Masako Ohta und Matthias Lindermayr am Ende des Konzertes am Tannerhof "NOZOMI"

Die leisen, kraftvollen Töne der Hoffnung

Masako Ohta und Matthias Lindermayr als kongeniales Duo am Tannerhof. Foto: IW

Konzert in Bayrischzell

Pianistin Masako Ohta und Jazztrompeter Matthias Lindermayr präsentieren am Tannerhof in Bayrischzell ihr zweites gemeinsames Album „NOZOMI“. Offiziell erscheint es erst im Februar – die Gäste in der Alten Tenn kamen bereits zum zweiten Mal in den Genuss eines Pre-Release-Konzertes.

Was passiert, wenn zwei Improvisationsmusiker zusammentreffen, eine Pianistin und ein Jazztrompeter, beides Münchener Musikpreisträger, die beide gleichermaßen imstande sind, ihren Instrumenten Töne zu entlocken, die weit jenseits der Skala unserer banalen Hörgewohnheiten liegen? Die beide musikalisch betrachtet eine minimalistische und zugleich sehr poetische, intuitive Sprache sprechen …?

Plakat zum Konzert von Masako Ohta und Matthias Lindermayr
Waren mittlerweile schon oft am Tannerhof: Masako Ohta und Matthias Lindermayr. Foto: IW

Dann entsteht eine kongeniale Zusammenarbeit, die selbstverständlich und leichtfüßig daherkommt, so sensibel wie vertraut, ungewöhnlich wie unerhört. Zumal zugleich zwei Generationen und zwei Kulturkreise aufeinandertreffen, hier der Deutsche, der sein Trompetenspiel in Boston am Berklee College of Music bei Tiger Okoshi verfeinerte, dort die Japanerin, die unter anderem Meisterschülerin des ungarischen Komponisten György Kurtág war und neben diesem auch Bach und Chopin und allen voran Ryūichi Sakamoto verehrt. Sie, die seit 1988 in München lebende Improvisationsmusikerin, in der Klassik bewandert, hätte sich nicht als Jazzmusikerin bezeichnet, und er, feste Größe in der Münchener Jazzszene und auch international gefragt – ein klassischer Musiker ist er seit seiner Jugend nicht mehr gewesen. Und seit 2019 nun: ein gemeinsames Projekt. 

Ja, was soll denn dabei herauskommen? Ein zweites Album natürlich! Nach dem ersten, das „MMMMH“ hieß und dazu einlud, die Musik zu genießen wie ein erlesenes Essen und danach auf das Klatschen zu verzichten und stattdessen den Musikgenuss mit einem glücklich-zufriedenen „Mmmmh“ zu bekunden, folgt nun das Album „NOZOMI“ – auf Deutsch: die Hoffnung.

Lesetipp: „MMMH“-Konzert am Tannerhof 2022

Stücke entwickeln Eigenleben

Beide Alben in einem Pre-Release-Konzert zu erleben, wurde im Herbst 2022 und am vergangenen Donnerstagabend den Gästen des Tannerhofes zuteil – einem Ort, an dem man sichergehen kann, Ungewöhnliches und Erlesenes zu Gehör zu bekommen. Unter dem großen Orangenmond in der Alten Tenn fanden sich etwa 30 Gäste zu einem feinen Wohnzimmerkonzert. Intim, ja, so kann man es getrost formulieren, denn das zweite Album, wie auch das erste, gibt viel vom Seelenleben der beiden Musiker preis, und selbstredend natürlich vor allem von ihrer musikalischen Genialität. Und das in diesem kleinen, feinen, fast familiären Rahmen – nicht umsonst wird der Tannerhof „das Versteck in den Bergen“ genannt. Fast traumwandlerisch verbinden sie die klassische und zeitgenössische Musikwelt mit improvisiertem Jazz miteinander. Wieder ist keines der Stücke in Stein gemeißelt, zwar in die Rillen von Vinyl gebannt, aber alles darf atmen, pulsieren, sich weiterentwickeln, verändern, wie die Jahreszeiten, wie der Fluss des Lebens.

