
In der Lederhose leben und sterben
Klaus Wittmann und Musiker Hermann Huber im Ludwig-Thoma-Haus in Tegernsee. Foto: CS
Vortrag in Tegernsee
Diesen Wunsch äußerte Ludwig Thoma, bayerischer Schriftsteller, Dichter und Satiriker, einmal. Am vergangenen Samstag erinnerte Klaus Wittmann im ehemaligen Wohnhaus des Schriftstellers in Tegernsee an sein Leben und Werk – musikalisch begleitet vom bekannten oberbayerischen Ziachspieler Hermann Huber.
Inmitten der Bilderbuchidylle des Tegernsees steht das Bauernhaus von Ludwig Thoma, die Tuften, an der Grenze zu Rottach-Egern. Ein herrliches Fleckchen Erde. Das empfand auch Ludwig Thoma so: „Es ist der schönste Platz, den ich im ganzen Land Tegernsee gesehen habe!“, berichtete er einst einem Schulfreund. „Ich werde zwei bis drei Kühe halten, Obst bauen, ein prächtiges Bauernhäusl errichten lassen und hier in der Lederhose leben und sterben.“
Auf der Tuften findet Ludwig Thoma seine Heimat
Die Umsetzung dieses Plans gelang Ludwig Thoma. Tatsächlich verbrachte er fast 14 Jahre an diesem Ort – bis zu seinem Tod 1921. Geboren 1867 in Oberammergau, lebte er bis zum siebten Lebensjahr im Forsthaus des Vaters in Vorderiß, einem abgelegenen Ort an der Tiroler Grenze. Nach dem Tod des Vaters zog die Mutter mit den acht Kindern mehrfach um, unter anderem nach Prien am Chiemsee. Zudem verbrachte er seine Schulzeit an verschiedenen Schulen und Internaten, die er häufiger auch wegen seiner renitenten Art verlassen musste. Eine rastlose Jugend, die er später in seinen berühmten „Lausbubengeschichten“ verarbeitet.
Das Wohnhaus von Ludwig Thoma am Tegernsee. Foto: CS
Am Tegernsee fand Ludwig Thoma 1908 dann endlich seine Heimat: „Hier bin i dahoam“, sagt er über diesen magischen Ort. Noch heute ist das Haus, das er sich nach den Plänen seines Freundes, des Malers und Bildhauers Ignatius Taschner, erbauen ließ, originalgetreu erhalten. Es befindet sich mittlerweile im Besitz der Landeshauptstadt München und öffnet hin und wieder für Veranstaltungen die Pforten.
Bauernstube im Ludwig-Thoma-Haus auf der Tuften
„Heute haben wir dieses außergewöhnliche Privileg, in seiner gemütlichen Bauernstube sein zu dürfen“, sagt Klaus Wittmann. Er kennt Ludwig Thomas Werke wie kein anderer und hält seit zehn Jahren im Thoma-Haus regelmäßig Vorträge über ihn. „Die Tuften heißt übrigens so wegen des Tuffgesteins, auf dem sie steht“, klärt er auf.
Auch für die musikalische Begleitung sorgt der Tölzer. So ist am vergangenen Samstag Ziach-Spieler Hermann Huber eigens aus dem Berchtesgadener Land angereist. Der zweifache Weltmeister auf der diatonischen Harmonika spielt gleich zum Auftakt der Lesung „a boarischs Tanzl“ für die zahlreichen Gäste auf, die in der Stube Platz genommen haben.
Hirsch-Geweihe, Gams-Krickerln und Reh-Gehörne
„Die Stube hat alles, was eine Bauernstube haben muss“, sagt Klaus Wittmann und deutet auf den riesigen Kachelofen, die massive Eckbank mit dem Holztisch und den Herrgottswinkel. An den Wänden hängen unzählige Jagdtrophäen – insgesamt über 180 Hirsch-Geweihe, Gams-Krickerln und Reh-Gehörne. Sie seien vom passionierten Jäger Ludwig Thoma nicht nur selbst erlegt, sondern auch mit einer sorgfältigen Beschriftung versehen worden, wo und wann dies geschah, erklärt er. Neben zahlreichen Bildern und Fotos fällt auch ein großes Porträt von König Ludwig ins Auge, ein handsigniertes Geschenk des Königs an den Vater Thomas.
Klaus Wittmann erklärt die Besonderheiten der Bauernstube. Foto: CS
Diese Stube war von großer Bedeutung für Ludwig Thoma und auch ein Ort der Inspiration. Hier saß er mit Freunden wie Schriftsteller Ludwig Ganghofer, Kammersänger Leo Slezak und Maler Olaf Gulbransson gesellig beisammen. Hier spielte er leidenschaftlich gern das Kartenspiel Tarock und rauchte Pfeife. Am Esstisch und an seinem Schreibtisch im Arbeitszimmer im oberen Stock entstanden zudem viele seiner wichtigsten Werke. So etwa das dramatische Schauspiel „Magdalena“ (1912), die Romane „Der Wittiber (1910) und „Der Ruepp“ (1921) sowie seine bayerische Weihnachtslegende „Heilige Nacht“ (1915/16), die bis heute noch gerne in der staden Zeit gelesen wird.
