
Bunte Stadt und Welterbestadt
Das Schloss thront über Wernigerode. Foto: MZ
Reisetipp von KulturVision
Der KulturVisions-Ausflug in die neuen Bundesländer führte in diesem Jahr in den Harz. Und wieder einmal überraschte und begeisterte die Kultur im Osten die Bayern, ebenso aber auch die Herzlichkeit der Menschen.
Über Jahre hinweg wurde es zur Tradition, bayerische Kulturakteure ließen sich auf die ostdeutsche Kultur ein. Wir besuchten Dresden, Freiberg, Meißen, Leipzig, Halle, Weimar, Erfurt, Dessau, Wittenberg, Naumburg, Merseburg.
Der Vorschlag, in den Harz zu reisen, stieß auf mittleres Interesse, zu wenig bekannt waren die Orte, zudem ist es weit zu fahren. Aber die Entscheidung fiel und schon unser Ankommen im Harz an der Rappbodetalsperre war ein Ereignis.
Zwei Mutige gingen über die Hängebrücke. Foto: IK
Denn hier ist für jeden Abenteuerlustigen eine Überraschung parat. Die weniger Mutigen steigen nur auf den Aussichtsturm, der eine fantastische Aussicht bietet, von dem aus man aber auch Wallrunning kopfüber hinunter machen kann oder man lässt sich mit dem Katapult hinausschießen.
Weniger Mut aber Standfestigkeit braucht es auf der 480 Meter langen und 150 Meter über dem Stausee frei aufgehängten Hängebrücke mit grandiosem Blick. Auch auf die ganz Mutigen, die per Seilrutsche aus dem Aussichtsturm heraus über die Talsperre fliegen. Nein, muss nicht sein, Hängebrücke reicht.
Museumshof Ernst Koch in Silstedt. Foto: IK
Unser Hotel „Blocksberg“ liegt in dem Ortsteil Silstedt von Wernigerode und wir erkunden das Dorf, das mit einem kulturellen Kleinod aufwartet, sozusagen Markus-Wasmeier-Museum in klein. Der Landwirt Ernst Koch hat seinen aus dem 17. Jahrhundert stammenden Bauernhof zum Museumshof umgestaltet, der das Leben und Arbeiten auf dem Land im Harz darstellt.
Tag der Einheit. Foto: IK
An der aus dem 10. Jahrhundert stammenden Kirche St. Nikolai entdecken wir einen Gedenkstein, der uns berührt. Dort sind auch zwei riesige Linden, 300 Jahre alt, aber die Königslinde ein paar Schritte weiter punktet mit 324 Jahren.
Unser Führer Jürgen Feustel an der Stadtmauer. Foto: IK
An unserem zweiten Harztag bekommen wir eine Exklusivführung und erleben damit die „bunte Stadt am Harz“, wie sie Hermann Löns nannte, nicht nur an ihren touristischen Plätzen, sondern auch in den eher unbekannteren Nebengässchen. Als studierter Geophysiker zeigt uns unser Führer Jürgen Feustel an der Stadtmauer besondere, für den Harz typische Gesteine, etwa den Rogenstein.
Niedersächsische Fachwerkbauten. Foto: IK
Er führt uns auf den Aussichtspunkt Schanze mit Panoramablick auf Stadt und Schloss, dann hinunter in die Stadt, wo er uns immer wieder auf besondere Ausblicke auf das über der Stadt liegende Schloss hinweist. An der Stadtmauer entlang, durch viele verwinkelte Gassen sind wir fasziniert von den niedersächsischen Fachwerkbauten.
Konzerthalle Liebfrauen
Wir sehen das kleinste Haus, das Schiefe Haus und kommen schließlich zum Marktplatz. Das berühmte Rathaus ist verhängt und wir gehen um die Ecke, wo uns unser Führer auf die geschnitzten Köpfe hinweist, die der Künstler als Ratsmitglieder fertigen sollte, aber da er wohl zu schlecht bezahlt wurde, als Schweineköpfe herstellte.
Die Liebfrauenkirche am Marktplatz wurde entwidmet und zu einer Konzerthalle umgebaut. Federführend ist hier Kulturstiftungs-Vorsitzender Rainer Schulze, der auch einen bemerkenswerten Buchladen führt. Er sei, so erklärt uns Jürgen Feustel, die kulturelle Seele Wernigerodes.
