Russland und der Westen. Droht ein neuer Kalter Krieg?
Stefan Kornelius, Markus Ederer und Gerhard Polt (v.l.). Foto: Cordula Flegel
Podiumsdiskussion zum Schlierseer Kulturherbst
Politischer Frühschoppen im Schlierseer Bauerntheater
Markus Ederer, EU-Botschafter in Moskau, und Stefan Kornelius, Politikchef der SZ, diskutieren mit dem Kabarettisten Gerhard Polt über unser Verhältnis zu Russland. Wer Poltsche Satire erwartet, wird enttäuscht, politisch Interessierte kommen jedoch auf ihre Kosten.
Gerade noch rechtzeitig zur angekündigten Podiumsdiskussion sei er aus Irkutsk eingeflogen, so leitet Gerhard Polt das Gespräch ein, und meint damit seinen Freund Markus Ederer – Jurist, langjähriger Diplomat im Auswärtigen Amt und derzeit Botschafter der EU in Moskau. Der vertraut dem Publikum sogleich an, dass er Sputnik im Blut habe, sich aber auch mit Pfizer hätte impfen lassen, um die gegenseitig verhängten Quarantänemaßnamen rings um die Vakzine zu umgehen. Die Mauer würde zunehmend höher, konstatiert er, und setzt damit den Ton für die nächsten eineinhalb Stunden: Ein großartiges Land sei dieses Russland, aber leider entferne es sich immer mehr vom Völkerrecht.
Markus Ederer Gerhard Polt Foto: Cordula Flegel
Beziehungen zu Russland auf Tiefststand
Putin selbst, so erzählt Ederer, habe in einem Interview mit der „Financial Times“ erklärt, dass sich die liberalen Werte der Demokratie erschöpft hätten. Gleichzeitig habe Putin vorgemacht, wie man sich in einem autoritären Staat die Macht sichert: Durch die Verfassungsänderung kann Putin – wie kein Präsident vor oder nach ihm – nun ein drittes Mal gewählt werden.
Ederers Aufzählung der Völkerrechts- und Menschenrechtsverletzungen von russischer Seite während der letzten Jahre – die Annexion der Krim; das Vorgehen gegen ausländische Nichtregierungsorganisationen; das sogenannte Agenten-Gesetz gegen gesellschaftliche Organisationen oder Einzelpersonen, die Kontakte zum Ausland haben; der vermutlich staatlich organisierte Tiergartenmord in Berlin; der „toxische Fall“ Alexei Nawalny – mündet in dem erschütternden Resümee : „Die Beziehungen mit Russland sind auf dem tiefsten Stand seit dem Ende des Kalten Krieges.“
Stefan Kornelius, Politikchef der SZ, der 20 Jahre lang das Ressort Außenpolitik bei der Süddeutschen Zeitung verantwortet hat, stimmt bedauernd zu. Trotz der großen Bereitschaft unter den Deutschen, Russland durchaus wohlwollend gegenüberzustehen, gäbe es seit der Annexion der Krim praktisch keinen konstruktiven Anknüpfungspunkt mehr.
Die Arbeit in Russland würde – obwohl die SZ eine Korrespondentin dort hat – immer schwieriger. Viele Nichtregierungsorganisationen hätten ihre Tätigkeiten einstellen müssen, es gäbe praktisch keine Gesprächspartner mehr, die man für ein Interview gewinnen könne, unabhängige Journalisten existierten kaum noch.
Druck auf Medien und Zivilgesellschaft
An dieser Stelle erinnert Gerhard Polt an Dmitri Muratow, den mutigen Chefredakteur der Nowaja Gaseta, der den diesjährigen Friedensnobelpreis zur Hälfte gewonnen und den sechs ermordeten Journalistinnen und Journalisten seiner Zeitung widmete, deren Morde nie aufgeklärt wurden. Putin habe sich nach der Preisverleihung beeilt zu erklären, dass der Nobelpreis den Preisträger nicht davor bewahren könne, als ausländischer Agent zu gelten, falls er gegen russische Gesetze verstoße. Weder gratulierte Putin, noch nannte er Muratow beim Namen.
