All I never wanted - im Karusell der Modeindustrie gefangen

Zwischen Wirklichkeit und Fiktion

„All I never wanted“ – Nina ist im Karusell der Modeindustrie gefangen. Foto: Mateusz Smolka

Film in Holzkirchen

Einen Dokumentarfilm von einem Spielfilm zu unterscheiden, sollte doch eigentlich kein Problem sein. Nicht bei „All I never wanted“. Das FoolsKINO fordert die Zuschauer mit einem Film heraus, der immer wieder dem Publikum die Entscheidung überlässt: Fiktion oder Wirklichkeit?

Eine exklusive Filmvorführung bot das FoolsKINO am Montagabend um 18 Uhr in Holzkirchen. Sturmtief Sabine bescherte besonders gemütliches Kinowetter. Auf dem Programm stand der Film „All I never wanted“ mit angekündigtem Besuch des Filmteams. Vor Ort war Schauspieler Jochen Strodthoff. Er selbst spielte im Film einen egozentrischen und impulsiven Theaterregisseur. Nach einer kurzen Begrüßung öffnete sich der Vorhang und dem Zuschauer offenbarte sich ein ungewöhnlicher und äußerst kurzweiliger Genremix.

Vier Frauen, drei Geschichten

Die 17-jährigen Nina möchte Model werden. Sie überredet ihre Mutter, anstatt zur Schule nach Mailand gehen zu dürfen. Diese erlaubt es nur, weil Annika Blendl und Leonie Stade Nina (Lida Freudenreich) mit der Kamera begleiten und eine Doku über ihre Anfänge in Mailand drehen möchten.

Parallel erzählt der Film die Geschichte der 42-jährigen Schauspielerin Mareile Blendl. Nach zehn Jahren endet ihre Karriere als Vorabendkommissarin – sie wird durch eine Jüngere ersetzt. Auf Fernsehkrimiserie folgt Theater in einer Kleinstadt. Sie soll die 14-jährige Johanna aus Schillers „Jungfrau von Orleans“ spielen. Als dritten Erzählstrang zeigen sich die beiden Filmemacherinnen Annika Blendl und Leonie Stade selber – bei der Entstehung des Films.

Wirklichkeit und Fiktion Jochen Strodthoff
Schauspieler Jochen Strodthoff bei der Diskussion im FoolsKINO. Foto: Franziska Hampel

„Wir waren bei den Dialogen relativ frei“, erklärt Schauspieler Jochen Strodthoff in der anschließenden Diskussion, „vieles ist aus der Situation entstanden.“ Als Beispiele nannte der Schauspieler zwei markante Szenen, an die sich die Zuschauer offensichtlich gut erinnern konnten. „Da mit drei Kameras gedreht wurde, mussten wir fast nichts wiederholen“, erklärte Jochen Strodthoff. Er spielt im Film den Regisseur des Theaters, an das Mareile Blendl geschickt wurde.

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Mareile Blendl heißt auch im echten Leben so und spielt sich quasi selbst. Auch wenn ihr Name der Wirklichkeit entspricht und ihre Situation bestimmt nicht weit weg von der Realität des Schauspielerdaseins liegt, erkennt man besonders bei den überspitzten und komischen Situationen am Theater den fiktiven Part des Filmes. Das Team spielt, so Jochen Strodthoff, „mit den nach wie vor sehr patriarchalischen Strukturen am Theater. Es war uns ein Fest, die teils unangenehme Arbeitswelt am Theater darzustellen“.

Von München nach Mailand

Zeitgleich eignet sich Nina, das schüchterne Mädchen, in Mailand peu à peu die typisch arrogante Modelattitüde an und schafft es schließlich nach mehreren Anläufen zu einem „Job“. Mit ihr waren die Regisseurinnen tatsächlich in Mailand. Ausschnitte, in denen andere Models unkenntlich gemacht wurden, zeigen, dass man sich im dokumentarischen Teil des Filmes befindet. Doch auch hier ist nicht alles real. Die Agentin ist eine Schauspielerin, die Models aus der WG zwar echte Models, aber nicht die echten Mitbewohnerinnen. Ein Mix aus Wirklichkeit, nachgestellter Wirklichkeit und Fiktion.

Jochen Strodthoff "All I never wanted"
Regieanweisung: So wird geküsst – Jochen Strodthoff spielt einen Theaternarzissten in „All I never wanted“. Foto: Mateusz Smolka

Und dann sind da noch die beiden Filmemacherinnen selbst: Sie drehen sich in den Mühlen der Medienbranchen, hübschen sich für Events auf, um Sponsoren zu finden, werden angebaggert und sind gefangen in den Vorgaben der Geldgeber. Alles Fiktion, aber nah an der Wirklichkeit. Mit der Darstellung ihrer eigenen Rollen üben sie Kritik am Dokumentarfilm und zeigen die Schwachstellen scheinbar neutraler Erzählstile auf. In „All I never wanted“ verweben sie geschickt die drei Stränge miteinander, sie lassen Genres verwachsen und brechen mit allgemeinen „Filmregeln“. Was Wirklichkeit oder Fiktion ist, muss der Zuschauer oft selbst entscheiden. Womit das eigentliche Ziel vielleicht erreicht ist: Man fragt sich, was ist noch echt?

Fiktion und Wirklichkeit
Schauspielerin Mareile Blendl sucht einen Schönheitschirurgen auf. Foto: Mateusz Smolka

Mitten drin im Medienstrudel

Auch das Ende zeigt ein jeweils authentisches Finale der drei Geschichten: Mareile schafft nach allen Schwierigkeiten eine erfolgreiche Premiere. Es gibt Aussichten auf ein neues Casting, aber konkrete Angebote gibt es nicht. Nina lässt die Schule für den Laufsteg sausen und läuft zum ersten Mal auf der Fashion Week. Sie posiert cool und lässig – sie ist nicht mehr das schüchterne Mädchen vom Anfang, sondern mitten drin in der selbstdarstellerischen Modewelt. Annika und Leonie zeigen sich auf dem Roten Teppich des Münchner Filmfest. Es gibt Bussibussi, viel Schminke und Champagner. Mit ihrem Film schaffen sie nicht den Schritt aus dem System, sondern erst recht ins System – ein Dilemma.

Annika Blendl und Leonie Stade haben beide an der HFF in München Dokumentarfilm und Fernsehpublizistik studiert. „All I never wanted“ ist ihr Abschlussfilm geworden. Seit Anfang Dezember 2019 läuft der Film in ausgewählten Kinos, wie jetzt dem FoolsKINO. Die beiden fungierten bei ihrem Projekt als Regisseurinnen, Drehbuchautorinnen und Produzentinnen.

Am kommenden Sonntag, 16.2. um 11 Uhr läuft im Rahmen der Reihe „Anders wachsen“ im FoolsKINO Holzkirchen der Fim „Zeit für Utopien“. Im Anschluss gibt es eine Diskussion mit Petra Wähning, die im Film witwirkt.

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