Menschenpflichten

Menschenrechte und Menschenpflichten

Was hier statisch wirkt, täuscht, das Stück hat irrwitziges Tempo drauf: Sebastian Urmel Saurle, Sarah Schill, Stefan Weyerer, Lydia Starkulla (v.l.). Foto: Petra Kurbjuhn

Festival in Holzkirchen

Auch der zweite Tag des Festivals für Menschenrechte im KULTUR im Oberbräu wartete mit einem vielfältigen inspirierenden Programm auf. Einen Bericht zum ersten Tag finden Sie im Paralleltext. Höhepunkt war zweifelsfrei die Uraufführung des Theaterstückes „29 – eine Forschungsreise zum Thema Menschenrechtspflichten“ vom ensemble peripher.

Schon beim Betreten des FoolsTheaters wurde den Gästen klar: Das wird keine normale, geruhsame Vorstellung. Personen in weißen Kitteln, versehen mit diagnostischen Instrumenten, kontrollierten sehr genau, Fingerabdrücke werden genommen, danach erfolgt eine Einteilung. Ich bekomme eine rote Karte „Inoffizielles Amtspapier der Republik“ ist da zu lesen.

Nicht zu beschreiben

Die Bühne ist ein Forschungslabor, zahlreiche Geräte blinken und piepsen, die drei Forschenden teilen mit: „Wir sammeln Informationen.“ Was dann abläuft ist ein Feuerwerk nicht zu beschreibender wahnwitziger schneller Abfolge von Szenen.

Die vier Akteure Sarah Schill, Lydia Starkulla, Stefan Weyerer und Sebastian Urmel Saurle haben eigens für das Festival für Menschenrechte ein Stück verfasst, das sich insbesondere mit dem Artikel 29 befasst, nicht einem Menschenrecht, sondern der Pflicht des Menschen gegenüber der Gemeinschaft.


Sebastian Urmel Saurle, Sarah Schill und Lydia Starkulla. Foto: Petra Kurbjuhn

Ihre Aussage: Um die anderen vielen Rechte überhaupt genießen zu können, sollte ein jeder sich mit Pflichten in die Gemeinschaft einbringen, um dem Leben Sinn zu geben. Individualität hin oder her, Verantwortung muss übernommen werden. Aber diese Einsicht ist noch nicht überall angekommen, „Menschenrechte okay, Menschenpflichten eher nicht“.

Erklärung der Menschenpflichten

Sie beziehen sich auf die „Allgemeinde Erklärung der Menschenpflichten“ von 1997, die von dem ehemaligen Bundeskanzler Helmut Schmid ins Leben gerufen wurden, aber wenig Anwendung fanden.

Können wir was tun? fragen sich die vier und laden zur Forschungsreise ein. Da ist also der Krieg in der Ukraine, der uns alle bewegt und berührt. „Und all die anderen Kriege?“ Da gibt es doch wohl einen Eurozentrismus, oder?


„Good news“ mit Sebastian Urmel Saurle. Foto: Petra Kurbjuhn

Mehrfach eingeblendet sind die „good news“, so der aufrüttelnde Aufruf von Charly Chaplin, heute so aktuell wie 1938. Die Frage sei immer wieder, wer sagt, was der richtige Weg ist, wem könne man trauen, aber es gilt eben auch immer noch der schöne Satz von Hilde Domin: „Nicht müde werden, sondern dem Wunder leise wie einem Vogel die Hand hinhalten.“

Menschenpflichten
Stefan Weyerer. Foto: Petra Kurbjuhn

Das Stück wird ergänzt von den einprägsamen Liedern von Stefan Weyerer, die das Thema musikalisch bearbeiten und ein wenig Ruhe in das turbulente Stück bringen.

Dann aber Glücksrad. Und was kann man gewinnen? Arbeitserlaubnis, Aufenthaltsgenehmigung, ein Jahr Lithiumabbau in Bolivien oder ein Jahr Arbeit in der Coltanmine im Kongo. Das Lachen bleibt im Halse stecken, kann sich aber befreien, wenn die Protagonisten aufeinander losgehen mit „Du Regenbogenhippie“ oder „Du alte Krähe“.

Der Umschlag unter dem Stuhl

Nur ein paar Mosaiksteinchen können Erwähnung finden, die Hoffnung besteht, dass das Stück noch viele Male aufgeführt wird und viele viele Menschen anzieht, die dann ganz am Ende eine Überraschung erleben dürfen, wenn sie einen Umschlag unter ihrem Stuhl finden. Das Publikum ist die ganze Zeit mit einbezogen, hat bereits vor Beginn eine Karte zum Ausfüllen bekommen und darf die Antwort jetzt vorlesen. „Ich wünsche mir von Dir, dass…“

Talk mit Jugendlichen

Was sich Jugendliche in Zusammenhang mit den Menschenrechten wünschen, war Thema einer Talkrunde am Nachmittag, bei der Patrick Willibald drei Mädchen aus der Oberland-Realschule Holzkirchen zu ihren Meinungen zu den Artikeln der Menschenrechte befragte. Vorausgegangen war eine Unterrichtsstunde, deren Ergebnisse auf der Titelseite der 37. Ausgabe der KulturBegegnungen nachzulesen ist.

