Grete Weil - "Der Weg zur Grenze" führt vom Tegernsee nach Österreich in die Freiheit

Grete Weil – unveröffentlicht

„Der Weg zur Grenze“ führt vom Tegernsee über die Berge nach Österreich. Foto: Ines Wagner

Buchtipp der Redaktion

„Der Weg zur Grenze“ ist der bisher unveröffentlichte, erste Roman der Schriftstellerin Grete Weil, die dem Tegernseer Tal lebenslang verbunden war. Dort beginnt und endet der Roman, der jetzt beim Verlag C.H. Beck erstmals veröffentlicht wurde.

Magarete Weil, geborene Dispeker, kam 1906 in Rottach-Egern am Tegernsee zur Welt. Zum Freundeskreis der liberal-bürgerlichen Familie, in der der jüdische Glaube keine vordergründige Rolle spielte, gehörten der Heldentenor Leo Slezak, die Brüder Ganghofer, Ludwig Thoma und zahlreiche weitere prominente Künstler und Intellektuelle, welche auch die junge Frau prägten.

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Grete Weil betrachtete Rottach-Egern und den Tegernsee zeitlebens als ihre geliebte Heimat, auch dann noch, als während der NS-Zeit am Ortseingang ein Transparent hing: „Juden betreten den Ort auf eigene Gefahr.“ Sie verbrachte ihre Kindheit und Jugend hier, heiratete im Rathaus ihren Mann Edgar Weil und auch ihr Urnengrab befindet sich auf dem Egerner Kirchenfriedhof.

Widerstand im Versteck

Während des Nationalsozialismus gelang es Grete Weil in einem Amsterdamer Versteck zu überleben, während ihr Mann Edgar 1941 im KZ Mauthausen ermordet wurde. Da sich das Versteck hinter einem riesigen Bücherregal befand, verbrachte sie viel Zeit mit Lesen. Außerdem schrieb sie, um über die Gräueltaten der Nazis aufzuklären, expressionistische Experimentalspiele für die Marionettenbühne der Widerstandsbewegung „Hollandgruppe Freies Deutschland“, der sie seit 1942 angehörte.

Edgar Weil fotografiert von grete weil im FotoatelierWasow in München, wo sie eine Ausbildung als Fotografin absolviertGrete Weil, Selbstfoto in ihrem Atelier in Amsterdam
Edgar Weil, fotografiert von Grete Weil im Fotoatelier Wasow in München, und Selbstfoto in ihrem Fotoatelier in Amsterdam. Foto: Archiv Monacensia

Im Winter 1944 begann sie schließlich, ihren ersten Roman zu schreiben: „eine Liebesgeschichte, … Edgars und meine Geschichte, die ich verfremdet und aus der Atmosphäre des Autobiografischen enthoben habe.“ Der Roman ist zugleich eine Fluchtgeschichte – über die Blauberge am Ende des Tegernseer Tals hinüber nach Österreich – und die Geschichte der Politisierung in einem gebildeten, politikfernen Milieu. Darin beschreibt sie die Veränderungen im Alltag, in den Familien und Institutionen seit der Machtergreifung der Nazis im Jahr 1933.

Rahmenhandlung am Tegernsee

Die Flucht einer von der Gestapo gesuchten Frau, Monika Mertons, bildet die Rahmenhandlung des Romans. Auf dem Weg „über die Grenze“ begleitet sie der junge Lyriker Andreas von Cornides, dem sie ihre Geschichte – die fiktionalisierte Geschichte ihrer Familie, ihrer Liebe zu Edgar Weil und dessen Ermordung – erzählt. Sie beschreibt Szenen der Kindheit am Tegernsee – Ortskundige erkennen nicht namentlich erwähnte Orte und Personen wieder – und des Lebens in München und Berlin der 1930er Jahre: vom aufkeimenden Nationalsozialismus, wachsenden Antisemitismus und den Hemmungen der schöngeistigen, pazifistischen Menschen ihrer Umgebung, sich politisch zu engagieren. Sowohl Grete Weil als auch ihre Figur Monika Merton rangen mit diesen Themen – und entwickelten sich dabei weiter.

