Tegernseer Schloss - ehemaliges Benediktinerkloster

Der Tegernseer „Ludus de Antichristo“

Das ehemalige Benediktinerkloster ist der Ursprungsort des ältesten, überlieferten lateinischen Dramas. Foto: Der Tegernsee

Tegernseer LiteraTouren

Das älteste Schauspiel über das Auftreten des Antichrist am Ende der Zeiten, in der damaligen Gelehrtensprache Latein „Ludus de Antichristo“, entstand vermutlich um 1160 im mittelalterlichen Kloster Tegernsee. Eine der zwölf Tegernseer LiteraTouren begibt sich auf Spuren seiner Entstehungszeit. Pompös aufgeführt wurde es in der Kirche des damaligen Benediktinerklosters – vermutlich im liturgischen Jahreskreis im Advent.

Im fulminanten Endkampf des lateinischen Dramas „Ludus de Antichristo“ aus dem 12. Jahrhundert stehen sich Kaiser und Könige, Christus und der Antichrist gegenüber. Es inszeniert die kaiserliche Herrschaft mit zahlreichen Anspielungen auf die damalige staufische Reichsideologie.

Simultanbühne im Altarraum

Der Ausgangspunkt des literarischen Spazierganges ist die ehemalige Klosterkirche, heutige Pfarrkirche St. Quirinus. Die Simultanbühne mit den Thronen der Herrscher befand sich im Altarraum. Nach ihrem feierlichen Einzug waren alle Mitwirkenden gleichzeitig für das Publikum sichtbar, das im Hauptschiff der Kirche saß oder stand. Die Anordnung der Bühnenorte erfolgte entsprechend der Handlungsreihenfolge, die Darsteller standen auf Podesten. Damit auch Menschen ohne Lateinkenntnisse dem Geschehen folgen konnten, wurde der gesungene Text von einer pantomimischen Handlung begleitet. Traditionsgemäß gab es nur männliche Schauspieler. Die weiblichen Rollen wurden von den Knaben der Klosterschule gesungen.

Im Altarraum der ehemaligen Klosterkirche wurde der "Ludus de Antichristo" aufgeführt
Im Altarraum der ehemaligen Klosterkirche wurde der „Ludus de Antichristo“ aufgeführt. Foto: Der Tegernsee

Der Klassiker: Gut gegen Böse

Der erste Teil der Handlung beginnt mit der Erringung der Weltherrschaft durch den deutschen Kaiser, der schließlich demütig Krone und Zepter im Tempel zu Jerusalem niederlegt und sich auf sein deutsches Königtum beschränkt. Im zweiten Teil tritt der Antichrist auf, um Zwietracht zu säen. Im Augenblick seines höchsten Triumphs wird er von Gott selbst, gleichsam als deus ex machina am Spielende, vernichtet.

Intellektuelle Speerspitze

Der Stoff dieses in der Literaturgeschichte einzigartigen Dramas beruht auf frühchristlich apokalyptischen Weissagungen sowie einem theologischen lateinischen Werk aus dem 10. Jahrhundert. Vermutlich hat jener bis heute geheimnisvolle „Tegernseer Anonymus“, dem noch zahlreiche weitere Werke zugeschrieben werden, etwa zweihundert Jahre später daraus den „Ludus de Antichristo“ geschaffen. Die Tegernseer Mönche waren als geistige Elite neben der Kirche in Rom auch dem Kaiserhof verpflichtet. Sie fungierten als intellektuelle Speerspitze für die Politik des Hochadels, der durch repräsentatives Theater seinen Machtanspruch demonstrierte. So ist es nicht verwunderlich, dass im Benediktinerkloster am Tegernsee etwa zeitgleich zu Minnedichtung und Romanliteratur auch ein derart schillerndes und in seinen politischen Kampfszenen sehr weltliches Drama entstand.

Museum Tegernseer Tal
Im Museum Tegernseer Tal sind die Schriften des lateinischen Drama digitalisiert. Foto: Der Tegernsee

Klostergeschichte im Museum

Von der ehemaligen Klosterkirche aus führt die Tour weiter zum Museum Tegernseer Tal. Im Alten Pfarrhof von Tegernsee bietet es in 17 Räumen mit rund 850 Ausstellungsobjekten einen einzigartigen Einblick in die Geschichte einer der traditionsreichsten Regionen Altbayerns. Allein etwa 1.000 Jahre zählt die Geschichte des Klosters Tegernsee von seiner Gründung 746 bis zur Säkularisation 1803. Zahlreiche faksimilierte Handschriften und Druckerzeugnisse sowie ein umfangreiches Digitalarchiv zeugen von dem literarischen Schatz des ehemaligen Klosters. Den Beginn des Antichrist ziert der kunstvoll gefertigte Prachtinitiale „A“. Unter den Schriften des Dramas befindet sich auch eine ausführliche Anweisung für das Bühnenbild. Darüber hinaus gibt es im Museum noch viel mehr zu entdecken: vom Mittelalter bis zur Gegenwart, von Zeugnissen des klösterlichen, bäuerlichen, künstlerischen und höfischen Lebens bis zu einmaliger regionaler Handwerkskunst.

Lesetipp: Tegernseer LiteraTour auf den Spuren von Grete Weil

Die zwölf Tegernseer LiteraTouren lassen sich eigenständig von zwölf Startpunkten im Tegernseer Tal aus gehen. Einfach den QR-Code auf dem jeweiligen Startschild scannen und dem digitalen Wegbegleiter folgen.

Alle Informationen zu den zwölf Tegernseer LiteraTouren finden Sie auf der Webseite des Projektes TELITO. Auf dem Literaturportal Bayern können Sie den ausführlichen Spaziergang „Ludus de Antichristo“ nachlesen. Entwickelt hat ihn Literaturwissenschaftler Prof. Dr. Klaus Wolf.

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