
Von Schliersee nach Melbourne und zurück: Ein Briefwechsel
Hurra, die Post ist da! Foto: mi
Glosse zum Sonntag
Ich habe mal etliche Jahre in Melbourne gelebt, in Australien, und habe noch einige Freunde dort. Eine meiner Freundinnen, Francis, gehört – wie ich übrigens auch – zur aussterbenden Spezies der Menschen, die tatsächlich noch richtige, sogar handgeschriebene, Briefe schreiben.
Kürzlich jedoch teilte Francis mir mit, dass sie das Briefeschreiben nun aufgeben würde. Bestürzt fragte ich nach dem Grund. Hatte sie sich den Arm gebrochen oder Arthrose in den Fingern? Im höheren Alter stellt sich ja so einiges ein. „Nein, nein“, versicherte sie, „ich bin völlig gesund, aber die australische Post pfeift aus dem letzten Loch. Die verschickt einen Brief innerhalb Melbournes offenbar quer über den ganzen riesigen Kontinent, bevor sie ihn dann erst Wochen später zustellt. Bis dahin“, so schimpfte sie, „ist meine Geburtstagsfeier, zu der ich eingeladen habe, längst vorbei. Und“, so fügte sie hinzu, „im August bin ich ehrlich gesagt auch nicht in der Stimmung, eine Weihnachtskarte an Dich zu schreiben. Dann lasse ich’s doch lieber.“
Postkarte von Francis mit Rosakakadu.
Francis hatte recht: Die letzte Weihnachtskarte von ihr war tatsächlich erst Ostern bei mir angekommen. Um meine Freundin zu trösten, schrieb ich postwendend zurück: In Deutschland sei auch nicht alles Gold, was glänzt, so schrieb ich – jedenfalls was die deutsche Post angeht. Ich erzählte ihr die Geschichte, die meinem Mann neulich passiert war. Der, seines Zeichens Hobbymaler, wollte eines seiner Bilder an seinen Bruder schicken (der übrigens auch in Australien wohnt, aber das tut hier nichts zur Sache). Mein Mann verpackte das Bild also sorgfältig – eine Sache von mehreren Stunden, weil es spezielles und teures Packpapier und zum Schutz diverse Pufferschichten braucht – und stiefelte damit zur Post. Das Paket war noch unbeschriftet, da mein Mann einen offiziellen Aufkleber mit Zollerklärung benutzen wollte. In der Postfiliale angekommen, fiel ihm jedoch ein, dass er die neue Adresse seines Bruders, der kürzlich umgezogen war, noch nicht in sein Notizbuch eingetragen hatte – er musste also, wegen der Adresse, schnell nochmal nach Hause. Da er das Paket nun – mit einem Maß von 1 Meter x 80 cm x 12 cm immerhin von stolzer Größe – aber nicht erst wieder heimschleppen wollte, ließ er es (mit Genehmigung der Postfrau) in der Postfiliale. Die Postfrau stellte es eigenhändig an einen sicheren Platz.
Was soll ich sagen, als mein Mann zurückkam, war das Paket nicht mehr da. Die Postfrau schaute überall nach, suchte in jeder Ecke ihres Ladens, aber das Paket war und blieb weg. Plötzlich dämmerte der Postfrau, dass zwischenzeitlich der Paketbote dagewesen war und die Pakete abgeholt hatte. Sie fasste sich an den Kopf und telefonierte. Das half aber offenbar nichts. Sie erklärte meinem Mann, dass das Paket jetzt nach Köln gehen würde, da hätte die Post ein Lager mit verschollenen oder fehlgeleiteten Sendungen, und er müsste jetzt einen Nachforschungsauftrag stellen.
Das tat er umgehend und bekam eine freundliche Antwort mit der Bitte, den Inhalt der Sendung genauestens zu beschreiben sowie die Sendungsnummer und die Empfängerdaten anzugeben. Mein Mann schickte also ein Foto vom Inhalt des Pakets und erklärte detailreich, warum er weder Sendungsnummer noch Empfängerdaten angeben könne: Das Paket sei ja eben noch nicht beschriftet und „abgefertigt“ gewesen. Der freundliche Kundenservice beteuerte in seiner Antwort, dass ihm das Anliegen meines Mannes wirklich am Herzen läge, bestand aber auf der Angabe von Sendungsnummer und Empfängerdaten. Das ging ein paar Mal so hin und her: Die Post fragte nach der Sendungsnummer, mein Mann erklärte, warum es genau die nicht gibt. Zwischendurch fragte er an, was denn mit Paketen passiere, deren Adresse oder Absender durch Regen oder anderes Ungemach unleserlich geworden sind? Er bekam keine Antwort, was natürlich irgendwie verständlich ist: Zur Beantwortung dieser Frage brauchte er ja die Sendungsnummer. Ich riet meinem Mann, die Sache aufzugeben, bevor er dem Wahnsinn verfällt.
