Tegernseer Gespräche

Neue Reihe eröffnet: Tegernseer Gespräche

Tegernseer Gespräche (v.l.) unter Moderation von Michael Beck, Vorstandsvorsitzender der Olaf Gulbransson Gesellschaft, mit Kunsthistorikerin Andrea Bambi, Kulturwissenschaftlerin Elisabeth Tworek und Historiker Magnus Brechtken. Foto: IW

Museum am Tegernsee

Aus den Face-to-Face-Gesprächen heraus hat das Olaf Gulbransson Museum Tegernsee ein neues Diskussionsformat entwickelt: die Tegernseer Gespräche. Den Auftakt der Reihe machte eine Podiumsdiskussion zum Thema „Künstlersein im Nationalsozialismus“. Im Mittelpunkt standen Leben und Werk Olaf Gulbranssons im Kontext der Zeit.

Mit den Tegernseer Gesprächen führt das Museum den 2017 eingeschlagenen Weg fort, Aufklärungsarbeit zu leisten und offen mit der Geschichte umzugehen. Damals eröffnete die Ausstellung „Trügerische Idylle. Schriftsteller und Künstler am Tegernsee 1900 bis 1945“ eine kontroverse Diskussion und machte das Museum zugleich zum Vorreiter bei der Aufarbeitung der Zeit des Nationalsozialismus im Tegernseer Tal. Seitdem wird dort das Thema kontinuierlich diskutiert. Es nimmt sowohl bei der Neuausrichtung der ständigen Sammlung, bei den Führungen sowie in dem in diesem Jahr neu erschienenen Sammlungsführer eine wichtige Stelle ein.

Michael Beck, Vorstandsvorsitzender der Olaf Gulbransson Gesellschaft, bat drei prominente Gesprächspartnerinnen und Diskussionspartner zum ersten Tegernseer Gespräch, bei dem es nicht nur um Gulbranssons Werk und dessen Rezeption ging, sondern um generelle Fragen nach Verantwortung, Anpassung und moralischem Spielraum von Künstlern im „Dritten Reich“.

Elisabeth Tworek (leitet das Gabriele-Münter- und Johannes-Eichner-Stiftungsarchiv in Murnau, war langjährige Leiterin der Monacensia in München und setzt sich als Gemeinderätin in Murnau für die professionelle Aufarbeitung der NS-Geschichte ein) und Magnus Brechtken, (stellvertretender Direktor des Instituts für Zeitgeschichte in München und Experte für NS-Geschichte und Erinnerungskultur)
Elisabeth Tworek, langjährige Leiterin der Monacensia München, und Magnus Brechtken, Experte für NS-Geschichte und Erinnerungskultur. Foto: IW

So stellte der promovierte Historiker Magnus Brechtgen, stellvertretender Direktor des Instituts für Zeitgeschichte in München und Herausgeber des Kompendiums zur „Aufarbeitung des Nationalsozialismus“, gleich eingangs dar: „Jede Person, die 1933 erlebt, hat eine Wahl und greift auf ihre Erfahrungen zurück.“ Zugleich führte er aus, wie der Nationalsozialismus die Zeit und die Machtstrukturen in kürzester Zeit bis ins kleinste Tal hinein prägte – vor allem in Bayern, wo die Justiz bereits nach dem gescheiterten Putsch sehr nachsichtig mit Adolf Hitler umgegangen sei. Nur eine Minderheit habe sich klar distanziert und die große „unschlüssige Gruppe“ habe sich opportunistisch verhalten und zunächst einmal abgewartet und sich angepasst. „Auch Olaf Gulbransson macht erst einmal weiter wie zuvor, er bleibt in der Akademie …“

Zeitgeist am Tegernsee in den 1930er Jahren

Kulturwissenschaftlerin Elisabeth Tworek und Initiatorin der Ausstellung „Trügerische Idylle“, ordnete die Situation am Tegernsee zu dieser Zeit ein und stellte auch einen Bezug zu Murnaus Geschichte her: So traf der Zuzug von Nazigrößen sowie von Künstlern und Literaten auf eine mehrheitlich konservative Bevölkerung, wobei viele der frühen Zuzügler seit 1918 hochverdiente Militaristen gewesen seien, die die Vereine „gekapert“ hätten. Diese „Hauptgruppen“ unter die Lupe nehmend skizzierte sie den Zeitgeist am Tegernsee – und damit den Ort, an den Künstler Olaf Gulbransson sich zurückzog. Er schuf sich am Schererhof sein „Norwegen in Bayern“, um zu leben und zu malen. Was bedeutete das?

Tegernseer Gespräche: Galerist Michel Beck, Vorstandsvorsitzender der Olaf Gulbransson Gesellschaft und engagiert sich für die Vermittlung des künstlerischen Erbes von Gulbransson, und Dr. Andrea Bambi, Provenienzforscherin der staatlichen Museumsagentur Bayern und spezialisiert auf die Herkunft von Kunstwerken und NS-Raubkunst.
Michael Beck, Vorstandsvorsitzender der Olaf Gulbransson Gesellschaft, und Dr. Andrea Bambi, Leitung Provenienzforschung der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen. Foto: IW

Als langjährige Referentin des Museums beschrieb die promovierte Kunsthistorikerin Andrea Bambi die Situation, in der sich Olaf Gulbransson befand: Die Redaktion des Simplicissimus zerstört, seine Münchener Ausstellung geschlossen – „mit einem Schlag ein anderes Setting im Kulturleben“, auch für den Akademiekünstler mit der „kometenhaften Karriere“. Insbesondere nach dem Krieg sei die Vorstellung genährt worden, er habe am Tegernsee unpolitisch vor sich hingearbeitet – „aber wie unpolitisch kann ein Künstler in dieser Zeit sein, wenn man die NS-Kulturpolitik mitgestaltet?“

Gulbransson habe sich offensichtlich mit dem Regime arrangiert. Er profitierte von seiner Position – etwa durch die Anforderung eines polnischen Zwangsarbeiters für seinen Garten, für den er sich bei Hans Frank überschwänglich bedankte. Mit seiner Unterschrift unter dem Protest der „Richard-Wagner-Stadt“ gegen Thomas Mann trieb Olaf Gulbransson dessen Emigration mit voran. Aus einer langjährigen Freundschaft wurde Feindschaft.

