Auf der Umlaufbahn im Stau stehen
Was bedeuten Raum und Zeit, wenn die Zeit plötzlich still steht: Lydia Starkulla und Olaf Becker vom ensemble peripher. Foto: VC
Theater in Holzkirchen
Es muss nicht immer Kosmos sein, kann aber: Das ensemble peripher brilliert im Holzkirchner FoolsTheater mit „Das tollste Stücke in der Geschichte der Welt“. Hier wird Humor noch ernst genommen. Prädikat: himmlisch.
Dieses Stück ist ein Witz. Ein ziemlich großartiger nämlich. „Das tollste Stück in der Geschichte der Welt“ des britischen Dramatikers Ian Kershaw, das ist schon eine tolle Sache. Und ebenso toll ist es, dass das Holzkirchner ensemble peripher es derzeit im FoolsTheater aufführt. Premiere war am vergangenen Samstag, fünf Vorstellungen sind noch angesetzt.
Vom Schicksal gibt es kein Entkommen
Aber was bedeuten schon Raum und Zeit, wenn die Zeit plötzlich still steht? Der Raum als Tretmühle, angefüllt mit Wiederholungen, getarnt mit Zufällen, aber in der Konsequenz unausweichlich. Das nennt man dann wohl Schicksal. Und wo Schicksal ist, gibt es kein Entkommen, was in der Konsequenz auch etwas Beruhigendes haben kann.
Merkwürdigkeiten unterm Brennglas: Lydia Starkulla und Olaf Becker. Foto: VC
Auch Alltag ist ein Tag im All
Lydia Starkulla, Kristina Günther und Olaf Becker vom ensemble peripher versuchen gar nicht erst in Sachen Inszenierung noch sonderlich originell zu wirken, das Bühnenbild ist schlicht wie effizient, dominiert von Schuhkartons, wie überhaupt Schuhe als jeweilige Personenzuordnung eine nicht unwesentliche Rolle spielen. Alles ist hier in Bewegung und Erregung. Weil: Auch wer auf der Stelle tritt, kann ins Schwitzen kommen. Aber auf dem Absatz kehrt wird hier keiner machen, der sich auf diese wortgewaltige, zu Beginn etwas verwirrende Darbietung einlässt: Der Stoff aus dem die Schäume sind, birgt Geschichten von Zufall und Hoffnung, oberflächlich betrachtet ein Reigen-Mix aus Woody Allen, Kurt Vonnegut und „Anhalter durch die Galaxis“. Denn eigentlich geht es hier um die Merkwürdig- und Liebenswürdigkeiten allen menschlichen Handelns. Da verliert sogar der Tod seinen Schrecken. Merke: Im Kosmos ist eben auch immer Mikrokosmos. Und auch Alltag ist ein Tag im All, wenn die Liebe wie eine Formel ist. Knapp 90 Minuten dauert der Auftritt des ensemble peripher.
Liebe ist auch nur eine Formel. Oder? Kristina Günter, Lydia Starkulla und Olaf Becker. Foto: VC
ensemble peripher erzählt die Geschichte von Tom und Sara
Klar, vom All aus betrachtet ist das ja hier alles nur ein Witz: Die Handlung spielt in der Preston Road. Hier lebt Tom in der Nummer 28, der niemals sein Haus verlässt. Direkt gegenüber, in der Nummer 27, lebt Sara, die ständig unterwegs ist. Beide wissen nichts von ihren Namen, nichts von ihren Geschichten und nichts von den anderen Bewohnern der Preston Road, bis in dieser einen Nacht um 04:40 Uhr plötzlich die Zeit stehenbleibt und die Menschen hier die einzigen Menschen sind, die sich zwar durch Raum, aber nicht mehr durch die Zeit bewegen. Heißt letztendlich: Auf der Umlaufbahn im Stau stehen, ist nicht immer die schlechteste Option.
Alles in Bewegung und Erregung: Kristina Günter, Lydia Starkulla und Olaf Becker beim Schlussapplaus. Foto: VC
Here comes the sun
Und auch das gehört ja zur Wahrheit: Wenn die Zeit erst mal still steht, treten all die kleinen und großen Merkwürdigkeiten zu Tage wie unter einem Brennglas, das allzu Menschliche, eben das was uns Erdbewohner so sympathisch aber auch so lächerlich erscheinen lässt. Die Geschichten aus der Nachbarschaft, große Gefühle, das Sein als Formel, per aspera ad astra: Der Griff zu den Sternen ist immer auch mit Mühsal verbunden. Aber manchmal reicht zum Glück ja auch schon ein Beatles-Song.
Großes Theater in kleinem Rahmen: Das ensemble peripher setzt hier kraftvoll und nicht ohne Humor ganz eigene Akzente. Witzig, mitunter zum Staunen ist das, aber nie lächerlich. Dafür ist dieser Witz eine viel zu ernste Angelegenheit. Große Klasse!
Zum Weiterlesen: Menschenrechte und Menschenpflichten