Klaus Wittmann trägt „Der Münchner im Himmel“ vor
Auf der Tuften habe Ludwig Thoma mutmaßlich auch sein wohl berühmtestes Satire-Stück geschrieben, erzählt Wittmann weiter: „Der Münchner im Himmel“. „Manche meinen, dass es bis heute nicht an Aktualität verloren hat“, ergänzt er lächelnd und trägt die satirische Kurzgeschichte vom Amtsboten Alois Hingerl zur Freude des Publikums vor. Wie er in den Himmel kommt, die himmlische Ruhe mit grantigem Frohlocken stört und schließlich von Gott wieder als Bote zurück nach München geschickt wird.
Statt seinen Auftrag zu erfüllen, kehrt Engel Aloisius an seinen Stammplatz im Hofbräuhaus zurück und bestellt eine Maß nach der anderen. „So wartet die bayerische Regierung bis heute vergeblich auf die göttlichen Eingebungen“, liest Wittmann den Schlusssatz der Geschichte dem schallend lachenden Publikum vor.
Ludwig Thoma als Chefredakteur des Simplicissimus
„Der Münchner im Himmel“ war eine von über 800 Beiträgen, die Ludwig Thoma für die politische und gesellschaftskritische Satire-Zeitung „Simplicissimus“ schrieb. Thoma, der eigentlich Jurist war und einige Jahre eine Anwaltskanzlei in Dachau und später in München betrieb, war zuerst Redakteur und später sogar zwölf Jahre lang Chefredakteur des Blattes. Sein juristischer Sachverstand war von Nutzen, erzählt Wittmann, zumal damals Presse- und Kunstfreiheit nicht wirklich existierten.
Ein Foto von Ludwig Thoma, der ein passionierter Jäger war. Foto: Monika Heppt
Sein juristischer Hintergrund half jedoch nicht viel. 1906 musste er wegen des Spottgedichtes „An die Sittlichkeitsprediger in Köln am Rheine“ einen sechswöchigen Strafarrest in Stadelheim absitzen. Von seinem eigenen Berufsstand hielt Ludwig Thoma ohnehin nicht viel: So stammt der berühmte Satz „Er war ein guter Jurist und auch sonst von mäßigem Verstande“ aus seiner Feder („Der Vertrag“, 1901).
Gescheiterte Ehe, unglückliche Liebe
So glücklich Ludwig Thoma mit seinem Wohnort am Tegernsee war, so unglücklich war doch sein persönliches Leben. Die Ehe mit seiner Frau Marietta di Rigardo, einer philippinisch-schweizerischen Tänzerin, die er Marion nannte, scheiterte. Seine große Liebe war jedoch Maidi von Liebermann, Tochter einer wohlhabenden jüdischen Familie, die er 1918 in Rottach überraschend wiedertraf.
Die beiden wurden zwar ein Paar, aber zu ihm auf die Tuften zog sie dennoch nicht. Zumal sie verheiratet war und ihr damaliger Mann die Scheidung verweigerte. Eine schwere persönliche Niederlage für den Schriftsteller, der sie so gerne als seine Ehefrau an seiner Seite gehabt hätte. Kurz vor seinem Tod setzte er seine geliebte Maidi als Haupterbin ein. Sie erhielt sein Haus, das sie später, um es zu erhalten, in eine Pension verwandelte, sowie die Verlags- und Urheberrechte an seinem Werk. 1946 übertrug sie diese dem Piper-Verlag und 1964 übergab sie die Tuften an die Landeshauptstadt München.
Die dunkle Seite Ludwig Thomas – antisemitische, antidemokratische Hetzschriften
Seine letzten Jahre waren von schweren Depressionen und Krankheit gekennzeichnet. Freunde und Weggefährten wie etwa Ludwig Ganghofer starben. Ludwig Thoma zog sich immer mehr in sein Haus zurück. „Er war ein gebrochener Mann – innerlich zerrissen“, erzählt Klaus Wittmann.
In dieser Zeit trat auch die dunkle Seite und der widersprüchliche Charakter des Schriftstellers zu Tage. In seinen letzten beiden Lebensjahren veröffentlichte er anonym antisemitische und antidemokratische Schimpf- und Hetzschriften im „Miesbacher Anzeiger“. Ein Umstand, der den Ruf des einst so beliebten bayerischen Dichters schwer schädigte, und ihn zu einer tragischen Figur macht.
Am 26. August 1921 stirbt Ludwig Thoma im Alter von 54 Jahren an Magenkrebs. Sein Leichnam wurde an jenem Ort aufgebahrt, der eine so große Rolle in seinem Leben gespielt hatte: in seiner Bauernstube auf der Tuften.