Das Sterben gehört zum Leben
„Wenn einer geht“. Foto: Monika Ziegler
Ausstellung in Schliersee
„Wenn einer geht“ nennt Cornelia Heinzel-Lichtwark ihre im Tiefsten berührende Ausstellung in der Christuskirche in Schliersee. Sie malte vier Monate täglich das Porträt eines sterbenden Freundes. Und Pfarrer Matthias Striebeck forderte auf: „Wir müssen über den Tod reden, jetzt!“
Jeden Morgen um 9 Uhr habe sie ihre Staffelei am Bett des Freundes aufestellt und gemalt, erzählt die Künstlerin. Zumeist habe er mit geschlossenne Augen dagelegen, weil er entspannen konnte, weil er sich geschützt fühlte. Dabei sei alles Innere nach außen getreten. Diesen Prozess hat Cornelia Heinzel-Lichtwark in ihren Bildern festgehalten.
Cornelia Heinzel-Lichtwark. Foto: Monika Ziegler
Sie zeigen dem Betrachter vor allem eins: Das langsame Loslassen, sowohl des Sterbenden als auch der malenden Freundin ist ein wichtiger Vorgang und er widerspricht eminent dem Wunsch der meisten Menschen, plötzlich und unerwartet zu sterben. Diese Tatsache beleuchtete der evangelische Pfarrer Matthias Striebeck in seiner Einführung.
Ars moriendi oder schneller Tod
Früher habe man sich auf den Tod vorbereiten können, es gab die ars morieni, man ließ den Pfarrer kommen, verabschiedete sich und wartete singend und betend den Tod. Man nahm die Schmerzen in Kauf, um die Seligkeit zu finden. Heute aber, wo man die beste Palliativversorgung aller Zeiten habe und keiner leiden müsse, wünsche man sich den schnellen Tod.
Pfarrer Matthias Striebeck. Foto: Monika Ziegler
Wichtig aber, so Striebeck, „man wurde nicht allein gelassen.“ Dann aber würde das Sterben institutionalisiert und in Krankenhäuser und Pflegeheime abgeschoben. Die heutige Hospizbewegung bescherte das professionell begleitete Sterben, eine Alternative zum erzwungenen Am-Leben-Bleiben durch die moderne Medizin. „Wir wollen keine lebensverlängernden Maßnahmen um jeden Preis“, sagte der Pfarrer.
Das neue Selbstbewusstsein des Sterbens gehe dahin, dass wahrhaft wahlverwandtschaftliche Freunde füreinander einstehen, anstelle von Verwandten, die man schon zu besseren Zeiten nur ungern in der Nähe geduldet habe. Und so lege heute so mancher seine Scheu ab und wage sich ins unbekannte Land.
Ungewohnte Perspektive
Ein Beispiel sei die Ausstellung von Cornelia Heinzel-Lichtwark in ungewohnter Perspektive. Denn man müsse hinaufschauen. Üblicherweise schaue man ja auf sterbende Menschen hinab. Hier aber wurden die Bilder weit oberhalb der Köpfe der Betrachter platziert. Die Künstlerin habe ihren Freund mit ihrem Talent begleitet, sie malte ihn. Andere Begleiter würden vielleicht photographieren, lesen oder singen.
„Man sieht den Bildern an, dass sei mit großem Respekt entstanden sind. Dem richtigen Verhältnis von Nähe und Distanz.“ Und wenn man nun hinaufschaue, dann bekomme der Gestorbene etwas Erhobenes. Und er selbst, so Matthias Striebeck, bekomme etwas Aufrechtes. „Meine aufrechte Haltung gibt Würde.“
Festhalten und Loslassen
Er erwarte, dass nach seiner Rede die Menschen bei Brot und Wein in gute Gespräche kommen und dass sie dabei das Sterben zum Leben dazu zählen mögen und es damit dem Tod entreißen. Und wenn er dann kommt – und er muss kommen, dann werde er auch er nicht genau sagen können, wann wir vom Leben losgelassen haben.
Matthias Striebeck behielt recht: Die Gäste der Vernissage standen in Grüppchen beieinander und sprachen in der Tat vom Sterben und wie man es sich wünsche und welche Erfahrungen man mit dem Tod bereits gemacht habe. Es waren gute Gespräche, es wurde auch gelacht dabei, natürlich, denn das Sterben gehört eben zum Leben.
Cornelia Heinzel-Lichtwark hat dies in ihren Bildern in einmaliger Weise festgehalten. Das Vertrauen des Sterbenden in seine Freundin, die Würde in seinem Antlitz, die Trauerarbeit, die die Künstlerin während ihres Schaffensprozesses leistete. Sie hielt ihn fest und konnte ihn damit loslassen.