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Ederer erzählt, dass es nicht wenige mutige Menschen gäbe im Lande. Dennoch trauten sich aufgrund der zunehmenden Repressalien immer weniger Bürger auf die Straße. Zum Erstaunen von Beobachtern hätte man zwar wenig Polizei bei den letzten Demonstrationen gesehen. Die Aufklärung, so Ederer, sei jedoch schnell erfolgt: Die russische Polizei arbeite inzwischen mit einer hervorragenden Gesichtserkennungs-Software, die Teilnehmer von Demos hätten also alle unangenehmen Besuch am nächsten Tag erhalten.
Hybride Wahrheiten
Gibt es nun einen neuen kalten Krieg? Die jetzige Eiszeit sei jedenfalls anders als damals, erklärten die Fachleute auf dem Podium. Damals hätte es Blöcke gegeben und Abrüstungsverträge, von denen die meisten inzwischen nicht mehr gültig sind. Heute gehe es um Systemrivalität und gegenseitige Destabilisierung, um das Ringen von offenen, demokratischen mit autokratischen Gesellschaften. Zu den neuen Methoden der Kriegführung, die verstärkt auch im Netz geführt wird, gehören Cyberangriffe ebenso wie die verschleierte Unterstützung von radikalen Parteien (um die Demokratie zu schwächen) oder hybride Wahrheiten, die in Pressekampagnen und sozialen Medien verbreitet werden.
Ederer illustriert das mit einer – wahren – Anekdote. Als er kürzlich nach einem schwierigen Gespräch zu seinem russischen Gesprächspartner sagte: „Können wir uns – bei allen Differenzen – wenigstens darauf einigen, dass hier vor uns eine Flasche Wasser steht?“, antwortete der ganz ernsthaft mit der Gegenfrage: „Wie bitte?“
Prinzip Hoffnung: „Russland überdauert die jetzige Staatsform“
Es ist reichlich desillusionierend, was uns die außenpolitischen Kenner da so zum Frühschoppen auftischen. Und als Stefan Kornelius analysiert, dass die US-amerikanische Außenpolitik im Moment völlig den Kompass verloren hat, ist auch der letzte Strohhalm dahin. Was wir denn, wenn die Situation doch so trostlos ist, von unserer neuen Regierung bezüglich der Russland-Politik erwarten sollten?, kommt die Frage aus dem Publikum. Ederer und Kornelius sind sich einig: Nicht miteinander reden ist keine Option. Russland würde die jetzige Staatsform überdauern, also dürfe man nicht aufgeben, ein vernünftiges Verhältnis zueinander zu finden. Aber klare Kante zeigen müsse man unbedingt, Verstöße gegen das Völker- und Menschenrecht benennen, auch das bevorstehende Urteil im Tiergartenmord brauche zum Beispiel eine politische Antwort.
Vielleicht, auch da sind sich der Diplomat und der Journalist einig, gäbe es ja irgendwann einen Türöffner in Sachen Klimapolitik zu dem Land, dessen jetziger Staatshaushalt zu 40% auf fossilen Energien basiert. Aber bis dahin wird noch viel Zeit vergehen. Ederers Hoffnung liegt auf der jungen Generation Russlands, die unabhängig und kosmopolitisch ist. Uns empfiehlt er einstweilen, resilienter zu werden und damit die Eiszeit zu überbrücken.
Johannes Wegmann mit den Podiumsteilnehmern. Foto: Hannah Miska
Nach eineinhalb Stunden schwerer außenpolitischer Kost erinnert Gerhard Polt daran, dass heid Kirta ist und man jetzt doch vielleicht einen Wodka trinken solle. Dass es dann doch ein Whisky aus der Slyrs Destillerie wird, dafür sorgt Johannes Wegmann mit einem Dankeschön an die Diskutanten.