Kardinal Reinhard Marx

Zwischen Kult, Kultur und Demokratie

Das neue Buch von Kardinal Reinhard Marx: „Kult“. Foto: Josef Fuchs

Buchvorstellung in München

Im ausverkauften Bergson Kunstkraftwerk stellte Kardinal Reinhard Marx sein neuestes Buch „Kult – Warum die Zukunft des Christentums uns alle betrifft“ vor. In einem spannenden Gespräch mit dem bekannten Soziologen Hartmut Rosa standen die Themen Kult, Kultur und Demokratie zur Diskussion. Die Moderation übernahm die Politikwissenschaftlerin Ursula Münch.

Kardinal Reinhard Marx
Diskussionsrunde im Bergson Kunstkraftwerk: Prof. Dr. Ursula Münch, Kardinal Reinhard Marx und Prof. Dr. Hartmut Rosa (v.l.n.r.). Foto: Josef Fuchs

Kein Christentum ohne Kult

Christentum und Kult gehören aufs Engste zusammen, ja noch mehr: Christentum ist Kult. Dies ist die Hauptbotschaft des neuen Buches von Marx. Es ist ein sehr persönliches, selbst- und kirchenkritisches Essay. Gleich am Anfang, ähnlich wie das Schuldbekenntnis im Gottesdienst, kommt der Hinweis auf den sexuellen Missbrauch in der Kirche. Daraus schlussfolgert er, dass nicht das Amt oder die Kirche, sondern der Mensch im Mittelpunkt stehen muss. Danach fokussiert er seine Gedanken auf den Sonntag und die Eucharistiefeier als Kern des christlichen Kults. Er zitiert den berühmten Satz des Theologen Johann Baptist Metz an: „Die kürzeste Definition von Religion: Unterbrechung.“ Der christliche Kult unterbricht das Funktionieren, Produzieren und Konsumieren. Die Religion kann dem Menschen Ort und Zeit geben, innezuhalten, über sich und sein Leben nachzudenken und vielleicht die „Notwendigkeit des Nutzlosen“ zu entdecken. Aus diesem Grund sind für Marx der Sonntag und der christliche Kult nicht nur für Christinnen und Christen wichtig, sondern für die ganze Gesellschaft. Religion kann einen wesentlichen Beitrag zu Stärkung der Menschenwürde und der menschlichen Freiheit beitragen.


Intensiver Dialog zwischen Reinhard Marx und Hartmut Rosa. Foto: Josef Fuchs

Demokratie braucht Religion

Dies sieht auch Hartmut Rosa so und behauptet sogar: „Demokratie braucht Religion“, wie auch der Titel seines gleichnamigen Buch von 2022 heißt. „Die Gesellschaft, ja die Demokratie bedarf der Fähigkeit, sich anrufen zu lassen“, so Rosa. Religion und Gesellschaft stehen in Resonanz zueinander. Das Christentum hat in der Vergangenheit mit der Idee der Menschenwürde einen Grundstein für die freiheitlich demokratische Grundordnung gelegt. Heute kann die Kirche der Gesellschaft sinn- und gemeinschaftsstiftende Impulse geben. Sie kann Raum und Zeit eröffnen für zuhören, anrufen zu lassen oder einfach Mensch zu sein. Der christliche Kult kann so zum Ausgangspunkt für eine Resonanzbeziehung zwischen allen Menschen in der Gesellschaft werden.


Buch von Hartmut Rosa: „Demokratie braucht Religion“. Foto: Josef Fuchs

Vom Verschwinden der Rituale

Auf die Frage von Ursula Münch, warum die Strahlkraft des christlichen Kults in unserer Zeit so stark nachgelassen hat, konnte auch Marx keine schlüssige Antwort liefern. In diesem Zusammenhang möchte der Autor dieses Artikels auf das Buch „Vom Verschwinden der Rituale“ vom Philosophen Byung-Chul Han hinweisen. Gründe für das Verschwinden der Rituale sieht er in der heutigen Lebensweise, die geprägt ist von der digitalen Kommunikation, von der Jagd nach Aufmerksamkeit, vom Zwang des immer schneller, höher und weiter. Ein Ritual oder eine Kulthandlung wird nicht besser oder intensiver erlebt, wenn der Vollzug beschleunigt wird. Rituale geben dem Menschen einen Halt und einen Rhythmus in seinem Leben. Für Han ist „die christliche Religion im ausgeprägten Maße narrativ. Festtage wie Ostern, Pfingsten und Weihnachten sind narrative Höhepunkte innerhalb des Gesamtnarrativs, das Sinn und Orientierung stiftet. Jeder Tag erhält eine narrative Spannung, eine Bedeutsamkeit vom Gesamtnarrativ. Die Zeit selbst wird narrativ, das heißt bedeutsam“. Zusammen mit Hartmut Rosa, den Han in seinem Buch zitiert, weist er auf die Bedeutung der Rituale für die Gesellschaft hin. „Rituale bringen eine Resonanzgemeinschaft hervor, die zu einem Zusammenklang, zu einem gemeinsamen Rhythmus fähig ist.“

Rituale, Kult, Kunst und Kultur verhelfen dem Menschen zu einem Leben in Fülle und Würde. So ist es kein Zufall, dass die Religionen in ihren jeweiligen Kulturkreisen zu allen Zeiten wichtige Impulsgeber für Architektur, Musik, Literatur, bildende Kunst und kulturelles Leben waren und sind.

Lesetipp: „Ohne Kultur sind wir komplett verloren.“

Reinhard Marx: „Kult – Warum die Zukunft des Christentums uns alle betrifft“, 2025 Kösel-Verlag München
Hartmut Rosa: „Demokratie braucht Religion“, 2022 Kösel-Verlag, München
Byung-Chul Han: „Vom Verschwinden der Rituale“, 2029 Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin

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