
Ganz großes Kino in Bayrischzell
Petra Seeger (links) und Margarethe von Trotta (rechts) zu Gast in den Peterhof-Lichtspielen in Bayrischzell. Foto: CS
Cineastisches Wochenende in Bayrischzell
Mit einem cineastischen Paukenschlag erwachte das historische Kino Peterhof-Lichtspiele in Bayrischzell aus dem Dornröschenschlaf. Unter dem Motto „Leben für die Kunst“ wurden die jüngsten Filme der renommierten Regisseurinnen Margarethe von Trotta und Petra Seeger gezeigt – gefolgt von Talks der beiden auf der Kinobühne.
Mitten im Zentrum von Bayrischzell steht ein uriges Bauernhaus. Dass sich darin ein Kino mit 300 Sitzen verbirgt, lässt sich von außen kaum erahnen. „Die Peterhof-Lichtspiele wurden 1954 von meiner Urgroßmutter in ihrem ehemaligen Kuhstall eröffnet“, erzählt der jetzige Inhaber Jürgen Altmann. Dort flackerten unzählige Heimatfilme, aber auch später Kino-Blockbuster wie „King Kong“ über die Leinwand. Auch klassische Konzerte und Theateraufführungen fanden darin statt. 2008 dann das Aus. Ein Schicksal vieler Kinobetriebe.

Die Peterhof-Lichtspiele befinden sich im ehemaligen Kuhstall des Peterhofs. Foto: CS
Bis heute blieb der Kinosaal mit den Holz-Klapp-Stühlen und der alten Wandorgel unverändert. An den Wänden hängen noch Fotos von Stars aus vergangenen Zeiten wie Blacky Fuchsberger und Roy Black. Nur für besondere Anlässe öffnet Jürgen Altmann dieses historische Juwel. Einen solchen gab es mit dem cineastischen Wochenende am 25. und 26. Oktober, das mit viel Herzblut vom lokalen Kunstverein Kultursprung e. V. organisiert wurde. Der Verein schaffte es, zwei große Frauen des Films in die 1600-Seelen-Gemeinde zu holen: die renommierten Regisseurinnen Petra Seeger und Margarethe von Trotta.
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„Vatersland“ als Auftakt zum cineastischen Wochenende im Kino Peterhof-Lichtspiele
Den Auftakt des Kinoevents bildete Petra Seegers Film „Vatersland“, der 2020 beim Film Festival Cologne Premiere feierte. Es handelt sich dabei um ihren ersten Spielfilm. Denn sie drehte davor hauptsächlich Dokumentarfilme und Porträts über bekannte Persönlichkeiten wie Christoph Schlingensief, Peter Zadek und Wim Wenders. Mit ihrem Film „Auf der Suche nach dem Gedächtnis“ über den österreichisch-amerikanischen Neurowissenschaftler und Nobelpreisträger Eric Kandel erhielt sie unter anderem den Bayerischen Filmpreis für den besten Dokumentarfilm.
Das Dokumentarische prägt auch ihren autobiografischen Film „Vatersland“. Es geht um eine 48-jährige Filmemacherin, die eine Kiste mit alten Familienfotos und -filmen entdeckt. Sie stammen von ihrem Vater, einem Werks- und Hobbyfotografen. Beim Sichten des Materials durchlebt sie die unverarbeiteten Traumata ihrer Kindheit und Jugend in den 50er- und 60er-Jahren wieder: den frühen Krebstod ihrer Mutter, die emotionale Kälte ihres Vaters, das strenge katholische Mädcheninternat, in das er sie steckt – und die patriarchal geprägten Rollenbilder, gegen die sie immer mehr rebelliert.
„Wenn man so einen Film macht, ist man schon lange befreit“
„Ich wusste immer, dass ich einmal diesen Film machen werde“, sagt Petra Seeger im anschließenden Gespräch mit Margarethe von Trotta auf der Kinobühne. Die Frage, ob der Film ihr geholfen hätte, sich selbst besser zu verstehen und sich zu befreien, verneint die Regisseurin. „Wenn man so einen Film macht, ist man schon lange befreit“, sagt sie. „Sonst könnte man gar nicht so analytisch auf sich blicken.“

Kinoeigentümer Jürgen Altmann mit Regisseurin Petra Seeger. Foto: CS
Deshalb hätte es auch keinen Mut erfordert, diesen Film zu machen. Die Schwierigkeit lag eher woanders: „Eine Form dafür zu finden und sich künstlerisch so auszudrücken, dass andere erleben und fühlen können, was ich gefühlt habe, das ist eine Aufgabe“, betont Petra Seeger.
Reaktionen aus dem Publikum im Kino Peterhof-Lichtspiele
Genau das ist ihr gelungen. Denn der Film ist kein gefälliger: Er verursacht Unbehagen, er schmerzt. Man spürt die Ohrfeigen des Vaters im eigenen Gesicht. Und seine unbeholfenen Versuche, seine Tochter in das enge gesellschaftliche Korsett seiner Zeit zu pressen.
„Dieser Film hat mich extrem aufgewühlt“, bestätigt eine Zuschauerin und bedankt sich bei Petra Seeger für dieses authentische Werk. „Ich habe mit dem Film meine eigene Geschichte nochmal erlebt“, sagt sie. Die strengen Väter der Kriegsgeneration seien traumatisierend gewesen. Ein Punkt, mit dem sich Petra Seeger längst ausgesöhnt hat: „Mein Vater war ein Mann seiner Zeit und wusste es einfach nicht besser“, sagt sie.
Filmmatinee im Kino Peterhof-Lichtspiele mit „Ingeborg Bachmann – Reise in die Wüste“
Auch im Film „Ingeborg Bachmann – Reise in die Wüste“, der am darauffolgenden Morgen gezeigt wurde, geht es um Rollenkämpfe. Margarethe von Trotta, eine der bedeutendsten Regisseurinnen Deutschlands, ist für ihre filmischen Werke über starke Frauen wie Hildegard von Bingen, Rosa Luxemburg und Hannah Arendt bekannt.
Im Film über Ingeborg Bachmann widmete sie sich der Beziehung der österreichischen Lyrikerin und Schriftstellerin mit dem Schweizer Schriftsteller Max Frisch. Die beiden waren von 1958 bis 1963 ein Paar. Zu einem Zeitpunkt, als beide schon gefeierte Stars der Literaturszene waren. Sie als Lyrikerin für ihre Gedichtbände „Die gestundete Zeit“ und „Anrufung des Großen Bären“ und er für seine Romane „Stiller“ und „Homo faber“.