Lesetipp: Menschenrechte

Jetzt durften die Jugendlichen vor Publikum darlegen, was ihnen zu den Menschenrechten einfällt. „Ich möchte sein, wie ich bin und nicht wie ihr mich wollt“, sagte Leandra, die beklagte, dass es um die Sicherheit junger Frauen nicht gut bestellt ist, wenn man ihnen vorschreibt, was sie zu tragen haben. Das Anderssein sei problematisch, sowohl was die sexuelle Orientierung anbelange als auch bei der Kleidung und Frisur.

Menschenpflichten
Leandra Möller , Patrick Willibald, Leonie Munaretto und Lise Menger. Foto: MZ

Was die Einschränkung der Freiheiten während der Pandemie anbelangt, waren sich alle einig. “Wenn ich weiß, dass Leben gerettet werden können, nehme ich sie auf mich, aber ich weiß es eben nicht“, sagte Leonie.

Unterschiede in der Behandlung von Geflüchteten aus der Ukraine und aus anderen Ländern bewerteten die Diskutantinnen als falsch und verletzend.

Artikel anpassen

Auf die Frage, ob Menschenrechtsverletzern auch die Menschenrechte zustehen, sagten sie einstimmig: Freiheitsentzug sei hier richtig.

Sie wünschten sich aber auch, dass die Artikel den jetzigen Gegebenheiten angepasst werden, so sollte Gendern ebenso eingebracht werden wie die Probleme mit Social media.

Letztlich wünschten sich die Mädchen, dass Politiker auf Augenhöhe und nicht von oben herab mit den Bürgerinnen und Bürgern umgehen. Und sie sprachen die Hoffnung aus, dass das Thema Menschenrechte Einzug in die Schulen finden möge. Der Talk wurde musikalisch umrahmt von Watching the Cat, die wie immer die passenden Stücke ausgewählt hatten und unplugged stimmig vortrugen.

Gruppe Schreibsand berührt Publikum

Einzug in literarische Texte hatten die Menschenrechte bei der Gruppe Schreibsand gefunden. Die Autorinnengruppe Nani Mahlo, Claudia Kreutzer, Ines Wagner und Karin Sommer hatte Fragmente zum Thema in sehr unterschiedlicher Form verfasst. Begleitet von Anna Vega-Cordova an der Harfe, berührten die Literatinnen das Publikum mit ihren Texten.

Menschenpflichten
Die Gruppe Schreibsand: Claudia Kreutzer, Karin Sommer, Ines Wagner (v.l.) (Nani Mahlo fehlt) und Harfenistin Anna Vega-Cordova . Foto und Collage: Petra Kurbjuhn

Ines Wagner nahm den Ukrainekrieg zum Anlass ihrer Reflexionen. Claudia Kreutzer widmete sich den Auswirkungen der Pandemie. Das häusliche Umfeld war Thema bei Karin Sommer: „Ich habe ein Recht auf Frieden.“ Mit ihren differenzierten und auch kontroversen Meinungen ernteten die Autorinnen ebenso wie die Harfenistin anhaltenden Applaus.

Woher kommst du?

Einen humorvollen und dennoch zum Nachdenken anregender Beitrag der erkrankten Nani Mahlo verlas Ines Wagner. Und so mancher fasste sich an die eigene Nase. Gern fragt man fremd aussehende Menschen „Woher kommst du?“ Muss das sein, gleich im ersten Satz, gleich den anderen ausgrenzen?

Mimpfmöh im Biergarten

Mit einem außerordentlich heiteren, witzigen und schrägen musikalischen Frühschoppen ging das Festival gestern zu Ende. Maria Hafner und Florian Burgmayr machten nicht nur ganz prächtige Musik, sondern verblüfften und erfreuten das Publikum im Biergarten mit ihren Texten. „Mimpfmöh“ nennen sie der Komponist und Musiker aus Draxlham und die Musikerin und Schauspielerin aus München und genauso klingt es auch.


Maria Hafner und Florian Burgmayr. Foto: Petra Kurbjuhn

Ein bisschen Dada, ein bisschen Wortspielerei, ein bisschen absurd und immer witzig, untermalt mit Musik von Akkordeon, Tuba, E-Piano und Geige. Ach ja, und beim köstlichen „O Imara“ gibt es auch die Kuhglocke. Was das mit den Menschenrechten zu tun hat? Maria Hafner erklärt: „Es geht um freie Gedanken und die sind noch nicht in den Menschenrechten sanktioniert.“ Wird also Zeit.

Hauptsache streicheln

Bis dahin erfreuen sich die Zuhörenden an der Musik, am Jodeln und an den Texten. Kostprobe gefällig? „Wenn ich das Meer wär, wenn ich mehr wär“ oder das Nonsens-Biergartenstück „Brezn, Brezn Leberkas“. Nein, es kommt so nicht herüber, sollte man gehört haben.

Und ganz wunderbar die heftig erklatschte Zugabe, die Lebensweisheit: „Streichel Blumen im Moment“, es kann auch der Nachbar oder der Tisch sein, Hauptsache streicheln, jetzt!

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