Die Protagonisten und Künstlerinnen beim Thementag zum Literaturcafé

Gnädige Frau, eine Melange gefällig?

Sie trugen zum Gelingen des Thementages bei: Künstlerinnen und Kulturschaffende aus drei Ländern. Foto: Petra Kurbjuhn

Kultursommer im Waldviertel

Das im Landkreis Miesbach bereits erfolgreich etablierte „Literaturcafé Melange“ reiste am Wochenende ins niederösterreichische Waldviertel. Peter Becher und Monika Ziegler präsentierten beim Thementag der Kulturbrücke Fratres bayerische, tschechische und österreichische Literaturschaffende mit Gesprächen, Lesungen und Musik.

Beim letzten Thementag dieser Saison bei unserem niederösterreichischen Kulturpartner stand die Literatur im Vordergrund – und die lange Tradition der Wiener Caféhäuser und Prager Exilcafés. Aber nicht nur im Rückblick auf deren Geschichte, sondern vielmehr in der Fortsetzung dieser Tradition. Vor allem ging es, ganz gemäß der Philosophie der Kulturbrücke Fratres, ums Brückenschlagen. Und, nur einen Kilometer vom tschechischen Slavonice entfernt, naheliegenderweise auch um die Grenzen und ob diese verschwinden, physisch und in den Köpfen.

Prominente Gäste im Literaturcafé

Peter Becher, der im Rahmen des von KulturVision ins Leben gerufenen Literaturcafés im Landkreis Miesbach bereits ein Jahr lang Gespräche und Lesungen prominenter Literaten und Schriftstellerinnen moderierte hatte, bewies auch in Fratres eine gute Hand bei der Wahl seiner Gäste: Aus Prag angereist war Fotografin, Lyrikerin und Übersetzerin Vera Koubová, dazu die „besten Mundartschriftsteller Bayerns“, so Peter Becher über Karl Krieg und Bernhard Setzwein. Und wer würde besser die tiefe Verbundenheit mit seiner Heimat, dem Waldviertel, widerspiegeln als der in Gmünd geborene Schriftsteller Thomas Sautner? Gleichsam in der Mitte dieses gleichschenkligen Dreiländerecks bildete Akkordeonistin Jana Bezpalcová die Brücke über alle Grenzen hinweg, indem sie den vielschichtigen und doch überall sehnsüchtigen Klang der Welt erklingen ließ.

Monika Ziegler und Peter Becher waren die Tagesverantwortlichen
Monika Ziegler und Peter Becher waren die Tagesverantwortlichen des Thementages zum Literaturcafé. Foto: Hannes Reisinger

Bei ihrer Begrüßung und Eröffnung des Thementages würdigte Monika Ziegler die lange Zusammenarbeit und gegenseitige Inspiration beider, auf hohem Niveau agierender Kulturvereine. Seit etwa 15 Jahren engagiert sie sich mit KulturVision bei der Organisation der Thementage und bringt bayerische Künstlerinnen und Kulturschaffende ebenso ins Waldviertel wie neue Konzepte und im Landkreis erprobte Formate. Im Gegenzug adaptierte KulturVision die Idee für Bayern. Ein erster Thementag „Zeit“ wurde heuer in Miesbach erfolgreich durchgeführt.

Brückenbauer mit steirischen und böhmischen Wurzeln

Der aktuelle bayerische Beitrag am Samstag, das „Literaturcafé Melange“, sei undenkbar ohne Peter Becher, so Monika Ziegler. Der in Holzkirchen lebende Literaturhistoriker, Schriftsteller und langjährige Vorsitzende der Adalbert Stifter Gesellschaft mit böhmischen und steirischen Wurzeln sei seit jeher ein „Brückenbauer zwischen Ost uns West“.

Vom Künstlertreff zum großen Kaffeehaussterben

Mit seinem Vortrag „Das Literaturcafé vom Treffpunkt der Wiener Literaten bis zu den Prager Emigrantencafés“ nahm Peter Becher das Publikum mit auf die Reise zurück in die glorreiche Zeit der Literaturcafés europäischer Metropolen. Anhand zahlreicher Zitate berühmter Kaffeehausliteraten sowie aus Werken über die Kaffeehausliteratur zeichnete er das Bild eines Phänomens nach, das mit dem Nationalsozialismus ein jähes Ende fand. Nach diesem „vernichtenden Kulturbruch“ und dem 2. Weltkrieg folgte das „große Kaffeehaussterben“ und ein Ende der Kaffeehauskultur für viele Jahrzehnte.

Vera Koubova ist Übersetzerin, Fotografin und Lyrikerin
Vera Koubová ist in der deutschen Sprache ebenso zu Hause wie in Französisch und Tschechisch. Foto: Hannes Reisinger

In sein „Literaturcafé Melange“, „Gnädige Frau, eine Melange gefällig?“, lud er als ersten Gast Vera Koubová auf die Bühne. Als Übersetzerin von Novalis, Nietzsche, Kafka und vielen weiteren anspruchsvollen Schriftstellern, Philosophen und Lyrikern hat sie sich weit über den tschechisch-deutschen Sprachraum hinaus einen Namen gemacht. In einer Übersetzung „treu“ sein hieße nicht „wortwörtlich“, so die Pragerin. Vielmehr gälte es, in die Gewässer des Textes tief einzutauchen und dort zu fischen. „Wir nehmen ein Wort in den Mund und bemerken den Geschmack, dann versuchen wir am anderen Ende des Ufers einen solchen Geschmack zu finden, in der anderen Sprache.“

Das Schweigen der Sirene

Diese poetische Beschreibung ihrer Übersetzertätigkeit ließ zweifelsfrei heraushören, dass Vera Koubová selbst auch Lyrikerin ist. Und zudem noch Fotografin. Eigene Werke präsentiert sie als „Tryptichon“ in ihrer Muttersprache, einer Übersetzung in eine andere Sprache und einer Fotografie. Mit „Das Schweigen der Sirene“ gab sie dem Publikum eine berührende Kostprobe ihres Schaffens.