Margarethe von Trotta in den Peterhof-Lichtspielen. Foto: CS
Margarethe von Trottas Film feierte 2023 bei den Internationalen Filmfestspielen in Berlin Premiere. Er fokussiert sich auf das toxische Verhältnis der beiden Literaturstars – die gegenseitigen Verletzungen, seine Eifersucht, ihre Promiskuität und Fragilität. „Meine Produzenten haben mir freie Hand gelassen, aber ich habe bewusst diese Beziehung gewählt, weil sie ein Turning-Point in Ingeborg Bachmanns Leben war“, erzählt die Regisseurin.
Reise nach Ägypten als Weg der Befreiung und Heilung
„Am Anfang sah es so aus, als seien die beiden auf Augenhöhe.“ Doch der 15 Jahre ältere Max Frisch wurde immer kontrollierender, fordernder, eifersüchtiger. Ingeborg Bachmann kämpfte dagegen an, entzog sich seiner Kontrolle und flüchtete an ihren Sehnsuchtsort Rom. Dass auch er als Intellektueller alten Rollenbildern verhaftet war, drückt Margarethe von Trotta mit einer prägnanten Szene im Film aus: als Max Frisch von Ingeborg Bachmann verlangt, für ihn zu kochen. Eine Forderung, die die junge Schriftstellerin zutiefst kränkt und erniedrigt.

Petra Seeger und Margarethe von Trotta halten Ausschau nach Publikumsmeldungen. Foto: CS
„Sie war eine emanzipierte Frau, die frei sein wollte, aber dennoch Schutz bei ihm suchte“, erklärt Margarethe von Trotta. Als Max Frisch sie für eine Jüngere verlässt, bricht Ingeborg Bachmann zusammen. Mit einer Reise nach Ägypten mit ihrem Freund Adolf Opel, die mit wunderbaren Landschaften und Szenen den Film durchzieht, will sie sich endgültig von dieser zerstörerischen Beziehung befreien und heilen.
„Wo hast du dich selbst in diesem Film gesehen?“, will Petra Seeger wissen. „Dieser Widerspruch zwischen Freisein und trotzdem die Liebe vom anderen zu haben“, antwortet Margarethe von Trotta. „Das ist sehr selten, dass das zusammengeht – bei mir hat es auch nicht geklappt“, scherzt sie. Sie war zweimal verheiratet. Unter anderem mit dem Regisseur Volker Schlöndorff, mit dem sie als Co-Regisseurin den Film „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“ (1975) drehte und erstmals hinter der Kamera stand. 1978 feierte sie mit dem Film „Das zweite Erwachen der Christina Klages“ ihr eigenständiges Regiedebüt.
Publikum und Regisseurinnen begeistert vom Kino Peterhof-Lichtspiele
Der Applaus zum Abschluss des cineastischen Wochenendes will nicht enden. Begeistert zeigt sich das Publikum im vollbesetzten Kinosaal von den beiden großen Frauen des Films, ihren Werken und Gesprächen.
Und von der Lesung, die dem Screening des Films von Margarethe von Trotta vorausging: Die Filmwissenschaftlerin und Lyrikerin Isabella Heller aus Bayrischzell trug zur Einstimmung ausgewählte Texte von Ingeborg Bachmann vor – wie etwa einen Auszug aus dem Hörspiel „Der gute Gott von Manhattan“, das Max Frisch damals veranlasste, die junge Künstlerin zu kontaktieren.

Isabella Heller liest Textauszüge aus Ingeborg Bachmanns literarischem Werk. Foto: CS
Zusammen mit dem Schlierseer Fotografen Florian Bachmeier, der in diesem Jahr den World Press Photo Award gewann, bringt Isabella Heller zudem ein Logbuch über das cineastische Wochenende heraus – mit persönlichen Eindrücken in Wort und Bild. „Es soll die Atmosphäre in den Peterhof-Lichtspielen für den Moment der Lektüre wieder aufleben lassen“, sagen die beiden.
Gerade diese magische Atmosphäre hat es dem Publikum und den beiden Regisseurinnen angetan. Alle sind sich einig: Dieses Kino muss erhalten bleiben und bald wieder Besucher mit einer hochkarätigen Film-Veranstaltung verzaubern.