Natur und Kultur

Armin Nassehi (LMU München, Mitte) mit dem Initiator des Korbinians Kolleg, Korbinian Kohler (Hotel Bachmair Weissach, links) und dem neuen Kurator des Kollegs Karsten Fischer (LMU München, rechts). Foto: Andreas Leder

Armin Nassehi im Korbinianskolleg

„Das Natürliche und das Künstliche – Dimensionen der Menschlichkeit“: Dies ist das Thema der aktuellen Vortragsreihe des Korbinians Kolleg, benannt nach dem Inhaber des Hotels Bachmair in Rottach-Egern. Die von renommierten Referenten gehaltenen Vorträge finden jeweils die im großen Festsaal des Hotels statt. Jüngst gestaltete Armin Nassehi, Soziologe und Vizepräsident der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München, einen Vortrag mit dem Thema „Drei Szenen zur Künstlichkeit des Natürlichen“. Rund 220 Interessierte verfolgten die sowohl anspruchsvollen wie auch trotz der komplexen Thematik unterhaltsamen Ausführungen des bekannten Wissenschaftlers.

Drei Szenen

Armin Nassehi, geboren 1960 in Tübingen, ist seit 1998 Professor für Allgemeine Soziologie und Gesellschaftstheorie an der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München und seit 2025 auch Vizepräsident der LMU. Zudem ist er seit 2024 Mitglied des Deutschen Ethikrats. Er näherte sich in seinem Vortrag diesem Thema besonders mittels sprachphilosophischer Überlegungen und entwickelte im Verlauf drei „Szenen“, in denen er die Paradoxien einer trennenden Unterscheidung von Natur und Künstlichkeit veranschaulichte: Klonen, Künstliche Intelligenz (KI) und Natur als Ressource. Zu Beginn legte Armin Nassehi dar, dass Natur nicht einfach „da“ ist, denn der Mensch habe nur einen beschränkten Zugang zu ihr. Auch die einzige natürliche Notwendigkeit des Menschen, die Sterblichkeit, werde in einen kulturellen Rahmen eingeholt, mittels Zeremonien, Riten und der Gestaltung von Begräbnisstätten. Der Mensch „hat“ die Natur immer nur als eine begrifflich vermittelte, so der Wissenschaftler weiter. Nur so könne der Mensch über Natur nachdenken und mit anderen Menschen über sie kommunizieren. Diese Kommunikation gelinge aber nicht immer, weil Menschen das, was Armin Nassehi „Latenzen“ nennt, also verborgene Grundannahmen des Denkens, nicht zwingend teilen. Der Fortschritt von Technik und Kultur zwinge uns indes stetig, diese Latenzen zu thematisieren.

Freiheit und Notwendigkeit

Als Beispiel für den sprachlich vermittelten Zugang zur Natur nannte Armin Nassehi die Unterscheidung von Natur und Kultur. Als Unterscheidungsmerkmal gilt oft, dass in der Natur Notwendigkeit regiert, während Kultur durch Freiheit gekennzeichnet ist. Bei näherem Hinsehen entdecke man aber in der Natur Freiheit und in der Kultur Notwendigkeit. Notwendigkeit und Freiheit seien demnach keine absoluten Gegensätze, sondern gingen ineinander über. Dies besage nicht, dass die Unterscheidung hinfällig wäre. Es zeige aber, dass die Unterscheidung nur in der Beschreibung existiert, die der Mensch als Kulturwesen mittels Sprache vollzieht.


Korbinian Kohler begrüßt die Gäste im Korbinians Kolleg. Foto: Andreas Leder

Ergebnisoffenheit als Merkmal echter Intelligenz

Am Beispiel des Klonens stoße die strikte Unterscheidung von Künstlichkeit und Natur an ihre Grenzen, argumentierte Armin Nassehi weiter. Denn Klonen führt unweigerlich zu Paradoxien, abhängig davon, wie Natur und Kultur jeweils gesetzt werden. So fragte der Münchner Soziologe etwa: „Ist der Klon ein Mensch zweiter Klasse? Oder ist er eine vollwertige eigenständige Persönlichkeit, Natur pur?“ Auch das Thema „Künstliche Intelligenz“ wirft für Nassehi wichtige Fragen im Zusammenhang mit Natur und Natürlichkeit auf. Schon der Begriff der künstlichen Intelligenz verweist auf sein Gegenteil: die natürliche Intelligenz. Beide Formen der Intelligenz arbeiteten ähnlich, seien aber unterschiedlich situiert. Armin Nassehi diskutierte diese Unterschiede am Beispiel KI-generierter Musik. Es fehle hier das überraschende Moment, die den Komponisten auszeichnet: die spontane Idee, Neues aus dem Bekannten zu schaffen. Antwortet jemand zehnmal auf die selbe Frage mit der selben Antwort, dann ist das für den Soziologen ein ziemliches Indiz für fehlender Intelligenz. Merkmal echter Intelligenz sei die Abweichung, die Ergebnisoffenheit, nicht die Wiederholung. Umgekehrt: Treffe man in der Natur auf Überraschungen, dann wäre dies der Hinweis auf das Vorhandensein von Intelligenz.

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Natur als Ressource

In seiner letzten „Szene“ sprach Armin Nassehi über Sexualität und betonte, dass es im Hinblick auf die Natur und Fortpflanzung beim Menschen nur die beiden Geschlechter „männlich“ und „weiblich“ gebe. Die aktuelle Diskussion über die Anzahl der Geschlechter sei dagegen Ausdruck kultureller Zueignung. Männer könnten sich den Frauen zurechnen, Frauen den Männern, es gebe einen Kulturkampf um das Geschlecht. Die Anomalie des Queeren sei indes nur eine Anomalie, wenn man sie auf Fortpflanzung bezieht. Die Anomalie löst sich für Armin Nassehi auf, wenn man eine kulturelle Variabilität von Geschlechterzuweisungen akzeptiert, wie sie in der ethnologischen Literatur mannigfaltig belegt sei.

Kommunikation und Authentizität

Zum Schluss wandte sich Armin Nassehi dem Thema zu, das für ihn der eigentliche Grund für die bis dahin diskutierten Paradoxien ist: die Kommunikation. Die Voraussetzung für eine gelingende Kommunikation liege in der kontrafaktischen Annahme, dass der andere mit den sprachlichen Symbolen dasselbe verbindet wie man selbst. Will man aber herausfinden, ob das tatsächlich der Fall ist, geraten wir in Paradoxien. Diese liegen für den Soziologen darin begründet, dass man mit sprachlichen Mitteln die Funktionsweise von Sprache eruieren möchte: Man müsste mittels Sprache in eine sprachliche Metaebene wechseln – was aber unmöglich sei. Für seine Ausführungen bekam Armin Nassehi Applaus und die lobenden Worten eines Teilnehmers: „Armin, das hast du toll gemacht“.

Die nächste Veranstaltung in der Reihe Korbinians Kolleg findet am Freitag, den 12. Dezember 2025 um 18.30 Uhr statt. Zu Gast im Hotel Bachmair ist der Erlanger Philosoph Vincent C. Müller, der fragt: „Geht es bei der KI wirklich um K und um I?“. Weitere Informationen sind auf der Homepage des Korbinians Kolleg zu finden.

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