Bernhard Setzwein und Karl Krieg
Brachten gemeinsam die 51. Ausgabe des „Passauer Pegasus“ heraus: Bernhard Setzwein und Karl Krieg. Foto: Hannes Reisinger

Vera Koubovás Platz an Peter Bechers Seite nahmen daraufhin zwei bekannte bayerische Schriftsteller ein: Karl Krieg, Lyriker, Essayist und Mitherausgeber der Literaturzeitschrift „Passauer Pegasus“ hatte nicht nur die aktuelle 51. Ausgabe derselben dabei, sondern überraschend auch Schriftsteller Bernhard Setzwein, Freund, Kollege und ebenfalls Mitherausgeber. Diese Ausgabe widmet sich unter anderem dem Dichter H.C. Artmann. Grundlage dafür war ein Gespräch zum 100. Geburtstag Artmanns gewesen, das Bernhard Setzwein mit dem Verleger und engen Artmann-Freund Christian Thanhäuser 2021 in Fratres am Rande eines Thementages geführt hatte.

Grenzen überwinden

Die Ausgabe setzt zugleich auch einen Schwerpunkt auf tschechische Autoren. Grenzen zu überwinden ist seit jeher ein Thema des „Passauer Pegasus“. Abwechselnd lasen sie Passagen und Gedichte aus der Ausgabe, unter anderem auch ein Gedicht der zu Unrecht noch wenig bekannten Tochter Emily Artmann über ihren Vater.

Thomas Sautner im Literaturcafè
Thomas Sautner ist der bekannteste Waldviertler Autor und tief mit dessen Geschichte und der Seele der Landschaft verwurzelt. Foto: Petra Kurbjuhn

Im Waldviertel aufgewachsen ist der Schriftsteller Thomas Sautner. Dort, in dieser oft als mystisch beschriebenen Gegend, handeln auch die meisten seiner Romane, in denen häufig die Grenzen zwischen Realität und Illusion verschwinden. Darin tauchen Figuren auf, die den Fans seiner Bücher verschiedentlich wiederbegegnen, wie Malina in „Das Mädchen an der Grenze“. Aus diesem Buch las Thomas Sautner eine Passage, die an die Zeit kurz vor Zusammenbruch des sozialistischen Systems und damit der Grenze nur einen Kilometer weiter erinnerte: „Diesseits gab es Leben, jenseits nur einen Schatten davon.“

Wohin verschwinden die Grenzen?

Von Monika Ziegler gefragt, ob er wahrnehme „wohin die Grenzen verschwinden“, verwies Thomas Sautner schließlich darauf, dass wir alle uns auf dünnem Eis bewegen, das man zuvor für sehr dick gehalten habe: „Die Grenzen sind noch immer da. Die Gesellschaft muss darauf achten, dass sie eines Tages verschwinden.“

Mit der Erkenntnis, was für den Protagonisten seines neuesten Romans „Nur zwei alte Männer“ den Sinn des Lebens ausmacht, verblüffte Thomas Sautner zum Abschluss des Literaturcafés. Hat sich diese Frage nicht jeder schon einmal gestellt? Die Antwort fällt dem Protagonisten des Buches nach kurzem Überlegen und dem Abschütteln der eigenen Irritation schließlich leicht: Rasen mähen. 

Klang der Welt 

Jana Bezpalcova begleitet das Literaturcafé musikalisch
Jana Bezpalcová verbindet die Beiträge im Literaturcafé mit feinsinniger Weltmusik auf dem Konzertakkordeon. Foto: Hannes Reisinger

Eine musikalisch virtuose und zugleich ebenfalls hoch poetische Brücke zwischen den Beiträgen der Lyrikerin und den Schriftstellern schuf Jana Bezpalcová mit ihrem Konzertakkordeon. Die Prager Musikerin, die an den Konservatorien in Budweis, Bratislava und Weimar studierte und beim internationalen Akkordeonwettbewerb in Andorra den ersten Preis gewann ist eine gefragte Solistin, nicht nur beim Symphonischen Orchester des Slowakischen Rundfunks. Mit Stücken von Leoš Janáček, Serge Gainsbourg, Astor Piazzolla und Giora Feidman brachte sie den „Klang der Welt“ auf die Bühne. Die Möglichkeiten ihres Konzertakkordeons voll ausschöpfend spielte sie feinfühlige Interpretation der unterschiedlichen Stücke nach Partituren, die ursprünglich für das Klavier geschrieben wurden. Poetisch, verträumt, kraftvoll, weise und virtuos. Die Botschaft kam an. Musik kennt keine Grenzen, in der Musik empfinden wir alle gleich.

Lesetipp: Der Thementag „Mode – Schönheit – Kontroverse“ Anfang August 2023 Fratres

Mehr Informationen zur Kulturbrücke Fratres finden Sie hier. Beim Literaturcafé in Weyarn waren u.a. Helmfried von Lüttichau und Friedrich Ani zu Gast. Für sein Lebenswerk erhielt Peter Coreth den Würdigungspreis des Landes Niederösterreich. Er ist Gründer der Kulturbrücke Fratres und des Museum Humanum.

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