Endlich wieder Kunst im Schalthaus
Blick in die Kunstausstellung: Katrin André zeigt die Isolation der Jugendlichen während der Pandemie. Foto: IW
Ausstellung am Tegernsee
Nach der coronabedingten Zwangspause findet heuer endlich die 71. Tegernseer Kunstausstellung statt. Sie macht an unterschiedlichen Orten in Tegernsee auf sich aufmerksam.
Wer seit etwa zwei Wochen an der Tegernseer Länd entlangspaziert, reibt sich verwundert die Augen. Gleißend spiegelt sich die Sonne auf einer nackten Schönheit aus Bronzeguss. Die Venus von Otto Wesendonck ist eine der vier Skulpturen, die auf die 71. Tegernseer Kunstausstellung, die am Freitag in kleinem Kreis eröffnet wurde, verweist. Gleich neben dem Rathaus steht ein riesiger Kalksteinblock – die „Spirale“ von Bildhauer TOBEL. Im Kurpark kommt man nicht an Konrad Broxtermanns „Adam und Eva“ vorbei, ohne kurz stehenzubleiben, und vor der Tür des Alten Schalthauses schließlich werden die Besucher von Hans Weidingers fünf blauen Stelen aus Eiche empfangen. Drinnen entfaltet sich in drei Räumen in diesem Jahr endlich wieder die Tegernseer Kunstausstellung, die 1948 begründet wurde und nur ein einziges Mal pausieren musste – wie so vieles andere – im letzten Jahr.
71. Tegernseer Kunstausstellung zeigt Vielfalt
Die 30 Künstler mit ihren Werken aus Malerei, Keramik, Bildhauerei, Glaskunst, Objekt und Fotografie in den Räumen zu präsentieren ist jedes Mal eine Herausforderung. Nach der Zwangspause haben sich Hilo Fuchs, Linde und Peter Keck, Lisa Mayerhofer sowie Hans Schneider und Hans Weidinger beflügelt ans Werk gemacht und eine vielfältige und stimmige Ausstellung geschaffen. Neue Künstler sind dabei, wie Matthias Erhardt mit seinen aufwendig mit Goldfarbe gearbeiteten Linoldrucken mit dem Titel „Herzen“, und Künstler, die lange nicht vertreten waren, wie Jürgen Welker, dessen großformatige abstrakte Landschaft den Besuchern von der Stirnseite des großen Raumes her entgegenleuchtet.
Eva Knevels (2.v.l.) führt in die 71. Tegernseer Kunstausstellung ein. Foto: IW
Endlich wieder Kunst zeigen – man würde so gern schreiben „nach Corona“. Aber noch währt die Pandemie und daher beschäftigen sich auch die Künstler weiterhin mit dem Thema. Katrin André widmet sich in ihren zeitkritischen Bildern den Jugendlichen. Sie seien während der Pandemie in der Öffentlichkeit und im Diskurs quasi unsichtbar gewesen. Ihr Bild „Social Distancing“ zeigt Jugendliche in ihrer täglichen Monotonie und der Starre ihrer Isolation.
Auch Waltraud Milazzo beschäftigt, was die Pandemie mit den Menschen macht. Eine gesunde Portion Skepsis liegt in ihrer Skulpturengruppe „Männer, die regieren möchten“. Skeptisch schaut auch eine der beiden Keramikfrauen von Hilo Fuchs, während die zweite mit hoffnungsfroher Leichtigkeit zu tanzen scheint. Beides gehört für die Künstlerin, die seit ihrer Kindheit Gesichter studiert und aus Ton formt, zum Bewältigen dieser herausfordernden Zeit. Auch Christl Franz-Hennessy widmet sich mit ihren Fotografien „Kreuz bunt“ und „Totenhaus“ der Pandemie.
„Männer, die regieren möchten“ von Waltraud Milazzo, im Hintergrund ihr Wolkengänger in „Hommage an René Magritte“. Foto: IW
Im Durchgang ist die Papierarbeit von Lisa Mayerhofer zu sehen. Tausende Heftklammern, sonst Starre verkörpernd, halten gerissene Papierfetzen zusammen und damit eine fragile Landschaft aus Papier und Licht. Die Weichheit, die sie ausstrahlt, bricht sich an den präzisen Tuschezeichnungen Riccardo Milazzos, hinter denen er das Wortspiel „Pferd Ferd Erd“ versteckt.
Landschaften und Jahreszeiten
Wandelbar ist Peter Keck und seine Bilder überraschen – sie lassen sich ihm auf den ersten Blick nicht sogleich zuordnen. Bei näherer Betrachtung sind sein behutsamer Pinselstrich und der traumwandlerische Umgang mit den Farben unverkennbar. Kurt Gmeineder stellt dem fast unheimlichen „Nebel in da Fuizn“ seine helle „Ugmagde Wiesen“ gegenüber. Dass auch er gern den Stil variiert, zeigen seine abstrakten „Ferne Welten“, in denen korrodierte Töne dominieren.
Peter Keck nimmt mit neuer Bildsprache Abschied vom Sommer. Foto: IW
Dynamisch ans Meer entführt Heidi Barnstorf die Betrachter, die Ostsee ist ihr unerschöpflicher Inspirationsquell. Den Tegernsee in unterschiedlichen Facetten hingegen zeigen die mit schwungvollem Pinsel ausgearbeiteten Aquarelle Klaus Altmanns. Geht man den großen Raum bis zum Stirnende, beeindruckt linkerhand die bewegte Ballettszene „Transzendenz, Bolschoi“ von Ekaterina Zacharova, die mit ihrem bekannten Duktus sowohl Leichtigkeit als auch eine ungeheure Dynamik erzeugt. Dazu, neue Blickwinkel einzunehmen und das Gesehene zu hinterfragen, fordern die Fotografien von Eva Knevels, Priska Büttel und Sopi von Sopornyi auf.
Lesetipp: Grund zum Feiern – die 70. Tegernseer Kunstausstellung 2019
Die Werkschau der 30 Künstlerinnen und Künstler ist auch in diesem Jahr wieder sehr gelungen. Die Einbindung in die Lange Nacht der Kunst hat der Tegernseer Jahresausstellung einen zusätzlichen großen Schwung an Besuchern gebracht, die Kunst angeschaut und miteinander diskutiert haben.
Die „Venus“ von Otto Wesendonck macht an der Länd prominent Werbung für die 71. Tegernseer Kunstausstellung. Foto: Petra Kurbjuhn