Zukunftskunst – ein Schlüsselbegriff für die Transformation?
Uwe Schneidewind, Heinrich Bedform-Strohm, Stefanie Wahl und Markus Vogt (v.l.) in der LMU München. Foto: Petra Kurbjuhn
Podiumsdiskussion in München
Welche Rolle kommt den Kirchen beim notwendigen Wandel zu nachhaltigeren Lebens- und Wirtschaftsweisen zu? Zur Beantwortung dieser Frage hatte die Stiftung kulturelle Erneuerung hochkarätige Experten eingeladen, die die Potenziale der Kirchen, ihre Verantwortung aber auch ihre Defizite darstellten.
Die kleine Aula der LMU München konnte die vielen Interessierten kaum fassen, die sich zur Podiumsdiskussion eingefunden hatten. Stefanie Wahl, Geschäftsführerin der Stiftung kulturelle Erneuerung, begründete eingangs die Notwendigkeit einer großen Transformation unserer Gesellschaft.
Westlicher Lebensstil
Nicht nur Klimawandel und Ressourcenknappheit, sondern auch eine Verschlechterung im menschlichen und ethischen Bereich kennzeichnen die westliche Lebenswelt. Umweltbelastende Produktionen würden in die Dritte Welt verlagert. „Ein Teil der Menschheit konsumiert mehr und mehr und ein anderer hat nichts“, stellte sie fest.
„Geliehen ist der Stern auf dem wir leben“ – Papier der EKD zur Agenda 2030. Foto: Petra Kurbjuhn
„Unsere Kultur lässt uns zu Selbstmördern werden“
Aber auch der Wohlstand in der westlichen Welt sei nicht zukunftsfähig. „Unsere Kultur lässt uns zu Selbstmördern werden“, brachte Stefanie Wahl die Situation auf den Punkt. Die große Transformation, ein Kultur- und Wertewandel sei dringend erforderlich, bei dem den Kirchen eine wichtige Rolle zukomme. Mit „Laudato si“ habe sich Papst Franziskus deutlich zu Wort gemeldet und jetzt habe auch die Evangelische Kirche in Deutschland ein Impulspapier zur Agenda 2030 vorgelegt.
Uwe Schneidewind, Präsident des Wuppertal Institutes für Klima, Umwelt, Energie. Foto: Petra Kurbjuhn
Der ökologische Diskurs sei bislang rein naturwissenschaftlich-technologisch geführt worden, sagte Uwe Schneidewind, Präsident des Wuppertal Institutes für Klima, Umwelt, Energie sowie Vorsitzender der Kammer für Nachhaltige Entwicklung der EKD. Der Betriebswirt und Mitglied des Club of Rome publizierte kürzlich das Buch „Die Große Transformation – Eine Einführung in die Kunst gesellschaftlichen Wandels“.
Zivilisationssprung ist möglich
In diesem Buch forderte er einen anderen, nicht rationalistischen Zugang zum Thema. Seine humanistische Vision ist es, 10 Milliarden Menschen die Chancen für ein würdevolles Leben unter der Bedingung eines begrenzten Planeten einzuräumen. „Jetzt ist ein Zivilisationssprung möglich und wir dürfen mitwirken“, sagte Schneidewind. Er führte den Begriff der „Zukunftskunst“ als bewusstes Signal ein, dass Naturwissenschaft nicht ausreicht, sondern der Kunst und Religion für eine lebenswerte Vision bedürfe. Den Kirchen komme in diesem Prozess die Rolle des Motors und Mittlers, sowie der mahnenden, aufrüttelnden Instanz zu.
Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm. Foto: Petra Kurbjuhn
Die evangelische Kirche befasse sich schon seit langem mit den Themen Frieden, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit, betonte Heinrich Bedford-Strohm, Landesbischof und Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland. Mit dem Buch „Geliehen ist der Stern, auf dem wir leben“ nutze man die Kraft der Erzählung, um die notwendige Veränderung voranzutreiben.
„Alle Kreaturen haben eine Würde“
Die Texte der Bibel seien immer wieder missbraucht worden. Nicht von Ausbeutung der Erde sei darin die Rede, sondern davon, dass Gott die Welt erschaffen habe und sie deshalb nicht in unserer Verfügung sei. „Alle Kreaturen haben eine Würde und wir haben die Verantwortung für die Schöpfung“, sagte Bedford-Strohm. So könnten die Narrative der Bibel die Herz und Seele ansprechen, die Transformation fördern. Bei der Veränderung böten die Kirchen zudem durch ihre Verwurzelung vor Ort und ihr globales Netzwerk eine große Chance. „Einen Beitrag für die Weltgemeinschaft und die Überwindung der Gewalt“, das könnten die Kirchen leisten, meinte der Landesbischof.
Markus Vogt, Professor für Sozialethik an der LMU München. Foto: Petra Kurbjuhn
Großartiger Auftrag für Theologie
Markus Vogt, Professor für Christliche Sozialethik an der Katholisch-Theologischen Fakultät der LMU München, hat eine Transformationsethik in seinem Buch „Wandel als Chance oder Katastrophe“ vorgelegt. Er fordert eine Verankerung des Themas Transformation im eigenen Selbstverständnis. Und er stellt die Fragen: „Was gibt dem Leben Zukunftsfähigkeit?“ „Ist Ökologie eine Ersatzreligion?“ Kritisch stellt er fest, dass die Kirchen Teil des Problems aber auch Teil der Lösung sind. Denn Religion bringe Hoffnung jenseits von Fortschrittsoptimismus ins Spiel. „Die kulturelle Revolution ist ein großartiger Auftrag für die Theologie“, sagte Vogt.
Stefanie Wahl, Markus Vogt, Uwe Schneidewind, Heinrich Bedford-Strohm (v.l.) . Foto: Petra Kurbjuhn
Sowohl die Potenziale als auch die Defizite der Kirchen lägen auf ideologisch/religiöser als auch auf der praktischen Ebene, fasste Stefanie Wahl zusammen. Die Potenziale seien blockiert, das Zeitfenster aber sehr klein. Die Kritik sei berechtigt, räumte der Landesbischof ein, noch immer würde sowohl praktisch als auch in der ethischen Vertiefung zu wenig getan. „Jetzt müssen wir pragmatisch denken, was man tun kann, wie man das Leben umstellen kann.“
Geistige Trägheit ist Hindernis
Markus Vogt stellte heraus, dass die geistige Trägheit ein Hindernis im Prozess sei, dass man eine kulturelle Tiefendimension brauche und dabei die Konfliktpotenziale weder verharmlosen noch in einen „5 vor 12-Aktivismus“ verfallen dürfe. Auch Uwe Schneidwind forderte eine theologische Unterfütterung der Ökodebatte. „Die Kraft der Kirchen liegt auf einer anderen Ebene als die Anbringung von Solarpaneelen“, sagte er.
Vertrauen statt Angst
Bei diesem wichtigen Thema sollten doch alle Religionen zusammenarbeiten, meinte Stefanie Wahl, dem stimmten die Diskutanten zu. Man müsse daneben auch Politik und Ökonomie einbeziehen, hier könnten die Kirchen eine wichtige Übersetzungsleistung erbringen. Religion, so Markus Vogt, könne Wesentliches einfach sagen, damit zur Überwindung der Angst beitragen, die die Gesellschaft brüchig werden lasse. Vertrauen in eine gute Schöpfung, in eine Ökonomie des Teilens, in die Gemeinschaft, das könnten Kirchen in den Transformationsprozess einbringen.