Thementag

Die Zeit blieb stehen

Die Uhr von GÆG in der evangelischen Apostelkirche. Foto: Petra Kurbjuhn

Der erste Thementag im Landkreis Miesbach wurde zu einem Erfolg. In Kooperation des Kulturamtes der Stadt Miesbach, der evangelischen Apostelkirche und der Initiative „anders wachsen“ von KulturVision e.V. kamen verschiedene Facetten des Themas „Zeit“ zur Sprache, wobei der Kunst eine wesentliche Rolle zufiel.

Kunst kann das Unsichtbare sichtbar machen, kann das, was Verstand und Logik nicht wiedergeben können, beim Betrachter wachrufen. Deshalb beinhaltet das Konzept des Thementages immer beides: Wissenschaft und Kunst. Vom Kulturpartner von KulturVision, der Kulturbrücke abgeschaut, fand nun als Premiere der Thementag „Zeit“ zunächst Im Waitzinger Keller statt.

Thementag
Installation von Lisa Mayerhofer. Foto: Petra Kurbjuhn

Dazu hatte Lisa Mayerhofer eine einzigartige Installation gefertigt, die sie „Zinken der Zeit“ nennt. Die Miesbacher Künstlerin, die in England und Berlin Bildhauerei studierte und nationale und internationale Ausstellungstätigkeit aufweisen kann, machte anhand gesammelter und sortierter Gabeln das Thema Zeit als Zyklus des Lebens sichtbar.

In zwölf großen Fahnen wird der Alterungsprozess von Gabeln deutlich erkennbar. Die Objekte selbst, wohlsortiert in Schubläden und auf Tabletts angeordnet, sind in geöffneten Schränken zu sehen. Da gibt es frisch polierte ebenso wie zerkratzte und verrostete, silberne und stählerne, ebenso wie solche aus Plastik zu sehen. Feine Gabeln und Gefängnisgabeln.

Thementag
Lisa Mayerhofer. Foto: Petra Kurbjuhn

Im Künstlergespräch erzählte Lisa Mayerhofer, dass sie in 25 Jahren 450 Gabeln gesammelt hat und erklärte, dass sie ihr Ausstellungsthema „Zinken der Zeit“ aus „Zahn der Zeit“ und „Zeichen der Zeit“ abgeleitet habe. „Mein Zeitgefühl kann ich am Gegenüber erfassen“, sagte sie, „am besten an Menschen“. Die aber könne sie nicht ausstellen und so habe sie zum Gegenstand gegriffen, einem Gegenstand, der einen eigenen Zeitbegriff darstelle. Die Gabel berühre uns in verschiedener Weise, sehr direkt beim Essen aber auch durch ihren Verwitterungsprozess.


Wohlsortierte Gabeln. Foto: Petra Kurbjuhn

Für den wissenschaftlichen Part war ein Vortrag des Zeitforschers Professor Karlheinz Geißler geplant, der im vergangenen Jahr plötzlich verstarb. Die Organisatoren hatten deshalb das Thema in drei Vorträge aufgeteilt. Ich selbst durfte einen Impuls aus der Philosophie geben, in dem ich insbesondere das Konzept Chronos und Kairos hervorhob.

Chronos und Kairos beim Thementag Zeit

Chronos, der griechische Gott des unaufhaltsamen Fortschreitens der Zeit und Kairos, der Gott mit dem Haarschopf, den es zu fassen gilt. Kairos, das sind unverfügbare Momente, Chance und Herausforderung zugleich, Aufforderung zum Handeln. Um diese Momente wahrnehmen zu können, bedarf es Wachheit und Achtsamkeit, denn ungenutzt sind sie nicht zurückholbar.

Thementag
Hartmut Billy mit dem Pendel. Foto: Petra Kurbjuhn

Hartmut Billy gab einen unterhaltsamen Einblick in das, was die Physik zum Thema Zeit zu sagen hat. Der promovierte Physiker zeigte anhand des Pendels, dass die Zeit objektiv messbar ist, bis hinein in kleinste Zeiteinheiten durch die Atomuhr. Aber auch ganz große Zeiteinheiten, wie sie im Weltall eine Rolle spielen, seien genau erfassbar.

Physik beim Thementag Zeit

Dem gegenüber aber stehe die bekannte Erkenntnis von Albert Einstein, dass Zeit relativ sei und vom Ort und Bewegungszustand abhänge. „Je schneller ich mich bewege umso langsamer vergeht die Zeit“, sagt der Vortragende, wobei dies erst bei sehr hohen Geschwindigkeiten nahe der Lichtgeschwindigkeit messbar sei. Letztlich ging er auf schwarze Löcher ein und sagte: „Wir können die Zeit objektiv erfassen, aber irgendwo da draußen ist es ganz anders.“


Zeitkompetenz mit Elmar Hatzelmann. Foto: Petra Kurbjuhn

Praxisnah ging es weiter mit Elmar Hatzelmann. Der promovierte Betriebswirtschaftler prägte gemeinsam mit Martin Held den Begriff der Zeitkompetenz. In seinem umfassenden lebendigen Vortrag gab er dem Publikum eine Menge von Aha-Effekten mit.

