Kummer im Westen

„Kummer im Westen“ und im Osten

Alexander Kühne. Foto: Random House-Erik Weiss

Neuerscheinung auf dem Buchmarkt-Buchtipp der Redaktion

Der Titel des neuen Romanes von Alexander Kühne ist zweideutig, denn sein Titelheld heißt Anton Kummer und er geht nach dem Mauerfall tatsächlich in den Westen und hat dort Kummer. Den hat er allerdings auch im Osten. Und wo kann er letztlich seine Visionen umsetzen?

Es war eine Zeit der großen Emotionen und Hoffnungen, eine Zeit der Tränen, des Glücks, des Überschwanges, November 1989. Anton Kummer muss die große Nacht, als die Mauer in Berlin fiel, allerdings nach einem Unfall im Krankenhaus verbringen. Damit endet der erfolgreiche Vorgängerroman „Düsterbusch City Light“, in dem der Protagonist das Jugendleben in seinem Heimatort irgendwo im Spreewald musikalisch aufmischt.

Der neue Roman „Kummer im Westen“ setzt genau dort ein. Anton, kaum gesundet, macht sich auf den Weg nach Westberlin. Nicht mehr Mauer und Stacheldraht, sondern Drehkreuz und Lamellen am Eingang des Supermarktes, sind jetzt für ihn Zeichen der Teilung, an denen er versagt. Wie viele Ossis kommt er sich gegenüber den sicheren Wessis, die wissen, dass man den Einkaufswagen durch die Lamellen schieben muss, dumm, unbeholfen und wie ein kleines Licht vor. Fassungslos nimmt er zur Kenntnis wie die Wessis ungestraft ihre Politiker verunglimpfen können und fragt sich, wie viele Jahre Stasiknast wohl ein Bärtchen auf Egon Krenz‘ Oberlippe eingebracht hätte.

Zerbröselte Vision

Aber er ist auch frustriert und enttäuscht, denn keiner im Goldenen Westen will etwas mit ihm zu tun haben, die große Freiheit entpuppt sich als großes Desinteresse. Hier hat keiner auf den Punk aus dem Osten gewartet. Zurück in Düsterbusch erfährt er, wie die Wende die Menschen verändert hat. Die straffe Genossin Schulrätin war sofort aus der SED aus- und in die katholische Kirche eingetreten. Und er traf auf gestrandete Existenzen, die als Finanzberater große Geschäfte machen wollten. „Meine Vision ist total zerbröselt“, muss er feststellen, einzig Irina kann ihn vielleicht ermuntern.

Beatles und Stones im Osten

Dass er jetzt allerdings den „Musikexpress“ an jedem Kiosk kaufen kann, macht den Westen doch wieder attraktiv. Andererseits muss er den Niedergang der Wirtschaft in seiner Heimat erleben, auch den Menschen geschuldet, die plötzlich keine Rotstern-Schokolade mehr kaufen, sondern nur noch Westprodukte. In diesem Strom schwimmt Anton Kummer, unterstützt von Irina mit, denn er verkauft jetzt für eine Westfirma im Osten Schallplatten. Beatles, Stones, Genesis, sie werden ihm aus den Händen gerissen und er begreift viel zu spät, was sich hinter dem Begriff Bootleg verbirgt.

Kummer im Westen

Alexander Kühne hat mit „Kummer im Westen“ einen Roman geschrieben, in dem er das Leben, die Gefühle, die Hoffnung und die Enttäuschung der Ostdeutschen wie mit einem Brennglas einfängt. Schnörkellos, mit schnoddrigem Ton dokumentiert er die Visionen und das Scheitern seines Helden, Kummer im Westen und im Osten. Denn eins ist klar: Das Land des Kleinmuts und der Denunzianten, die DDR also, wollte er auch nicht wiederhaben. Auch nicht das Gegängel und Betrügen der Partei- und Staatsführung.

Was also ist die Zukunft? Wie kann man seine Visionen behalten? Muss man sich vom BMW beeindrucken lassen, neben dem Vaters Wartburg sich doch sehr bescheiden ausnimmt? Wie kommt man damit zurecht, dass die Freundin plötzlich einen anderen hat?

Was die Menschen zur Wendezeit bewegt

Der Autor spricht die Fragen an, die die Menschen zur Wendezeit bewegten, ebenso wie allgemeine Fragen des Menschseins, etwa, wenn es um seine Beziehung zu seinen Eltern geht. Der Ossi findet sich an vielen Stellen wieder und in den eigenen Empfindungen ertappt. Das Buch ist kein intellektueller Wenderoman wie etwa „Der Turm“ von Uwe Tellkamp, es ist eine Wiedergabe von dem, was war, authentisch, traurig, witzig, alles in einem.

Alexander Kühne „Kummer im Westen“, Wilhelm Heyne Verlag München 2020

Zum Weiterlesen: Eindrücke und Gedanken zwischen Ost und West

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