Dr. Christoph Prechtl und Josef Kraus

Ist unser Bildungssystem noch zukunftsfähig?

Spannender Diskussionsstoff für Dr. Christof Prechtl und Josef Kraus (v.l.). Foto: Petra Kurbjuhn

Podiumsdiskussion in Warngau

Der „Warngauer Dialog“ bot zwei Bildungsexperten die Möglichkeit, eine brisante Fragestellung von konträren Standpunkten zu diskutieren. Das Thema Bildung warf dabei viele Fragen auf und ließ spannende Diskussionen entstehen – nicht nur zwischen den beiden Diskutanten, sondern auch beim Publikum. Das Thema ist heiß.

Werden die Schüler zu Persönlichkeiten erzogen und lernen sie das Richtige? Oder greift unter den Absolventen deutscher Schulen ein historischer Analphabetismus um sich? Ist die Ausbildung der Lehrer noch zeitgemäß? Und wo bleiben bei der Wissensvermittlung die inneren Werte? Viele Fragen diskutierten die beiden Podiumsgäste innerhalb des von Monika Ziegler moderierten Gespräches, aber auch in der anschließenden Diskussion mit dem Publikum.

Der Mensch beginnt nicht mit dem Abitur

Der Einladung von KulturVision zum Pro- und Contra-Gespräch waren zwei hochkarätige Experten für die Bildung gefolgt: Josef Kraus, ehemaliger Schulpsychologe, Rektor eines Gymnasiums und Vorstand des Deutschen Lehrerverbandes und Christof Prechtl, stellvertretender Hauptgeschäftsführer und Leiter der Abteilung Bildung und Integration bei der Bayerischen Wirtschaftsvereinigung.

In seinem einführenden Statement äußerte Josef Kraus große Sorge um unsere Bildungsnation. In immer besseren Noten und immer höherer Studienbewerberzahlen sieht er deutliche Zeichen eines Niedergangs des Anspruchs an die Schüler. „Aus Lehrplänen werden Leerpläne“, formuliert er absichtlich überspitzt, denn zugleich ließe sich nicht vorbeisehen an den dramatischen schlechten Rechnenfertigkeiten. Außerdem hätten die Rechtschreibfehler in den letzten vierzig Jahren um 80% zugenommen. Ebenfalls beängstigend sei die dramatische Schieflage zwischen akademischer und beruflicher Ausbildung. Als Gründe nennt er Egalisierungswahn und Quotenwahn.

Heterogenität ist größte Herausforderung

Sein Mitdiskutant Christof Prechtl stellte seinen Blickwinkel aus der Wirtschaft dar. Dort erlebt er junge Absolventen, die „richtig was auf dem Kasten“ haben und leistungsbereit sind, die vielfältigen Chancen und Möglichkeiten, die sie in der Wirtschaft erwarten, aufzugreifen. Was die Wirtschaft brauche, seien digital souveräne junge Leute, die breit gebildet und mit Wissen und Kompetenzen ausgestattet sind. Auch er glaubt, dass sich am Bildungssystem etwas ändern müsse, insbesondere weil die große Heterogenität der Schulklassen individuelleren Unterricht erfordere.

Dr. Christoph Prechtl
Dr. Christof Prechtl: „Sind wir bereit, mehr zu investieren?“ Foto: Petra Kurbjuhn

Christof Prechtl sieht einen Lösungsansatz in der rhythmisierten Ganztagsschule, um besser qualifizierte Absolventen auszubilden. Für Josef Kraus hingegen wäre der notwendige Schritt, die Klassengrößen anhand der immer heterogener werdenden Schülergruppen zu verringern, damit individueller auf den Einzelnen eingegangen werden kann. Er wünscht sich mehr Spielraum für eigenverantwortliche Budgetverwaltung in den Schulen und 10% Vertretungsreserve an Lehrern. Einig waren sich beide Diskutanten, dass das mehrklassige Schulsystem erhalten werden müsse, weil es den Herausforderungen der steigenden Heterogenität gerecht wird. Die anschließende Diskussion war lebhaft, denn das Thema brennt vielen unter den Nägeln.

