
Zukunft oder Zukünfte?
Wir haben es in der Hand. Foto: Moritz Ziegler
Buchtipp von KulturVision
Vor dem Jahreswechsel denkt so mancher an die Zukunft, an die persönliche mit guten Vorsätzen und an die Zukunft unsere Gesellschaft mit zumeist gemischten Gefühlen. Außerordentlich hilfreich ist bei beiden Reflexionen das Buch „Zukunft“ von Florence Gaub.
Erfreulich, dass es ein Spiegelbestseller ist, so lässt sich vermuten, dass sich viele Menschen von der Hoffnung schenkenden Botschaft des Buches anstecken lassen und tätig werden. Denn, und das ist die frohe Botschaft, die Zukunft ist das Resultat unseres individuellen Handelns.
Und so ist auch der Untertitel des Buches: Eine Bedienungsanleitung. Florence Gaub schreibt: „Der Mensch ist ein Wesen, das die Fähigkeit hat, sich die Zukunft so detailliert vorzustellen, dass er sie erschaffen kann.“
Und dazu gibt die Autorin wissenschaftlich begründete Fakten und Argumente aus Neurowissenschaften, Psychologie und Philosophie an die Hand. Sie malt keineswegs die Zukunft in Rosa, sondern sie eröffnet den Möglichkeitsspielraum und damit den Handlungsspielraum für jeden Einzelnen.
Florence Gaub ist Politikwissenschaftlerin, Militärexpertin und Zukunftsforscherin, sie leitet als Direktorin den Forschungsbereich am NATO Defense College in Rom.

Florence Gaub. Foto: Debora Mittelstaedt
Wer jetzt meint, das Buch sei eine trockene Angelegenheit, irrt gewaltig. Die Autorin versteht es meisterhaft, ihre Gedanken in eine unterhaltsame, oft heitere Sprache zu gießen, die sie mit zahlreichen Anekdoten und Beispielen würzt. Dabei aber bleibt sie stets auf der Basis von verlässlichen Fakten.
Zukünfte sind miteinander verbunden
Sie räumt zunächst mit dem Vorurteil auf, dass die große kollektive Zukunft etwas für Regierungen und Unternehmen und die kleine persönliche Zukunft etwas für den Einzelnen ist. „Alle Zukünfte sind miteinander verbunden“, schreibt sie, und damit sei jeder fähig, sie zu gestalten. Aber leider seien sowohl Personen als auch Gesellschaften eher vergangenheitsorientiert und dabei sei es doch eine „schlafende Superkraft“ in die Zukunft zu reisen. „Zukunft ist das, was die Menschen heute über sie denken, fühlen und tun.“
Natürlich sieht unsere Zeit alles andere als rosig aus. Klimawandel, Kriege, Artenverlust, Pandemien, Sorge vor KI und andere Katastrophen machen den Menschen Angst vor der Zukunft, zumal sie annehmen, dass diese Szenarien außerhalb ihrer Wirkung liegen, sie also ausgeliefert sind. Zudem fehlt es an positiven Gegenentwürfen.
Bedienungsanleitung der Zukunft
Die daraus resultierende Zukunftsangst indes sei eher ein westliches Problem, dort wo es Menschen wirtschaftlich schlechter gehe, sei man viel optimistischer, begründet Florence Gaub anhand von Zahlen. Sie schlussfolgert, dass Menschen optimistischer sind, wenn sie meinen, auf die Zukunft Einfluss zu haben.
Deshalb wolle sie mit ihrem Buch die Zukunft zugänglich und überschaubar machen, schreibt Florence Gaub. Dazu wartet sie wie bei einer richtigen Bedienungsanleitung zunächst mit den technischen Daten auf und stellt danach die einzelnen Bestandteile der Zukunft vor.
Anweisungen zur Handhabung folgen und danach die Sicherheitshinweise, einschließlich aller Risiken, die etwa Katastrophendenken, Fatalismus oder gefälschte Zukunft oder Wunschdenken bergen. Hinweise zur Fehlerbehebung, so beispielsweise der Umgang mit Unerwartetem oder wie man mit einer uninspirierten Zukunft umgeht, werden gegeben, bevor die Garantieklausel das Buch beschließt.
Gefühl der Ohnmacht
Die Autorin betont, dass wir in einer privilegierten Zeit mit Aussicht auf ein hohes Alter mit hoher Gestaltungsfreiheit leben. Aber Planungssicherheit, Anspruchsdenken und Zukunftsfaulheit der vergangenen Jahrzehnte hätten zu einem Gefühl der Ohnmacht bei vielen Menschen geführt, ohne das Wissen, wie man den Möglichkeitsraum, also die Zukunft, befüllen kann. Zu diesem Wissen, einer goldenen Mitte zwischen übermäßigem Optimismus und chronischem Pessimismus, solle dieses Buch beitragen.
Wie funktioniert Zukunft? Sich das Beste vorstellen, sich auf das Schlimmste vorbereiten, mit Überraschungen leben und sich von Althergebrachtem lösen können. Interessant dabei sei, so habe die Neurologie herausgefunden, dass das Hirn formulierte Ziele festschreibt. So lassen sich positive erstrebenswerte Inhalte für die Zukunft nicht nur planen, sondern wir müssen sie auch als erreichbar ansehen.

Cover von „Zukunft“ von Florence Gaub. Foto: MZ
Im Kapitel über die Gefahren schreibt Florence Gaub über die Angst, die Flucht, Angriff oder Starre. Weder Angst noch zu viel Hoffnung, das sie als Wunschdenken bezeichnet, seien gut. Besser sei es, regelmäßig Fakten zu überprüfen und sich selbst zu hinterfragen. Wie es sich für eine richtige Bedienungsanleitung gehört, hat die Autorin eine Rezeptliste erstellt, wie in zehn Schritten mit den Gedanken an eine negative Zukunft umgegangen werden sollte. Zudem gibt sie handfeste Fakten an, die die Angst vor einer Apokalypse zerstreuen können.
Die Wissenschaftlerin empfiehlt, dass sich die Zivilgesellschaft organisieren möge, um über die möglichen Zukünfte zu sprechen, Unsicherheit müsse als Möglichkeitsraum zur Gestaltung begriffen werden. Für den Einzelnen sei es nie zu spät, sich zu ändern und weiterzuentwickeln, seine eigene Zukunft und die der Gesellschaft in die Hand zu nehmen.
Statt haben lieber Ziele voller Gefühle
Wie das geht? Wir sollten Ziele voller Adjektive wählen, statt Ziele zu formulieren, in denen wir haben, sollten es Ziele voller Gefühle sein, also solche, in denen wir uns verbunden, erfüllt, wachsend, weise und geschätzt fühlen. Statt Ehe besser geliebt, statt Hausbesitz besser erfüllt.
Dennoch, eine Garantie kann auch Florence Gaub nicht geben, das wäre unwissenschaftlich. Aber es gebe ein Anrecht darauf, die Zukunft immer wieder neu zu erfinden, denn sicher sei für den Einzelnen nur der Tod und für die Gesellschaft, dass die Sonne in fünf Milliarden Jahren untergehe. Und so bestehe die Garantie darin, dass jeder die Fähigkeit habe, die Zukunft zu denken.
Zum Weiterlesen: Die Zukunft für das Zukunftsforum