Die unfassbare Grausamkeit des NS-Regimes lehrte Grete Weil schließlich, sich zu positionieren und zu kämpfen. In ihr kariertes Heft schrieb sie gegen Ende des Romans: „Für Klaus ist es zu spät. Für Monika ist es zu spät. Sie hat nichts mehr zu tun als den anderen zu sagen: Nehmt die Waffe zur Hand, wisst, warum ihr es tut, trefft eure Mörder damit.“ Das Schreiben wurde zu Grete Weils Waffe.

Scharfsinnig reflektiert

Zugleich resümierte sie kritisch über die zögerliche Untätigkeit ihres Milieus und dem naiv-hoffnungsvollen Denken, dass der Kelch an ihnen vorübergehe. So ließ sie Monika zu Andreas sagen: „Glaubst du, dass die Opfer schuldlos sind? Wir alle, du und ich und Klaus, haben es so weit kommen lassen, ohne ernsthaft etwas dagegen zu tun. Wir haben mit den in den Schoß gelegten Händen zugesehen, wie die Dämonen über dieses Land gekommen sind. Wir haben vorgegeben, Leben und Freiheit zu lieben und waren zu faul, von unseren weichen Betten aufzustehen.“

Während sie dies schrieb, konnte Grete Weil noch nicht wissen, ob sie den Holocaust überleben würde. Und noch wusste sie nicht, dass sie nach Kriegsende schließlich nach Deutschland zurückkehren würde. Doch ihre scharfsinnigen Reflexionen sowie die Zärtlichkeit und Verbundenheit, mit der sie über ihre Heimat schrieb, ließen bereits erahnen, dass sie dazu fähig wäre. „Keine Nation besteht nur aus Bösewichten“, stellt Monika Merton schließlich fest.

Grete Weil beschloss in ihrem Versteck im Exil, ihr Leben und ihr literarisches Werk der Erinnerung an die Verfolgung und Vernichtung der europäischen Juden und ihrer Vorgeschichte zu widmen. Sie veröffentlichte später zahlreiche Romane. Anerkannt und ausgezeichnet wurde sie allerdings erst spät in ihrem Leben – unter anderem mit der Carl-Zuckmayer-Medaille und dem Bayerischen Verdienstorden.

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Forschungen zu Grete Weil

Dr. Ingvild Richardsen gibt den neuen Roman heraus
Grete Weil und andere in Vergessenheit geratene Frauenpersönlichkeiten sind das Spezialgebiet von Dr. Ingvild Richardsen. Foto: Daniel Biskup

Herausgeberin des Romans ist Ingvild Richardsen. Die promovierte Literaturwissenschaftlerin forscht seit vielen Jahren über das jüdische Erbe und die NS-Zeit. Auf dem Gebiet der Frauenbewegung und ihren vergessenen Autorinnen des 19. und 20. Jahrhunderts ist sie Spezialistin. Ihr Weg führte sie vielfach auf Spuren von Grete Weil an den Tegernsee und in die Niederlande: „Sie gehört zu den bedeutendsten deutschsprachigen Schriftstellerinnen jüdischer Herkunft, ist eine wichtige Zeugin des Holocaust und hierzulande noch immer viel zu wenig bekannt.“ Darum freut sie sich, dass sie den renommierten Verlag C.H. Beck gewinnen konnte, den bisher unveröffentlichten autobiografischen Roman Grete Weils der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Mittlerweile haben sich bereits Verlage in den Niederlande und in Frankreich die Übersetzungsrechte gesichert. 

Das Buch „Der Weg zur Grenze“ ist beim Verlag C.H. Beck am 25. August 2022 mit der ISBN 978-3-406-79106-2 erschienen. Die Tegernseer LiteraTour Grete Weil, die ebenfalls Dr. Ingvild Richardsen entwickelt hat, kann man unterwegs mit dem Smartphone auch als Audio anhören.

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