Meret Oppenheim

Frühstück im Pelz und surrealistische Gedichte

Bärbel Reetz liest im Tannerhof aus ihrem neuen Buch. Foto: CS

Lesung in Bayrischzell

Die pelzüberzogene Tasse von Meret Oppenheim kennt jeder Kunstliebhaber. Sie gehört zu den ikonischen Werken des Surrealismus. Die Germanistin Bärbel Reetz stellt im Tannerhof ihre neue Biografie der Künstlerin vor – und rückt ihr literarisches Werk in den Mittelpunkt.

Bärbel Reetz ist keine Kunsthistorikerin, sondern Germanistin und Literaturwissenschaftlerin. Insofern mag es zunächst überraschen, dass die Autorin sich an eine Biografie von Meret Oppenheim herangewagt hat. „Ich komme eigentlich vom Wort“, erzählt die renommierte Autorin im Gespräch mit KulturVision im schönen Tannerhof in Bayerischzell. Neben Romanen wie „Die russische Patientin“ und „Lenins Schwestern“ schrieb sie auch zahlreiche biografische Werke. So wie etwa über den Dadaisten Hugo Ball und seine Frau Emmy Ball-Hennings sowie über Hermann Hesses Frauen.

Bereits 1972 keimte bei Bärbel Reetz das Interesse an der deutsch-schweizerischen Künstlerin Meret Oppenheim auf: Bei einer Surrealismus-Ausstellung im Münchner Haus der Kunst sah sie sechs Werke von ihr. Als die Autorin dann später in New York im Museum of Modern Art vor der pelzüberzogenen Tasse von Oppenheim stand, deren offizieller Titel „Déjeuner en fourrure“ lautet, war es um sie geschehen. „Donnerwetter“, beschreibt die 83-jährige Autorin ihre Reaktion von damals.

Meret Oppenheim wurde zur Muse der Surrealisten

Meret Oppenheim, die 1913 in Charlottenburg als Tochter eines deutschen Arztes und einer Schweizerin geboren wurde, ging bereits mit 18 Jahren nach Paris. Dort fasste sie schnell Fuß und traf Künstler wie Alberto Giacometti, Hans Arp und Max Ernst, mit dem sie eine Liebesbeziehung anfing. Auch mit André Breton, dem Schriftsteller und wichtigsten Theoretiker des Surrealismus, war sie befreundet.

Durch die kunstvollen Aktfotos, die der amerikanische Fotograf Man Ray von der schönen jungen Frau schoss, avancierte Meret Oppenheim zur Muse der Surrealisten. Doch diese Rolle gefiel ihr nicht, denn sie war eine eigenständige Künstlerin und schuf in dieser Zeit zahlreiche Zeichnungen, Grafiken und Objekte – wie etwa die berühmte Pelztasse.

Über Hermann Hesse zu Meret Oppenheim

Dass sie jemals über Meret Oppenheim schreiben würde, hätte Bärbel Reetz trotz ihrer Begeisterung nicht gedacht. Als sie auf Bitten des legendären Suhrkamp-Verlegers Siegfried Unseld den Briefwechsel Hermann Hesses mit seinem engen Freund Hugo Ball und dessen Frau herausgeben sollte, tauchte während der Sichtung des Materials immer wieder ein Name auf: Meret Oppenheim.

Meret Oppenheim
Bärbel Reetz signiert ihre Bücher bei der Lesung im Tannerhof. Foto: CS

Kein Wunder, denn sie war die Nichte von Hesses zweiter Frau, Ruth Wenger. Die Familie Wenger besaß ein Ferienhaus in Carona, einem kleinen, verschlafenen Dorf oberhalb von Hesses Wohnort in Montagnola im Tessin. Dort, im Haus der Großeltern in Carona, der Casa Costanza, verbrachte Meret von Kindesbeinen an ihre Sommerferien.

Gedichte von Meret Oppenheim als Legitimation für die Biografie

„Irgendwann stieß ich auch auf die Gedichte von Meret Oppenheim“, erzählt Bärbel Reetz weiter. „Da dachte ich, jetzt finde ich den Faden, wie ich mich ihr ganz neu nähern kann“, erzählt sie. Sie spürte dadurch so etwas wie eine Legitimation, das Ganze in eine Zusammenschau zu bringen. Oppenheims lyrisches Werk, ihre surrealen Gedichte sowie ihre Traumprotokolle faszinierten die Autorin.

Im Schweizerischen Literaturarchiv in Bern sichtete sie den schriftlichen Nachlass der Künstlerin, die 1985 in Basel starb. „Briefe, Manuskripte und Tausende von wundervollen Fotos liegen dort“, erzählt Bärbel Reetz. Über eine Freundin kam sie zudem noch in Kontakt mit der Familie Wenger in Carona. Also den noch lebenden Verwandten von Meret Oppenheim, die ihr Vorhaben, eine Biografie zu schreiben, unterstützten.

Meret Oppenheims Kindheit in strengen Internaten

Im Leseraum des Tannerhofs ist schon jeder Platz belegt, als Bärbel Reetz am vergangenen Donnerstag um 20 Uhr eintritt. Sie setzt sich in einen Holzsessel und holt ihr Buch hervor, aus dem viele bunte Papiermarkierungen herausragen.

Mit sanfter Stimme und wunderbarer Sprache liest sie aus dem Kapitel vor, das die harte Kindheit und Jugend von Meret Oppenheim beschreibt. Denn aufgrund von schulischen Schwierigkeiten steckten sie die Eltern in strenge Internate. „Die Tage sind wie Kaugummi, sie schmecken so langsam“, schrieb sie einmal nach Hause.


Drei Jahre hat Bärbel Reetz an ihrem Buch über Meret Oppenheim gearbeitet. Foto: CS

Höhepunkt der Lesung sind einige Gedichte, die Bärbel Reetz vorträgt und biografisch einordnet: „Oh große Ränder an meiner Zukunft Hut, wie sprießen die Blumen …“ gießt Meret Oppenheim etwa ihre euphorischen Gefühle in Worte, als sie ihren späteren Mann, Wolfgang Laroche, kennenlernt. Zweifelsohne ein Lichtblick nach langen Phasen der Depression.

„Das hat bisher noch nie jemand gemacht“

Drei Jahre hat Bärbel Reetz an ihrer detaillierten Biografie über Meret Oppenheim gearbeitet, die im vergangenen Oktober erschienen ist. Die mühsame Puzzlearbeit hat sich gelohnt: „Diese Zusammenschau aller künstlerischen Möglichkeiten, die sie ausgeschöpft hat, das hat bisher noch nie jemand gemacht“, betont die Autorin. Material hätte sie für ein doppelt so dickes Buch gehabt. Ganz gewiss würde es die Leser genauso fesseln wie das Jetzige.

Das Buch von Bärbel Reetz „Meret Oppenheim. Wandlungen“ ist im Oktober 2024 beim Verlag rüffer & rub erschienen. Es umfasst 280 Seiten und kostet 36 Euro. ISBN 978-3-907351-26-0

Zum Weiterlesen: Verschmähte Schönheiten und verschollene Bilder

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