Ausstellung Martin Donath. Foto: IK
Die Kulturstiftung Wernigerode führt auch die Galerie 1530 im 1. Stock, wo wir eine Ausstellung der Kultur- und Kunstpreisträgers Martin Donath besuchen, dessen Harzer Aquarelle unter dem Titel „Bilder aus einer anderen Zeit“ nostalgisch wirken.
Der dritte Tag gehört Quedlinburg. Die Welterbestadt wartet ebenfalls mit wunderschönen Fachwerkhäusern auf, wir aber streben hinauf zum Schloss und zur Stiftskirche St. Servatii, die im Jahr 936 nach dem Tod Heinrich I. gegründet wurde und seinem Totengedenken gewidmet ist.
In der Stiftskirche St. Servatii in Quedlinburg. Foto: IK
Die romanische Basilika ist ungemein beeindruckend. Insbesondere die Kombination der hochromanischen Architektur mit dem frei im Raum schwebenden modernen Kreuz von Thomas Leu bestechen. Wir finden in den Unterlagen, dass die Jury für die Auswahl des neuen Kreuzes der Kirche unter der Leitung von Professor Bernd Göbel aus Halle entschied, den KulturVision mehrfach im Landkreis Miesbach zu Gast hatte.
Quedlinburger Domschatz
Wir entdecken auch, dass die Kirche St. Servatii von den Nationalsozialisten unter Heinrich Himmler beschlagnahmt, profaniert und zu Weihestätten der SS umfunktioniert.
In den beiden Schatzkammern ist der Quedlinburger Domschatz mit den von einem amerikanischen Soldat 1945 gestohlenen und 1992 aus Texas zurückgekehrten Teilen zu sehen.
Der schwarze Poet Ric van Regel. Foto: IK
Wir steigen hinunter in die Altstadt und kommen am Klopstock Haus vorbei. Ganz in der Nähe aber werden wir von einem zeitgenössischen Poeten empfangen. Ric van Regel sitzt vor seinem Buchladen und erfreut uns mit seiner Lyrik, die von Liebe, Freundschaft, Glück und Frieden spricht.
Als wir ihn fragen, was wir in Quedlinburg anschauen sollen, empfiehlt er uns die „Ruine“. Fern vom Touristengetümmel am Marktplatz mit dem Steinernen Roland am Rathaus vorbei, entdecken wir das alternative Lokal, dessen Innenräume in Katakomben im Untergeschoss führen. In den Toiletten sind die Wände mit dem SED-Parteiorgan „Neues Deutschland“ tapeziert.
Im Lyonel-Feininger-Museum mit dem Fahrrad des Künstlers. Foto: IK
Zum Schluss besuchen wir das einzige Lyonel-Feininger-Museum der Welt. Mit der Sammlung des Quedlinburgers Hermann Klumpp sind hier die weltweit bedeutendsten Bestände an Druckgrafiken Feiningers vorhanden. In einem Film wird das Leben des bedeutenden Vertreters der Kunst der Klassischen Moderne nachgezeichnet. Zudem zeigt eine Sonderausstellung Werke von Hans Ticha, einem herausragenden Künstler der deutschen Pop-Art.
Beim Sommerfest. Foto: IK
Die Begegnung mit den Menschen im Harz war neben den kulturellen Höhepunkten in Wernigerode und Quedlinburg ein besonderes Erlebnis. Ob im Hotel oder beim Essen, in den Museen oder mit unserem Stadtführer, immer fiel die Freundlichkeit auf. Das erfuhren wir auch am letzten Abend, als wir in unserem Dorf zu einem Sommerfest eingeladen wurden. In einer alten Scheune mit liebevoll gesammelten Exponaten und bei fein Gegrilltem ließen wir diese Reise ausklingen.
Der Harz hat neben den Touristenattraktionen Brocken, Hexentanzplatz, Roßtrappe und vielen anderen eine reiche Kulturszene zu bieten. Die Städte sind liebevoll restauriert, die Fachwerkhäuser, Kirchen, Schlösser, Plätze und Klöster sehenswert, wobei romanischer und gotischer Baustil dominieren. Das Team von KulturVision fuhr beflügelt und inspiriert nach Süden und plant schon die Ost-Reise für 2026.