewachsen bin, warum haben wir nichts geahnt?“ Erst jetzt durch die Arbeit der Geschichtswerkstatt werde vieles aufgedeckt.

Bürgerschaft ist dran

Die Mischung aus Unwissenheit, Schweigen und Nichtwissenwollen sei das Gefährliche, konstatierte Thomas Schlemmer.

Ein Disput entbrannte an der Frage, wie ehemalige NS-Leute in die Gesellschaft, etwa Justiz und Medizin, eingebettet wurden. „Wie wollen Sie einen Staat mit einer Million ehemaligen Nazis aufbauen?“ fragte Wolfgang Proske. Es sei eine bemerkenswerte Leistung, wie das alte System beendet wurde, aber eben nicht vollständig. Es sei jetzt an der Zeit, diese Dinge in Miesbach offen zu besprechen. „Jetzt ist die Bürgerschaft dran.“

Jeder solle sich überlegen, was er tun kann, um einerseits die Täter zu benennen. Er habe dazu 471 Artikel von 247 Autorinnen und Autoren herausgegeben. Zum anderen aber müssten auch die Widerständler des NS-Systems benannt werden, forderte ein jugendlicher Gast.

Die heutige Druckerei Mayr wird von Ulrich und Christoph Herzog geführt. „Die Familie Mayr hat mit uns nichts zu tun“, betont Christoph Herzog, „wir distanzieren uns von dem Gedankengut des Wilhelm Friedrich Mayr“.

„Täter Helfer Trittbrettfahrer – NS-Belastete aus Oberbayern“, Herausgeber Dr. Wolfgang Proske, Kugelberg Verlag.

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