Der kleine pinke Punkt

Papier-Künstlerin Katrin Hering und Modells mit Kleidung aus Papier-Ornamentik. Foto: AG

Papier-Kunstausstellung in Miesbach

Stanzeisen, Papierbohrer, Skalpell: Das sind die Werkzeuge, mit denen die Papier-Künstlerin Katrin Hering Muster und Rhythmen in Papier zaubert. Die Kunstausstellung „Übergänge“ zeigt, wie vieldimensional Papier sein kann. Und dann wäre da noch so ein kleiner frecher pinker Punkt.

2023 tauchte der erste pinke Punkt im Werk der Papierkünstlerin Katrin Hering auf. Woher er stammt? Das weiß sie selbst nicht so genau. Plötzlich war er da. Und brachte ordentlich Unordnung in die Ordnung der präzise geschnittenen, gestanzten und gelochten Muster auf Papier.


Ein pinker Punkt bringt Unordnung in die Ordnung des Lochstanzen-Musters. Foto: AG

Und genau das soll er auch. Katrin Hering erforscht und beleuchtet seit vielen Jahren die Möglichkeiten, Grenzen und Spielarten mit dem „Kunst“-Stoff „Papier“. Feinste Schnitte, winzigste Löcher, schuppenartige Ornamentik, spitze Zacken – vertieft, hervorgeholt, herauskrangend, übereinandergelegt. Die Papierkunst der Miesbacherin lässt sich nur schwer mit Worten beschreiben. „Katrin öffnet Papier. Und schafft so eine optische Welt aus Licht und Schatten.“ Micol Krause vom Tannerhof kennt Katrin Herings Werk sehr gut und führt in ihrer Laudatio bei der Vernissage in diese zauberhaft-filigrane Welt aus Papier. Umrahmt wurde die Eröffnungrede von einigen jungen Frauen und Männern, die Kleider mit Papier-Ornamenten vorführten.

Katrin Hering
Irma Fell (re.) und Sam Kerksiek in Papier-Ornamentik-Kleidungen. Foto: AG

Von einem Muster zum anderen – Übergänge


Winzige Zacken ragen dreidimensional aus dem Papier heraus. Foto: AG

Für die Ausstellung im ersten Stock im Waitzinger Keller sollten sich die Betrachter Zeit nehmen. Zeit, um die fein- und feinst-ziselierten Muster und Strukturen in den Papierwerken erst einmal grundsätzlich zu erfassen. Zeit, um das Spiel mit Licht und Schatten, mit Ordnung und Unordnung aus verschiedensten Blickwinkeln zu erfahren. Sind es „nur“ spitze Zacken, die sich aus der Dreidimensionalität des Papierwerks „Sperrig“ dem Betrachter entgegenrecken? Oder sehen sie nicht doch eher aus wie kleine spitze Bäume, wie ein Wald aus Spitzen? Und durch welche Schnitt- und Falttechnik entsteht eigentlich der Unterschied zwischen „Blech 1“ und „Blech 2“?


Modifizierte Schnitte und Faltungen ändern das Muster von „Blech 1“ (li.) und schaffen neue Übergänge in „Blech 2“. Foto: AG

Vom Wandel, Regeln und Regelbrüchen

Katrin Hering ist studierte Mathematikerin. Das merkt man der Präzision und Regelmäßigkeit der Muster an. Einerseits. Andererseits fasziniert die Künstlerin schon lange die Frage, wo und wie Regelbrüche zu neuen Formen führen. Wo vollzieht sich der Wandel eines Musters ganz genau? Und wodurch?

Für ihre Liebe zum Papier hat sich Katrin ab 2002 in die Obhut eines Buchbinders begeben und dort neben handwerklichem Können auch die künstlerischen Möglichkeiten der Papierbearbeitung und -gestaltung erlernt.

Sie zeigt mit ihrer Kunst, dass Übergänge zwischen den Mustern sich gegenseitig bedingen. Der Wandel der Muster in ein und derselben Schnittfigur zeigt beeindruckend, wie und wo sich Strukturen ergänzen, sich auflösen, neue Strukturen bilden.

Wie eine Forscherin entdeckt Katrin Hering immer wieder neue Facetten in der Papiergestaltung und in den Musterkreationen. Keine Stanze, kein Loch, kein Schnitt ist zufällig. Da, wo Muster auf freie Flächen treffen, wirken diese freien Flächen geschmeidig, fast samten, jedenfalls gar nicht wie Papier. Strukturen und Übergänge ändern augenscheinlich die Beschaffenheit des Materials. Bei aller Regelhaftigkeit der Muster sind es die Ausreißer aus den Mustern, die die Spannung in den Kunstwerken erzeugen.

Das (mathematische) Umkehrprinzip


Inverse IX, 1+2. Foto: AG

Innenleben I+II: Von innen nach außen und außen nach innen – Katrin Hering macht Papier lebendig. Foto: AG

Ob bei dem Rund aus rechteckigen Schnitt-Mustern von „Inverse IX, 1+2“ oder bei der Schuppen-Ornamentik aus schwarzem Papier „Innenleben 1+2“, mehrfach wiederholt sich ein Strukturprinzip, das Katrin Hering mit der Abkürzung des mathematischen Begriffs „Inversion“ benennt: Das Umkehrprinzip. Während die Anordnung der Schitt-Muster bei dem einen Bild die Augen des Betrachters wie in einen Trichter in die Mitte der Ornamentik zieht, wölbt sich das scheinbar selbe Schnitt-Muster dreidimensional aus dem Papierbild heraus und dem Betrachter entgegen. Das schwarze Papier steht dabei für den Schatten. Auch im Schatten sind Strukturen und Übergänge möglich.

Das Transparentpapier und der Tod

katrin Hering
„21 Gramm“ – der Blick durch das Transparentpapier wird zur Metapher für die aus dem Körper entschwindende Seele. Foto: AG

Papier ist nicht gleich Papier. Transparentpapier ist anders. Katrin Hering verwendet es als Metapher für das Unscharfe, das Entschwinden eines Objekts hinter dem Papier. Sie spitzt die optische Unschärfe in „21 Gramm“ auf das Entschwinden der Seele im Tod zu. Es gibt Untersuchungen, nach denen die Seele 21 Gramm wiegen soll. Die Transparentbahn, die in einer Vitrine rahmenlos eingespannt ist, wiegt exakt 21 Gramm. Wer durch das Transparentpapier hindurch schaut, sieht sein Gegenüber nur noch unscharf, wie verschwindend in eine andere Dimension.

Die Ausstellung von Katrin Hering „Übergänge“ ist bis zum 28. Februar 2025 im Kulturzentrum Waitzinger Keller in Miesbach zu sehen. Öffnungszeiten: Mo-Fr 9 bis 13 Uhr, Donnerstag 14 bis 16 Uhr. Eintritt ist frei. Mehr Informationen zu Katrin Hering auf ihrer Webseite.

Zum Weiterlesen: „Stechen, Stanzen, Schllitzen“- Katrin Hering in der 32. Ausgabe der KulturBegegnungen, Seite 7

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