Erste Tegernseer Gespräche - im Mittelpunkt stehen Werk und Künstler - Olaf Gulbransson
Erste Tegernseer Gespräche „Künstlersein im Nationalsozialismus“ – im Mittelpunkt stehen Werk und Künstler. Foto: IW

Betrachtet man all dies sei es wichtig, für Transparenz zu sorgen, Werk und Person getrennt zu betrachten und sich folgenden Fragen zu stellen: Was war seine Rolle? Was hat dazu geführt, dass er sich nicht aufgelehnt hat? Was war seine Rolle in der Reichskunstkammer? Wer es geschafft habe, im System zu bleiben, war – wie Olaf Gulbransson – in einer begünstigten Lage. „Das muss man ganz klar feststellen und das muss auch das Museum weiter kommunizieren“, so Andrea Bambi.

Riss durch die Gesellschaft

Die NS-Politik sei darauf ausgerichtet gewesen, die „inkludierten Künstler“ durch Begünstigungen zu korrumpieren, erläuterte Magnus Brechtken. Und deshalb sei es auch wichtig, am Beispiel Olaf Gulbranssons zu erklären, wie der Riss durch die Gesellschaft ging, wie in kürzester Zeit fundierte Freundschaften zu Feindschaften wurden. Der Historiker ordnete auch die Nachkriegszeit in Deutschland ein: Nachdem die Obersten bei den Nürnberger Prozessen verurteilt waren, habe man einen Haken an die Geschichte gemacht. Denen, die dagegen im Allgemeinen oder auch gegen Olaf Gulbransson im Speziellen protestierten, sei vorgeworfen worden, sie wären ebenfalls wie die Nazis: „Man wollte keine Auseinandersetzung.“

„Ich versuche immer, mich an dem Werk zu orientieren“, so Michael Beck auf die Frage, wie man heute mit Olaf Gulbransson in diesem Museum umgehen solle: „Wie hat sich das Werk des Künstlers während jener Zeit verändert?“ Viele wären auf den nationalsozialistischen Zug aufgesprungen und hätten verherrlichend gemalt. „Olaf Gulbransson hat sich zumindest in seinem Werk nicht angebiedert und korrumpieren lassen.“

Olaf Gulbransson malte die Landschaft mit Star 1943
Olaf Gulbransson „Landschaft mit Star“, 1943. Foto: VG Bild-Kunst, Bonn 2011

Am Tag als Stalingrad fiel malte Gulbransson das Winterbild mit dem Starkasten. Michael Beck: „Ist das schon eine Verweigerung?“ Auch für Andrea Bambi bleiben die leeren Schneelandschaften rätselhaft: „Was bedeuten sie in dieser Zeit? Rückzug, innere Migration, Nichtaussprechen?“

Wandel einer Region, die sich intensiv mit der Geschichte auseinandersetzt

Positives berichteten Magnus Brechtken und Elisabeth Tworek aus ihrer Erfahrung mit der wissenschaftlichen Aufarbeitung der NS-Geschichte. So hätten die Besucherzahlen des NS-Dokumentationszentrums am Obersalzberg die Erwartungen weit übertroffen. Nachdem man sich zuvor um den Tourismus gesorgt hatte, sieht die Region jetzt einen positiven Wandel, seit sie sich intensiv mit der Geschichte auseinandersetzt.

Auch die Gemeinde Murnau, wo Elisabeth Tworek als Dritte Bürgermeisterin im Gemeinderat die wissenschaftliche Aufarbeitung der Ortsgeschichte während der NS-Zeit mitbegleitet hat, habe von der Aufarbeitung profitiert. „Plötzlich hat man festgestellt, das ist ein Gewinn für die Region, man kann sogar in internationalen Austausch gehen.“ Beide ermutigten die Besucher der Veranstaltung, sich in ihren Kommunen für eine wissenschaftliche Aufarbeitung stark zu machen. „Das kostet zwar viel Geld, aber was man zuerst fürchtet, wird zu einer positiven Erfahrung“, so Magnus Brechtgen: „Das muss von Ihnen kommen, von unten, sonst funktioniert es nicht.“

Tegernseer Gespräche sollen offenen Austausch ermöglichen

Die Tegernseer Gespräche sollen auch künftig regelmäßig kritische Themen aus Kunst und Kultur beleuchten und einen offenen, sachlichen sowie sensiblen Austausch ermöglichen. Wichtig an diesen Diskussionen sei, das Werk und die Person des Künstlers als Akteur im Umfeld dieser Zeit einzuordnen. „Über beides muss man sprechen, um zu verstehen, was Gesellschaften in bestimmten Zeiten kippen lässt und wie es kommt, dass sich Menschen in solchen Zeiten so verhalten“, so ein Feedback aus dem Publikum während der Diskussionsrunde.

Weiterlesen: „Entartet und Gottbegnadet“- Christian Rohlfs und Olaf Gulbransson

Alle Veranstaltungen im Olaf Gulbransson Museum sowie Informationen zur laufenden Sonderausstellung „Raus in die Natur!“ finden Sie auf der Webseite des Museums.

 

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