Balg und Bogen "Luis Henking und Tobias Taller
„Balg und Bogen“: Tobias Thaller und Luis Henking (v.l.). Foto: Petra Kurbjuhn

Auch die Musiker von „Balg und Bogen“, die den Abend mit ihrem wohklingenden Zusammenspiel gestalteten, beteiligten sich rege an der Diskussion. Die beiden Gymnasiasten Tobias Thaller und Luis Henking befanden, dass die Lehrer zwar immer kompetent im Wissen seien, aber weniger häufig darin, dieses zu vermitteln. Das Thema wurde von den Podiumsgästen und dem Publikum eifrig weiterdiskutiert: Lehrermangel, Quereinsteiger, Burnout durch hohen Druck auf die Lehrer, der nicht nur durch Bildungsministerium und Wirtschaft, sondern auch von ehrgeizigen Eltern komme, erschwerten oft die Arbeit.

Optimistischer sahen einige anwesende Pädagogen die Situation, unter ihnen auch Josef Schlemmer, Schulleiter der Beruflichen Oberschule Holzkirchen. Teamwork und guter Austausch unter den Lehrern erleichtern die Arbeit, Noten indes seien wenig aussagekräftig. Motivieren wäre wichtiger.

Was ist mit Herz- und Charakterbildung?

„Wir reden nur über Wissensvermittlung, nicht über Werte“, bemängelte Michael Pelzer, Bildungsregion Miesbach. Das beschäftigte auch Berufsschullehrer Thomas Börner, der sich allein gelassen sieht mit seiner Aufgabe, den Schülern nicht nur Wissen, sondern auch ethische Werte zu vermitteln. Was wiederum die Frage aufwarf, inwieweit im Lehrerstudium außer Wissenskompetenzen auch Hausverstand und Herz- und Charakterbildung vermittelt wird. Dass bei den Themen Rechtsstaat, Kulturstaat, Sozialstaat in den Lehrplänen der Kulturstaat am wenigsten thematisiert würde, hielten auch die beiden Gymnasiasten fest.

Stefanie Wahl (Stiftung Kulturelle Erneuerung) und Monika Ziegler (KulturVision)
Stefanie Wahl (Stiftung kulturelle Erneuerung) und Monika Ziegler (KulturVision). Foto: Petra Kurbjuhn

Stefanie Wahl von der Stiftung kulturelle Erneuerung, dem Kooperationspartner des diesjährigen Warngauer Dialoges, kam noch ein anderes Thema zu kurz: „Mit Effizienz allein kommen wir zukünftig nicht mehr zurecht“, erinnerte sie, „bereitet unser Bildungssystem die Schüler darauf vor?“ Für den Wandel zu nachhaltigen Wirtschafts- und Lebensweisen statt ständigem Wachstum müsse der Fokus weg vom Konsum hin auf die Gemeinschaft gerichtet werden, auf immateriellem statt materiellem Wohlstand.

Fazit – ist unser Bildungssystem zukunftsfähig?

Moderatorin Monika Ziegler griff die Fragestellung des Abends in ihrer abschließenden Fragerunde noch einmal auf. „So, wie das Bildungssystem jetzt aufgestellt ist, nicht“, war die Antwort von Josef Kraus. Er mahnt an: „Wir sind nicht der Nabel der Welt, wir müssen sehen, dass wir international nicht abgehängt werden.“ Christof Prechtl sieht gute Chancen für das bayrische Bildungssystem, wenn es den Bereichen freiwilliger, rhythmisierter Ganztagsschule, Heterogenität und Digitalisierung mehr Aufmerksamkeit schenkt.

Die lebhafte Diskussion um das breite und wichtige Thema beschäftigte die Gäste des Abends derart intensiv, dass die Veranstaltung noch gut um eins, zwei Stunden hätte verlängert werden können.

Der Warngauer Dialog wurde in Kooperation mit der Stiftung kulturelle Erneuerung München im Rahmen der Reihe Anders wachsen veranstaltet. Dabei liegt das Augenmerk nicht nur auf dem jeweiligen Thema, sondern insbesondere auch auf der Gesprächskultur. Hier geht es zum Programm von Anders wachsen.

Weiterlesen:

Gefällt Ihnen dieser Beitrag? Bitte besuchen Sie uns auf