
Lukas Niedermeiers disclosed relations
Lageplan vom Tannerhof: Besucher orientiert sich an der Übersetzung der Augenbewegungsscans von Mitarbeitern am Tannerhof in eine von vom Laser sandgestrahlte Lasergrafik auf Glas. Foto: Robert Krause
Ausstellung in Bayrischzell
An der Schnittstelle von digitalen und analogen Prozessen steht Lukas Niedermeiers Einladung, Kunst als Wahrnehmungserweiterung zu begreifen. Er schuf eine ortsbezogene Installation in der Galerie im Treppenhaus am Tannerhof in Bayrischzell.
Die Idee:
Lukas Niedermeier wollte sich mit seiner künstlerischen Arbeit direkt auf den Tannerhof beziehen. Ihn interessiert es, Räume, zum Beispiel dieses Treppenhaus im Therapiegebäude des Tannenhofs, künstlerisch zu bespielen.
Er arbeitet an der Schnittstelle von digitalen Prozessen und analogen Prozessen, dem Spannungsfeld in dem sich viele der Künstler seiner Generation bewegen. Wie ist er vorgegangen? Er fragte Tannerhofmitarbeiter, ob sie auf den Lageplan vom Tannerhof schauen würden. Er konnte eine Software einsetzen, die die Augenbewegungen der Betrachter mit einem Rapid Eye Movement Scanner aufzeichnet. Wo die Augen hängenbleiben oder immer wieder hinschauen, wird eine Spur aufgezeichnet. Jeder Proband hinterlässt also eine Spur. Der Zeitrahmen für diesen Prozess beträgt nur 30 Sekunden.
Diese Scanspuren werden verdichtet und ergeben Formen und sogar ein Höhen- und Tiefenprofil entsteht – wo oft hingeschaut wird, bildet sich so etwas wie eine Höhenlinie, ähnlich einer Landkarte mit Höhenlinien.
Dieses Profil wird nun von einem Lasergraviergerät auf einer Glasplatte per Sandstrahl eingraviert. Das Ergebnis sind feine grau grünliche wolkenartige Formen auf einem Glashintergrund.
Lukas Niedermeier und Nele von Mengershausen im Dialog vor dem Exponat Wendelstein. Lukas erklärt seine Sichtweise auf den Hausberg, eine Lasergravur auf Japanpapier. Foto: Robert Krause
Ohne diese Geschichte im Hintergrund wäre es wohl nicht so leicht möglich, einen Zusammenhang mit dem Tannerhof zu entdecken. Lukas Niedermeier wendete die Rapid-Eye-Movent-Scan Methode auch bei sich selber an, indem er seine Hausberge, Seeberg, Aiplspitz, Traithen und Wendelstein in den Blick nahm. Nur diesmal benutzte er statt Glas ein feines Japanpapier, auf dem der Laser seine Sehspuren bündelte und einbrannte. Das Papier schwebt vor einer Metallplatte vor der Wand.
Der Betrachter schwebt auch im Ungewissen, vielleicht wie auf einer Nebelwanderung? In dieser Ausstellung muss man schon auf jedes visuelle Aha-Erlebnis der Wiedererkennung verzichten. Ich muss mich einfühlen und mich öffnen für eine neue Wahrnehmung. Ich bin eingeladen, mal ganz still zu werden und nicht gleich alles verstehen zu wollen. Lukas Niedermeier meint im Gespräch, es käme auch einer Protesthaltung gegen die überwältigende Bilderflut, die uns alle erfasst, gleich.
Galerie im Treppenhaus im Tannerhof, Blick von oben nach unten. Foto: Robert Krause
Lukas Niedermeier hat zur Abrundung seiner Installation im Treppenhaus noch eine besondere Idee gehabt, die eine Verbindung zum Ort herstellt: Im obersten Stock des Treppenhauses hängt ein medizinischer Tropfbehälter am Geländer und entlässt in Zeitlupentempo Wassertropfen, die genau in das kleine Kneippbecken im Untergeschoß fallen. Was für eine ungewohnte Verbindungsachse zwischen oben und unten! Das feine akustische Signal des Tropfens bringt den Aspekt der Zeit mit hinein ins Treppenhaus – weil ja unweigerlich ein Tropfrhythmus entsteht, der allerdings nur hörbar ist, wenn hier nichts los ist.
Daraus erschliesst sich im medizinischen Kontext des Therapiehauses noch eine andere Bedeutung. Hängen wir nicht alle an irgendeinem Tropf? Es lohnt sich, einmal nachzudenken, in welchen vielfältigen Abhängigkeiten wir uns gesellschaftlich befinden. Und so schliesst sich der Spannungsbogen zwischen digitaler und analoger Kunst in dieser Ausstellung/Installation. Wer sich einlässt, erlebt eine leise und unspektakuläre Wahrnehmungsverfeinerung. Es geht um eine ganz andere Art zu sehen und zu denken – widerspenstig, zart und tiefsinnig, diese Arbeiten befreien uns von unseren gängigen Meinungen, was Kunst ist und was nicht.
Zum Weiterlesen: Frühstück im Pelz und surrealistische Gedichte