Zeitkompetenz

Zeitkompetenz sei nicht nur die Fähigkeit, effizient mit der Zeit umzugehen, sagte der Experte, oft würde die Qualität der Zeit vergessen. Diese Zeitqualität beleuchtete er kompakt und umfassend in zwölf Kategorien und machte deutlich, dass Stress langfristig Körperverletzung bedeute.


Screenshot von www.hatzelmann.de

Neben einer Reduzierung von Informationsinput und Zeiten der medialen Verfügbarkeit machte der Redner deutlich, dass es auch auf Zeitrhythmen, auf Zeitgefühl und auf Zeitempathie ankomme. Das bedeutet, Rücksicht zu nehmen auf andere Zeittypen. Einer ist ein Morgen- der andere ein Nachtmensch, einer ist ein Siesta- der andere ein Tempomensch.


Screenshot von www.hatzelmann.de

Auch Elmar Hatzelmann betonte das Konzept des Kairos, des rechten Moments, den es zu fassen gilt, der Achtsamkeit und wie wichtig es sei, in das eigene Leben Rhythmus, heißt, Riten und Zeiten der Ruhe einzubauen. „Surfen Sie auf der Zeit“, gab er dem Publikum mit.

UND ENDLICH

Zum Abschluss zeigten Wolfgang Aicher und Thomas Huber von GÆG ihren Film „UND ENDLICH“, ein spektakuläres Projekt, das sie in Zusammenarbeit mit Michael Brünner und Georg Oechsner realisiert hatten: Eine zwei Meter große, programmierbare Uhr mit Brennstoffzelle.

Lesetipp: UND ENDLICH bleibt die Zeit stehen

Der Film dokumentiert Bau und Transport der 300 Kilogramm Uhr in die Schweizer Alpen, wo sie in einem Felstor auf 2800 Meter Höhe installiert wurde. Das Besondere daran: Wenn sich ein Wanderer nähert, geht sie langsamer und bleibt schließlich stehen, wenn der Wanderer vor ihr steht.


Thomas Huber, Wolfgang Aichner und Pfarrer Erwin Sergel (v.l.). Foto: Petra Kurbjuhn

Diese Uhr haben die beiden Installationskünstler jetzt in der evangelischen Apostelkirche in Miesbach auf Zwischenstopp zwischen der Schweiz und Großstädten aufgebaut. Der Thementag ging mit dem Erlebnis zu Ende, dass die Zeit stehen bleiben kann. Jetzt nämlich war die Uhr so programmiert, dass sie sich verlangsamte und stehen blieb, wenn sich vier Personen auf bestimmte Plätze setzten. Standen sie wieder auf, sprang die Uhr auf Echtzeit zurück.

Sehnsucht nach Zeitstillstand

Wolfgang Aichner nahm Bezug auf die Physik und sagte: „Einen wirklichen Zeitstillstand gibt es nur im schwarzen Loch, aber die Sehnsucht danach ist da.“ Und Thomas Huber ergänzte: „Wir Künstler sind den Physikern voraus und können das machen.“


Das Publikum durfte selbst erleben, wie die Zeit stehen bleibt. Foto: Petra Kurbjuhn

Die neue Programmierung sei insbesondere für Gruppen gedacht, die ein gemeinschaftliches Zeiterlebnis damit erfahren können. In intensivem Austausch mit dem zahlreichen Publikum konnten die beiden Künstler, moderiert von Pfarrer Erwin Sergel, Fragen beantworten und Details berichten. Etwa, dass sie in den Schweizer Alpen den Termin verschieben mussten, weil exakt an dem Felstor ein Turmfalke brütete und man ihm die erforderliche Zeit schenken musste.

Die Uhr in der Kirche anstatt des Altars, das habe etwas Meditatives, sagte Thomas Huber und Wolfgang Aicher fügte hinzu: „Wir wollen das Gemeinschaftsdenken fördern.“

Erwin Sergel informierte, dass die Uhr noch bis zum 23. Juni von 8 bis 18 Uhr in der Kirche zu sehen sei und am 2. Juli ein Gottesdienst „Jetzt ist die Zeit!“ stattfinde.
Die Ausstellung „Zinken der Zeit“ von Lisa Mayerhofer ist bis zum 11. August in der Galerie im Kulturzentrum Waitziner Keller montags bis freitags von 9 bis 13 Uhr und donnerstags zusätzlich von 14 bis 16 Uhr zu sehen.

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