Stolpersteine Bad Tölz

Imkerliche Heimatgeschichte – Ein kleiner Sieg der Menschlichkeit

Stolpersteine in der Marktstraße Bad Tölz. Foto: Manfred Kick

Erinnerungskultur in Hausham und Bad Tölz

Der Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus am 27. Januar ist in Deutschland seit 1996 ein bundesweiter, gesetzlich verankerter Gedenktag. 2005 wurde er von den Vereinten Nationen zum Internationalen Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust erklärt. Aus diesem Anlass bringen wir heute eine imkerliche Heimatgeschichte.

Bronzesteine in Bad Tölz erinnern an das Schicksal von Juden, die in dieser Stadt unter den Nationalsozialisten gelitten haben. Zu den jüdischen Bürgern, die aus Bad Tölz noch rechtzeitig vor den Nationalsozialisten fliehen konnten, gehörte der Kaufmann und Imker Josef Freundlich. Er war im oberbayerischen Bergwerksort Hausham bekannt und geachtet, besaß ein Wohn- und Geschäftshaus sowie sechzig Bienenvölker.

Auswanderung nach Palästina

Die Kaufmannsfamilie Freundlich war nachweislich seit 1880 in Bad Tölz ansässig. 1935 wurde es ihr vom damaligen Ersten Bürgermeister verwehrt, sich beim örtlichen Markt zu beteiligen. Dieser sei ausschließlich „arischen“ Marktleuten vorbehalten. Dadurch und insbesondere durch die Diskriminierung und Verfolgung der Juden durch die braunen Machthaber sah Josef Freundlich sich und seine Familie in Gefahr und plante deshalb seine Auswanderung nach Palästina. Im Juli 1936 verließ er mit Frau Jenny Bad Tölz.

Imkerliche Heimatgeschichte
Hinweis in der Zeitung „Der Israelit“ v. 26.9.1935

Aber was sollte mit den Bienen geschehen? Anständigerweise kaufte sie auf fairer Grundlage der junge Bergmann und Imker Florian Egger aus Hausham. Weitere Bienenvölker vermittelte Egger am „braunen“ Kreisimkermeister vorbei an ihm befreundete Imker. Von Josef Freundlich war es eine besondere Geste des Mitgefühls, dass Egger ein kostenloses Volk einem 11-jährigen Jungen in Miesbach überbringen sollte – dem heute 94-jährigen Alfred Emmerer. Dieser blieb sein Leben lang den Bienen treu, der ehemalige Ingenieur für Elektrotechnik und Maschinenbau hält heute immer noch rund fünfzehn Bienenvölker und berichtet öffentlich als Zeitzeuge von damals. Sein Vater war wegen seiner Tätigkeit als Stadtrat für die kommunistische Partei im KZ Dachau inhaftiert worden, und mit dem Bienenvolk wollte Josef Freundlich die Familie unterstützen, die nunmehr von der Näharbeit der Mutter leben musste.

Imkerliche Heimatgeschichte
In jedem Bienenkasten lebt ein Bienenvolk, es umfasst je nach Jahreszeit zwischen 10. und 40.000 Bienen. (c) Przykuta

Imkerliche Heimatgeschichte in Israel bekannt

Florian Egger galt durch den Kauf der Bienenvölker von einem Juden fortan als „politisch unzuverlässig“. Derartigen missliebigen Oppositionellen drohte bei den NS-Machthabern der Verlust der Arbeitsstelle oder auch die Einberufung zur Wehrmacht. Bergleute wurden aber von der Werksleitung der Grube Hausham zur NS-Zeit als „unabkömmlich“ zurückgehalten, das kam Egger zu Gute. Nach dem Krieg baute er seine Imkerei weiter aus und begründete eine kleine Imkerschreinerei. Er beschäftigte einen Schreiner und mehrere Hilfskräfte. In Israel erinnerte man sich an ihn, denn um 1960 erhielt er Aufträge für die Lieferung von Bienenkästen nach Israel. Die Tochter Florian Eggers, Luise Egger-Hehl, erinnert sich, dass viele Bienenkästen geliefert wurden. Geschäftsunterlagen seien aber keine mehr vorhanden. Leider konnte jetzt nicht mehr geklärt werden, ob die Aufträge direkt vom emigrierten Kaufmann Josef Freundlich oder vom israelischen Landwirtschaftsministerium kamen. Auf jeden Fall war die imkerliche Heimatgeschichte wohl in Israel bekannt.

Imkerliche Heimatgeschichte
Stolpersteine am Boden der Marktstraße Bad Tölz. Foto: Manfred Kick

Florian Egger wurde einer der Gründungsväter des Verbandes Bayrischer Bienenzüchter (VBB). Er und seine Freunde hatten es satt, sich imkerlich von früheren Nazis regieren zu lassen. Der VBB wurde 1957 in Miesbach gegründet. Man hatte damals auch beschlossen, verdiente Mitglieder mit der Armbruster-Medaille auszuzeichnen, nicht zuletzt auch deshalb, weil man den Bienenkundler Prof. Ludwig Armbruster ehren wollte, welcher von den Nationalsozialisten 1934 zwangsweise in den Ruhestand versetzt worden war. Weil es in der NS-Zeit Menschen gab, die sich nicht weggeduckt, sondern geholfen haben, kann man in der Heimatgeschichte der beiden Imker Josef Freundlich und Florian Egger von einem kleinen Sieg der Menschlichkeit sprechen.

Lesetipp: Hochgradig aktuelles Buch

Dieser Beitrag erschien erstmalig in der israelischen Zeitung Hagalil.

Sandbank
Die Familie Sandbank hat Deutschand nicht verlassen oder konnte es nicht mehr verlassen und kam in den verschiedenen KZs ums Leben. Foto: Manfred Kick

Nachtrag: Folgender Text wurde in einer Imkerei-Fachzeitschrift abgedruckt: „Anmerkungen zum Kaufmann Josef Freundlich. F. war im oberbayrischen Bergwerksort Hausham bekannt und geachtet. Im damals üblichen Hausiererhandel verkaufte er Haushaltsgeräte wie Singer-Nähmaschinen, Honig und Herrenbekleidung (sogenannte Freundlich-Joppen). Diese stammten offensichtlich aus dem Kaufhaus für Gebirgstrachten des jüdischen Schneiders Samuel Sandbank aus Bad Tölz (Quellen Lukas Magritsch, Fred Schamberger). Diese leichten Sommerjacken wurden gerne getragen und auch der „Vorzeigebayer“ und Schriftsteller Oskar Maria Graf trug eine derartige sogar noch in seinem New Yorker Exil zur Lederhose (Lichtbilder).“

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