„Ich habe den leisen Verdacht“, so schloss ich meinen Brief an Francis, „dass das Bild irgendwo in der Konzernzentrale der deutschen Post in Bonn hängt.“
Das verlorene Bild „Fußstapfen auf Usedom“, Acryl. Foto: mi
„Na dann hat die Geschichte doch ein gutes Ende“, schrieb Francis zurück. „Dein Mann hat das Bild nicht umsonst gemalt, es freut sich jemand daran, womöglich sogar das gesamte Management der Deutschen Post. Während ich mich weiterhin über die australische snail mail, diese Schneckenpost, ärgern muss.“
Nun legte ich nach. Meine Freundin hatte ja keine Ahnung von der deutschen Post. Gerade hatte ich in den Nachrichten gehört, dass die Beschwerden bei der Deutschen Post im ersten Halbjahr dieses Jahres enorm zugenommen hätten – Briefe und Pakete kämen beschädigt, verspätet oder gar nicht an. Für mich persönlich (ich gebe zu: ich bin nur knapp durchschnittlich begabt) fangen die Schwierigkeiten allerdings schon viel früher an, nämlich beim Frankieren von Briefen oder Paketen: Das ist kaum ohne mehrsemestriges Post-Studium zu bewältigen.
Als das Frankieren noch einfacher war: Das Posthorn aus dem Jahr 1951. Aus: postfrisch 2/2025
Die Materie war für einen Brief viel zu schwierig – ich rief Francis an und gab ihr einen Schnellkurs im deutschen Frankieren. „Also“, sagte ich, „Briefe und Postkarten dürfen nur eine Rechteckform haben, sie dürfen keinesfalls rund sein, aber auch nicht quadratisch.“ „Ach so?“, meinte Francis erstaunt, „die meisten Glückwunschkarten bei uns sind quadratisch.“
„Naja, quadratische Karten gibt es bei uns auch und man darf die schon schicken“, gab ich klein bei, „aber die werden dann zum Großbrief und kosten fast das doppelte.“
„Hmmm“, machte Francis.
„Auch die rechteckigen Karten“, erklärte ich, „die an der kurzen Seite nur einen Millimeter länger sind als 12,5 cm – und das sind viele Karten – werden zum Großbrief.“
„Dann sind die schönsten Karten also teuer?“, fragte Francis.
„Genau“, antwortete ich. „Und wenn ich Dir ein gepresstes Blümchen in den Brief einlegen will, wird der Brief zum Päckchen. Päckchen dürfen aber nicht mit Briefmarken frankiert werden.“
„Warum denn das?“ Francis war verblüfft.
„Postgeheimnis“, antwortete ich. „Schau“, sagte ich, „neulich wollte ich zum Beispiel einen Maxibrief an eine Freundin schicken – der darf 1000 g wiegen und 35,3 x 25 x 5 cm groß sein.“
Francis schlackerte mit den Ohren ob all dieser Details, ich konnte es förmlich hören. Aber unverdrossen fuhr ich fort mit meinem Bericht: „Ich hatte alles genau verpackt und mit 2 Euro 90 korrekt frankiert. Die Postfrau – du weißt schon, die mit dem Bild – nahm eine Pappe mit Schlitz und versuchte, den Maxibrief durch den Schlitz zu schieben. ‚Geht nicht‘, sagte sie, ‚geht nicht durch‘. Ich war verdattert. Ich hatte genau gemessen: 5cm! Die Postfrau erklärte mir: ‚Sie müssen den Brief als Päckchen schicken. Kostet 4 Euro 19.‘
Aber 2 Euro 90 sind doch schon auf dem Brief, wagte ich anzumerken. Dann schulde ich Ihnen doch nur noch 1 Euro 29 Cent! Die Postfrau blieb unbeirrt. ‚Die Briefmarken sind ungültig, wenn Sie ein Päckchen aus dem Brief machen. Briefmarken sind nicht erlaubt.‘
Geben Sie her, sagte ich erzürnt, dann packe ich den Brief eben neu. ‚Sie dürfen aber‘, sagte die Postfrau nun in einem warnenden Ton, ‚die Briefmarken nicht ablösen und wiederverwenden. Das merkt die deutsche Post – es ist verboten!‘“
An dieser Stelle stoppte mich Francis. Sie sagte etwas, das sie normalerweise nicht sagt und das ich hier nicht wiedergeben möchte, und gab zu, dass es mit der deutschen Post wohl nicht viel besser stünde als mit der australischen.
Die gute alte Postfiliale – wie lange noch? Foto: mi
Aber ich machte ihr Hoffnung. Neulich hatte ich nämlich von den Anfängen der deutschen Post im 16. und 17. Jahrhundert gelesen: Da hatten Metzgereien eine große Rolle gespielt. Da Metzger oft mit Pferd und Wagen unterwegs waren, um Vieh einzukaufen, vertrauten ihnen viele Behörden, Kaufleute und Privatpersonen Briefe und Güter zur Beförderung an. Mein Entschluss steht also fest: Bei meinem nächsten Einkauf werde ich meinen Metzger fragen, ob er nicht vielleicht meine Briefe und Pakete befördern möchte. Gegen gute Bezahlung, versteht sich. Vielleicht findet sich dann ja auch ein Metzger in Melbourne. Es wäre schön. Dann könnten Francis und ich unseren Briefwechsel fortführen.
Zum Weiterlesen: Ganz entspannt: Mit dem Zug auf die Insel