Wie Heimat aussieht
Es wird Herbst – auch auf dem Gemälde („Herbst im Kurpark“) des Malers Karl Wiedemann. Foto: IH
Ausstellung in Schliersee
Mehr als 40 Werke des Malers Karl Wiedemann hängen seit dem 31. August im Saal der Vitalwelt Schliersee. Wer sich diese Bilder anschaut, kommt nicht umhin, sich ein neues Mal in die Landschaft des Oberlands zu verlieben.
„Heimat“ ist ein großes Wort. Groß, weil Heimat mehr bedeutet, als dieses eine Wort es zu sagen vermag. Und groß vielleicht auch deshalb, weil es für all die unzähligen Bilder steht, die mit diesem Wort verknüpft sind. Auf den Gemälden des gebürtigen Schlierseers Karl Wiedemann lässt sich erahnen, was Heimat für diesen Maler bedeuten könnte: Ein innig geliebtes Fleckchen Erde, das, bei jedem Wetter und zu jeder Jahreszeit, als schön empfunden wird.
Ob von einer dicken Schneedecke überzogen oder mit Wiesen von so sattem Grün, dass man wünschte, eine grasende Kuh zu sein: Die bayerische Voralpenlandschaft ist einfach wunderschön, und Karl Wiedemann weiß diese Schönheit irgendwie auf der Leinwand einzufangen, wie jemand, der mit einem Kescher so zarte und flüchtige Geschöpfe wie Schmetterlinge einfängt. Ja, man wird sentimental, wenn man diese Landschaftsbilder sieht, da kann man gar nichts dagegen machen. Drum mag es nicht allein am beginnenden Herbst liegen, dass man die Sommerbilder mit ein wenig Wehmut betrachtet, ganz so, als wäre diese grüne Pracht einem längeren Tode geweiht als nur dem vorübergehenden des Winters.
Frühling, Sommer, Herbst und Winter: Das Oberland zu jeder Jahreszeit. Foto: IH
Ohne Pathos
Karl Wiedemann malt seit seiner Kindheit und so lag es zunächst nahe, dass er seine Berufung auch zum Beruf macht: Als junger Mann erlernte er das Malerhandwerk in Holzkirchen, erfahre ich aus einem kurzen biografischen Text, der – wie seine Bilder in einen Rahmen eingefasst – im Saal der Vitalwelt hängt. Leider habe sich bereits nach einigen Gesellenjahren herausgestellt, dass er aus gesundheitlichen Gründen diesen Beruf doch nicht ausüben konnte. Dieser Satz könnte nun durchaus bedrückend sein, wäre er nicht von so vielen Bildern umgeben, welche die Geschichte wortlos weitererzählen: Karl Wiedemann hat die Malerei also nie aufgegeben, wenn er sich auch beruflich anderweitig orientieren musste.
„Aufziehendes Gewitter bei Großhartpenning“, Ölgemälde von Karl Wiedemann. Foto: IH
Und dann lese ich, dass dieser Künstler „das Glück hatte, das letzte Lehrjahr bei einem Kirchenmaler verbringen zu dürfen“. Ich hatte bereits im Kopf, und fand es auch widergespiegelt in seinen Bildern, dass dieser Maler stilistisch der Münchener Schule nahesteht: Deren Vertreter suchten im 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts ihre Malerei durch eine naturalistischere Darstellung von dem Pathos zu befreien, der seit dem 17. Jahrhundert nicht wenigen Werken anhaftete.
Jener Naturalismus, dem eine gewisse Lakonie genauer Beobachtung zugrunde liegt, findet sich auch in Karl Wiedemanns Ölgemälden. Aber da ist eben noch etwas anderes in seinen Bildern. Besonders in dem, wie er Licht malt, den einfallenden Lichtstrahl im Tannenwald zum Beispiel oder das Zwielicht eines aufziehenden Gewitters am Feldrand… Darin ist nichts Pathetisches, aber es ist, möchte man sagen, etwas Heiliges darin. Das zu empfinden man nicht lernen kann, aber es will eben gelernt sein, so etwas bildlich darzustellen. Möglicherweise lernt man ebendas von einem Kirchenmaler.
Schlierseer Geschichten
Eine Zuagroaste, wie ich es bin, wird möglicherweise mit etwas mehr Ehrfurcht vor einer solchen Schönheit stehen als jemand, der hier geboren wurde. Denn es ist nicht „mein“ Land, was ich da vor mir sehe. Ich darf es, auf Bildern und draußen in der Welt, immer nur als Außenstehende bestaunen; keine Wurzel zieht mich bis zum Grund dieser Landschaft. Heimatverbundenheit, nennt man so eine Verwurzelung mit einem bestimmten Stück Erde, die haben wir Menschen mit Bäumen und anderen Pflanzen gemein.
Auch bringe ich mit diesen Landschaftsbildern noch nicht allzu viele erlebte Geschichten in Verbindung, und doch meine ich, sehen und spüren zu können, wie aufgeladen von Geschichte jedes einzelne Bild für diejenigen sein mag, die hier geboren und aufgewachsen sind, so wie Karl Wiedemann. Über sein Leben lässt sich berichten, dass sich dieser Mann allein für den Ort Schliersee im Laufe seines Lebens verschiedentlich eingesetzt und beispielsweise die Alt-Schlierseer Trachtengruppe mitaufgezogen oder auch den Alt-Schlierseer Kirchtag mitgeprägt hat. Drei Jahrzehnte lang machte er zudem die Ortsführung „Schlierseer G’schichtn“, vier Jahrzehnte war er der Bariton des Schlierseer Viergesangs.
Eine Besucherin der Ausstellung im Saal der Vitalwelt. Foto: IH
Aber das ist nur ein Ausschnitt seines bewegten Lebens und sicherlich findet jeder seine eigenen Geschichten, seinen persönlichen Lebensabschnitt, in diesen Bildern, im Licht, im Wind, im Grün und Weiß. Und im Wasser, das sich durch das Gesamtwerk Karl Wiedemanns zieht, und als Bach und Fluss, und natürlich auch als See, unbewegt über die Leinwände fließt.
Gen Ende meines Besuchs dieser Ausstellung keimt in mir die Frage auf, wie anders jeder Besucher, jede Besucherin, diese Gemälde betrachten wird, und ob sie manch einem, der seit jeher im Oberland lebt, wieder in Erinnerung rufen werden, was er oder sie von Kindesbeinen an vor Augen haben darf. Für uns alle sind Karl Wiedemanns Bilder wohl ein sanfter Weckruf, damit wir die Schönheit nicht verschlafen, die uns hier umgibt.
Weitere Infos im Kulturkalender: Ausstellung | Karl Wiedemann