
Ich will mich selbst überraschen
Künstler Jürgen Welker malt abstrakte Landschaftsbilder. Foto: IW
Ausstellung in Sindelsdorf
Bilder aus drei Schaffensphasen zeigt der Tegernseer Künstler Jürgen Welker derzeit in einer gleichnamigen Einzelausstellung in der Galerie RAUMdurchKUNST in Sindelsdorf.
Seit 2023 besteht der lichtdurchflutete Begegnungsort für Kunst und Kultur, mit dem sich Opernsängerin Yvonne Fontane und ihr Mann, der Steinmetz und Bildhauer Manfred Dangl, einen Lebenstraum erfüllten. Bereits bei der Eröffnung vor zwei Jahren war Jürgen Welker als einer der drei ausstellenden Künstler dabei. Seither ging Yvonne Fontane mit der Idee einer Einzelausstellung der Vielfalt seines künstlerischen Schaffens schwanger. Ein Herzensprojekt, das sie nun verwirklichte.
„Die erste Einzelausstellung überhaupt hier im RAUMdurchKUNST“, betont die Galeristin bei der Vernissage, als sie die Gäste auf einen Spaziergang im Geiste durch die Atelierräume Jürgen Welkers in der Rosenstraße in Tegernsee mitnahm. Schon der erste Besuch habe sie schwer beeindruckt, „wie dort die Kunst gelebt wird, wie menschlich diese Kunst ist, wie unzeremoniell Jürgen Welker ein Bild ums andere aus seinem großen Fundus herauszieht …“ Als Opernsängerin käme ihr bei den gewaltigen, wilden Landschaftsbildern, in denen jeder das sehen könne, was ihn berührt, vor allem das Meer in den Sinn. Wie im „Fliegenden Holländer“, der sieben Jahre über die sieben Weltmeere fuhr, verkörperten für sie viele der abstrakten Landschaftsbilder des Tegernseer Malers „die wilden Meere, das wilde Leben“.
Galeristin Yvonne Fontane und Künstler Jürgen Welker im Gespräch. Foto: IW
Wildheit der Natur und Ruhe zugleich
Sie sei überwältigt, wie die kraftvollen Bilder zugleich Gegensätzliches – Wildheit und Ruhe – ausstrahlten. Berührt und interessiert habe sie vor allem der Wandel, den Jürgen Welker in seiner Kunst vollzogen habe. Deshalb war es ihr wichtig, in der Einzelausstellung die „3 Schaffensphasen“ von 2006 bis heute zu zeigen: von den Figurenbildern hin zu den abstrakten Landschaften. Die schöpferische Vielfalt in der Malerei und Zeichnung auf Leinwand und Papier.
Um den Gästen der Vernissage am vergangenen Freitag den Zugang zur Schaffensweise des Künstlers zu öffnen, wählte sie das Interviewformat. Jürgen Welker stand Rede und Antwort, beispielsweise zur Frage, warum er seinen Werken keinen Namen gäbe. „Um ihnen im Nachhinein nichts aufzubürden“, so der Künstler, der die Großformate liegend von allen Seiten malt. So signiert er jedes Bild auch auf der Rückseite. Das lässt demjenigen, der es später an seine Wand hängt, größtmöglichen Spielraum, darin zu sehen, was ihn anspricht. Wo oben und unten ist, könne jeder selbst entscheiden.
Schicht für Schicht
Die Bilder entstehen in einem langen Prozess über mehrere Jahre, Schicht für Schicht, bis sie seinen eigenen hohen Ansprüchen genügen. „Richtig safe aber sind sie nie“, sagt er, „kann sein, wir hängen sie hier ab und im Atelier übermale ich sie weiter“. Das begründet er folgendermaßen: „Es fällt mir oft so extrem leicht zu malen, aber ich misstraue der Leichtigkeit.“ Was zu einfach ist, ist fragwürdig. Er selbst – sein größter Kritiker. Aus einer Arbeiterfamilie stammend, zähle für ihn nur echte Arbeit, folgerichtig müsse auch Erfolg erarbeitet werden. Sich ausruhen auf dem, was leicht geht, gehört offensichtlich nicht dazu. Deshalb malt er täglich in seinem Atelier, dessen Tür Interessenten jederzeit offensteht.
Jürgen Welker o.T. Repro: IW
Beim Malen schaltet der Wahl-Tegernseer den Kopf bewusst aus, um unreflektiert und intuitiv an die Malerei heranzugehen. „Ich will mich selbst überraschen“, bekennt Jürgen Welker. „Du kannst als Künstler viele Fehler machen, aber nicht diesen einen: immer das Gleiche malen.“ Wenn es ihm zu leicht fällt, ist sein Misstrauen geweckt. Dann wechselt er beispielsweise von der großen Leinwand zum Skizzenbuch, „um den Blick zu brechen“.
Darstellung von Beziehungen
Ist es heute die Natur, die ihn inspiriert, waren es zuvor die menschlichen, familiären Beziehungen. Gemalt hat er schon als Jugendlicher, wenn er nicht auf dem Fußballplatz war. Malerei und Fußball, beides sei ein Flucht- und Rückzugsort gewesen. Zu Beginn standen Selbstporträts. Etwa einhundert hat er gemalt und einen kritischen Blick auf sich selbst geworfen. Danach widmete er sich Paarbeziehungen. Als sein Sohn Jan zur Welt kam, wurden Menschengruppen daraus. Über Jahre hinweg malte er Figuren. Mehr und mehr wurden sie abstrakter und standen immer weniger miteinander in Beziehung, um zuletzt in vollkommener Monochromie aufzugehen.
Werke aus der figürlichen Schaffensphase Jürgen Welkers. Foto: IW
Die Schaffensphasen seien immer mit den Lebensphasen einhergegangen. „Das Ende der Figuren kam über Nacht“, so Jürgen Welker. Und damit auch das Ende der Monochromie. Es kamen die Farben zurück – und das neue Sujet wurde die abstrakte Landschaftsmalerei. Die Wildheit der Farben und Formen, die Wildheit des Lebens, des Meeres, des Tegernsees, der Natur – wie sie Yvonne Fontane im Gespräch beschreibt.
Und wenn es mal wieder zu leicht geht und Jürgen Welker seinen Blick „brechen“ muss, lässt er die Leinwand liegen und greift zu Papier. Dann entstehen etwa Bäume, oder er nimmt sich abermals Figuren vor, menschlich-zwischenmenschlichem nachforschend. Wie das Porträt seiner Schwester, deren Behinderung auch sein Leben in besonderem Maße prägte und das er auf Bitte der Galeristin zum ersten Mal öffentlich zeigt.
Kleinformate. Foto: IW
Die Schaffensphase der Figuren sei aber vorbei, selbst wenn er vereinzelt dahin zurückkehrt, um nicht in eine Routine zu fallen: „Wenn man wie ich jeden Tag malt, kommt es schnell zu einer Sattheit.“ Deshalb entstehen parallel zu den großformatigen Landschaftsbildern auch immer wieder stimmige Kleinformate, die besondere Aufmerksamkeit beim Malen erfordern und einen noch größeren Experimentierraum für Materialien bieten.