
Kunst als Retterin des Humanen
Nadiia Nechkina: Hells machine. Foto: Verlag Klingenberg
Buchtipp von KulturVision
Während wir den 1. Weihnachtsfeiertag in Frieden und in Sicherheit begehen können, müssen Menschen weltweit in Angst und Not leben, etwa in der Ukraine. Wie wichtig in dieser Zeit die Kunst als Quelle von Resilienz und als Retterin des Humanen ist, zeigt ein Buch von Olha Volynska, das soeben im Verlag Klingenberg erschienen ist.
„Art against Artillery – Ukrainische Künstler im Krieg“ nennt die Journalistin, Autorin und Dokumentarfilmerin ihr Buch, in dem sie Gespräche mit ukrainischen Künstlerinnen und Künstlern aus den Bereichen Literatur, Musik, Theater, Film, Malerei, Bildhauerei und Fotografie geführt hat.
Sie vermitteln der Leserin, dem Leser ein tieferes historisches Verständnis für das jahrhundertelange Ringen um ukrainische Identität – nicht zuletzt mit Blick auf die von Stalin ausgelöschte Avantgarde der „Hingerichteten Renaissance“, deren Schicksal sich heute auf tragische Weise wiederholt. Im Zuge des stalinistischen Terrors wurden in den zwanziger und dreißiger Jahren zahllose Intellektuelle und Künstler erschossen.
Zwischen Mut und Verzweiflung, Hoffnung und Schmerz geben die von Olha Volynska geschaffenen Porträts einen vielstimmigen Überblick über die lebendige ukrainische Kunst im Angesicht von Russlands Vernichtungskrieg. Zahlreiche Abbildungen, darunter die Präsentation von Kunstwerken in Farbe, vervollständigen den Band.

Autorin Olha Volynska. Foto: Vita Kykot
Im Vorwort des Buches heißt es: „Schnell war klar, dass die Kunst im Krieg nicht nur hilft, seelische Wunden zu heilen, sondern auch für künftige Generationen Beweise für die Verbrechen Russlands zu sammeln. Auch der Aggressor ist sich dessen bewusst. Daher zerstört Russland nicht nur Städte und unschuldige Menschen, sondern auch das, was uns erst eigentlich zu Menschen macht: Kunstwerke, Kulturdenkmäler, unsere Kreativität und Identität.“
Olha Volynska berichtet seit vielen Jahren für ukrainische und internationale Medien über Menschenrechtsverletzungen, Kriegsverbrechen und soziale Ungerechtigkeiten – insbesondere dort, wo öffentliche Aufmerksamkeit fehlt. Ihre journalistische Arbeit wurde mehrfach ausgezeichnet.
In dem Buch findet sich beispielsweise das Porträt von Theaterleiter Oleksandr Knyha über Aufführungen im Luftschutzkeller, zerstörte Bühnen und das Durchhalten im besetzten Cherson unter dem Titel „Weiterspielen unter Beschuss“.

Nadiia Nechkina: Grief. Foto: Verlag Klingenberg
Tetyana Pylypchuk vom Literaturmuseum Charkiv erzählt, wie Viktoria Amelina das vergrabene Tagebuch des ermordeten Kinderbuchautors Wolodymyr Wakulenko fand – und wie das Museum zum standhaften kulturellen Zentrum wurde: „Ein Literaturmuseum an der Frontlinie.“
„Die Philharmonie der Unbeugsamen“ nennt sich das Kapitel über Dirigent Vasyl Kryachok, der die Hölle von Mariupol überlebte und mit geflohenen Musikern sein Orchester wieder auferstehen ließ.

Nadiia Nechkina: Marik. Foto: Verlag Klingenberg
In einem zweiten Teil des Buches widmet sich die ukrainische Autorin dem Thema „Identität und Geschichte“, stellt einen Film gegen das Vergessen vor, erinnert an geraubte Türme und angeeignete Skythenschätze und fragt ob der Name der Nationalen Tschaikowski-Musikakademie noch gerechtfertigt ist.
Olha Volynska stellt neue künstlerische Formen vor, so den Künstler Anzon Lohow, der Kriegserfahrungen in Bilder als Brücke zwischen Gegenwart und Zukunft verwndelt.

Nadiia Nechkina: Weapons of mass destruction. Foto: Verlag Klingenberg
Der Komponist Roman Hryhoriv verwendet das Fragment einer russischen Rakete als Instrument und bringt es auf internationale Bühnen.
Die Gedichte verfolgter ukrainischer Dichter vertont Marian Pyrih und trägt sie mit seiner Band in den befreiten Regionen vor.
Eine Höllenmaschine und andere Skulpturen aus Keramik, die die Tragödie des Krieges widerspiegeln und unterdrückte Gefühle ins Bewusstsein bringen, fertigte die Bildhauerin Nadiia Nechkina.

Nadiia Nechkina: Freedom. Foto: Verlag Klingenberg
In ihrem letzten Kapitel beschreibt die Autorin Öffentlichkeit und Resonanz. So dokumentieren zwei Künstlerinnen Kriegsereignisse und persönliche Widerstandsgeschichten in der Online-Chronik der Unbeugsamkeit.
In einer weiteren Dokumentation wird der Künstler gedacht, die im Krieg ums Leben gekommen sind.

Olha Volynska: Art against Artillery. Foto: MZ
Der Buchmarkt boomt, berichtet eine Verlegerin und bezeichnet Bücher als kultureller Puls des Landes, so würden auch Buchhandlungen im Kriegsgebiet neu eröffnet. Sie sagt, Kunst bilde die Kraft, die helfe, den Krieg zu verarbeiten, die Wunden zu heilen und die ukrainische Identität zu bewahren.
Zum Weiterlesen: Aljoschas Kunst in Charkiv