Matthias Lindermayr
Jazztrompeter Matthias Lindermayr spielt mit ausgeprägtem musikalischen Nuancenreichtum. Foto: IW

Was hat sich vom ersten zum zweiten Album verändert? War dieses erste Konzert am Tannerhof im September 2022 der Anfang ihrer gemeinsamen Live-Improvisationen, haben sie inzwischen zahlreiche Konzerte gespielt, wurden für den Deutschen Jazzpreis 2023 nominiert. „MMMMH“ als „Ohrenschmaus“ vom BR zum „Jazz-Album des Monats“ gekürt und das Duo als „eine der aufregendsten musikalischen Konstellationen der aktuellen Szene“ bezeichnet. Eine gemeinsame Reise und acht Konzerte in Japan liegen außerdem hinter ihnen. Matthias Lindermayr ist tiefer in die japanische Kultur und ihre Ästhetik eingetaucht, aber sie fiel bei ihm ohnehin auf einen fruchtbaren Boden und tiefes Interesse.

Hommage an Sakamoto

Man habe sich gemeinsam weiterentwickelt und so sei auch das zweite Album eine Weiterentwicklung des ersten, so der Münchener, der alle neuen Stücke komponiert hat. Alle? Nicht ganz, eines ist eine Hommage an den im Jahr 2023 verstorbenen großen japanischen Musiker und Komponisten Ryūichi Sakamoto, dessen Kompositionen in Masako Ohtas Konzerten kaum je fehlten. Es ist das letzte Stück der A-Seite der Scheibe und heißt „Hibari“ – zu Deutsch: die Lerche. „Sakamoto hat es ursprünglich für elektronische Musik komponiert und daher ist es auf akustischen Instrumenten eigentlich unspielbar“, so Masako Ohta. Aber die Transkription für Piano und Trompete ist ihnen hervorragend gelungen.

Masako Ohta am Bechstein Flügel
Masako Ohta ist der Bechstein Flügel in Bayrischzell sehr vertraut. Foto: IW

Für Masako Ohta war die Entstehungszeit des Albums von persönlichem Verlust gezeichnet, daher habe sie nicht selbst komponiert – außer einem Stück, „To my brothers“, Bonustrack auf der CD, die zum Vinylalbum erscheinen wird. Daher sei ihr auch das Titelthema „Hoffnung“ wichtig gewesen. Was sie im Unterschied zur ersten gemeinsamen Platte rückblickend festhalten würde? „Es fühlt sich noch vertrauter mit Matthias an, ein wenig wie Heimat.“ Und das hört man den Stücken dieses intuitiven Musikprojektes zweifelsfrei an.

Rundum ästhetische Kostbarkeit

Das Album „NOZOMI“ ist wieder beim jungen Münchener Musiklabel SQUAMA erschienen und eine ästhetische Kostbarkeit an sich – den acht Stücken ebenbürtig. Es wird von einem Booklet begleitet, in dem der japanische Fotograf Daisuke Tomizawa den Stücken Schwarz-Weiß-Fotografien aus dem urbanen Raum zuordnet.

"Nozomi" auf Vinyl
„Nozomi“ auf Vinyl . Foto: SQUAMA RECORDINGS

Und am Tannerhof, wie bereits 2022, saßen die Gäste atemlos dem ganzen Spektrum einer Klangfülle der Trompete lauschend, das doch fast unmöglich erscheint: fein und klar geblasene Töne ebenso wie leises Zwiegespräch aus Atmen, Flüstern, Murmeln, eins mit dem Instrument. Wie Kristall, wie Raureif, wie Tagträume und perlendes Kinderlachen. Und Masako Ohta, tief die Musik atmend und empfindend am Klavier, das zugleich ihr Tasten- und Saiteninstrument ist – ein kongeniales Musikprojekt voller Töne aus Menschlichkeit, Nähe und behutsamem Respekt für alles Leben.

„NOZOMI“ von Masako Ohta & Matthias Lindermayr erscheint bei SQUAMA RECORDINGS am 14. Februar in der Kategorie JAZZ unter der Nummer SOM028 auf Vinyl (28,00 Euro) und als CD (15,00 Euro). Das Album „MMMMH“ ist noch auf Vinyl erhältlich für 25,00 Euro.

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