„Wertschätzendes Zuhören kann man lernen“

Anja Gild und Annemarie Hagn. Foto: Julia Merten

Vortrag in Großhartpenning

Wir hören immer mit unseren Ohren. Alles. Täglich. Ob wir aber anderen Menschen wirklich zuhören, ist eine andere Frage. Anja Gild, zertifizierte Zuhörerin, hat mit Wissensimpulsen und Übungen die Besucher von „Wissen und Klang“ auf dem HahnHof in Großhartpenning für das Thema „Zuhörer“ sensibilisiert.

Sie sei zutiefst davon überzeugt, dass wertschätzendes Zuhören eine Eigenschaft ist, die unser gesellschaftliches, menschliches Miteinander stärkt. Es sei eine Fähigkeit, die im Rauschen der Medien, der Informationen und der Desinformation zunehmend verlernt wird. So die Kommunikations-Expertin Anja Gild. „Ich möchte meine Erfahrungen, die ich während der Weiterbildung zur Zuhörerin gemacht habe, teilen und euch für das Thema sensibilisieren.“ Knapp 50 Zuhörer und Zuhörerinnen sind zu dem Abend mit Musik, Catering und Barbetrieb im Hahn Hof gekommen.

Anja Gild hat, musikalisch begleitet von Annemarie Hagn, einen etwas anderen Abend im Rahmen des Formats „Wissen und Klang“ gestaltet. Neben theoretischen Impulsen rund um Zuhör-Konzepte sollte die bewusste Erfahrung des Zuhörens durch interaktive Übungen erlebbar werden.

Wertschätzendes Zuhören
Hausherr und Initiator der Reihe „Wissen und Klang“ Schorsch Hahn. Foto: Anja Gild

Zitat:
„Wirkliches Zuhören ist gelebte Demokratie im Kleinen, Anerkennung und Akzeptanz von Verschiedenheit, Suche nach dem Verbindenden, Klärung des Trennenden, gemeinschaftliche Erkundung einer Welt, die überhaupt erst im Miteinander-Reden und Einander-Zuhören entsteht.“ Bernhard Pörksen: Zuhören. Die Kunst, sich der Welt zu öffnen. Hanser 2025.

Zuhörräume in München, Gmund und Hamburg

Zu Beginn des Vortrags zeigte die Referentin drei Fotos von Zuhörräumen. „Einer steht am Stephansplatz in München, einer beim Hotel Blyb. in Gmund am Tegernsee und das andere Bild zeigt den Zuhör-Kiosk in Hamburg.“ Alles drei Räume, in denen Menschen einfach kommen können und ihre Geschichten oder Nöte einem professionellen Zuhörer erzählen können.

Wertschätzendes Zuhören
Zuhörräume in München und Gmund. Foto: Anja Gild

Die Zuhörräume in Gmund und München werden betrieben und methodisch betreut vom Verein „Momo hört zu e.V.“ sowie von der Universität Witten/Herdecke. Der Verein bietet auch die Weiterbildung zum Zuhörer an. Anja Gild selbst sitzt bisweilen im Zuhörraum in Gmund und wartet auf Menschen, die ein professionelles Ohr benötigen.

Wertschätzendes Zuhören ist nicht gleich aktives Zuhören

Aus dem Umfeld der Unternehmenskommunikation kennen wir meist das sogenannte aktive Zuhören. „Beim aktiven Zuhören hören wir zu, stellen zwischendrin fragen, fassen zusammen, bestätigen durch Einwürfe wie >verstehe ich< oder >kann ich mir vorstellen<.“ Letztlich reagiert der Zuhörende beim aktiven Zuhören unmittelbar und gezielt auf das Gehörte.

Anders beim wertschätzenden Zuhören. Hier stellt sich der Zuhörende rein mit seinem Sinnesorgan „Ohr“ zur Verfügung. Zwischenkommentare, Paraphrasierungen – all dies spielt beim wertschätzenden Zuhören keine Rolle. „Es geht rein um das Zuhören“, erklärt Anja Gild. Natürlich zeige man dem Gegenüber, dass man zu 100 Prozent beim anderen sei durch einen empathischen Augenkontakt. „Aber als Zuhörender mischt du dich nicht in die Erzählung des anderen ein. Du bewertest nicht, überlegst dir nicht schon eine Antwort, fasst nicht zusammen, bestärkst den anderen nicht – sondern gibst der Erzählung den ganzen Raum und die ungeteilte Aufmerksamkeit.“

Übungen in Zweiergruppen

Wie aber kann man die Konzentration auf den anderen zu 100 Prozent ausrichten? Wie geht man als Zuhörender in die Empathie, ohne die eigene Stimme zu erheben? Wie lassen sich Gedanken so steuern, dass sie die Aufmerksamkeit nicht einschränken?


Das Publikum wurde mit einbezogen. Foto: Anja Gild

Dafür hat die Referentin drei Übungen vorbereitet, die sie aus ihrer Weiterbildung zur Zuhörerin mitgebracht hat. Die Besucher mussten sich zu Tandem-Teams zusammentun. In der ersten Übung ging es um die eigene Körperwahrnehmung. „Als Zuhörer sollte ich mich nicht mit mir selbst beschäftigen. Deshalb ist es so wichtig, den eigenen Körper zu spüren und sich in ihm und in der Umgebung wohlzufühlen.“ Wichtig sei natürlich auch die Sitzposition, die dem Gegenüber signalisiert: Ich bin aufmerksam und entspannt. Ich bin ganz und gar für dich da.

In einer zweiten Übung lernten die Besuchenden die sogenannte SARW-Methode (Stopp-Atmen – Reflektieren – Wählen) nach Professor Tobias Esch von der Universität Witten/Herdecke. Ziel sei es, die eigenen Gedanken zu kontrollieren und jede gedankliche Ablenkung effektiv zu vermeiden.

Die letzte Übung war die wahrscheinlich Herausfordernste. Es geht um die Empathie und die Verbundenheit zwischen Menschen, die sich zuhören. Die Aufgabe lautete: „Schaut euch bitte vier Minuten ohne zu Reden in die Augen.“ Das soll gehen? Skepsis im Raum. Vier Minuten ist eine lange Zeit, um einem Menschen, den man nicht kennt, oder auch dem eigenen Partner unverwandt, empathisch in die Augen zu schauen. „Ich hätte nicht gedacht, dass das geht“, resümiert eine Teilnehmerin. Andere standen danach spontan auf und umarmten sich. „Ich hab beinahe angefangen zu weinen“ oder „man schaut den anderen ganz anders an“, sagten andere Personen.

Stille und ein gesummtes Gute-Nacht-Lied

Den Anfang und das Ende des Abends läutete je eine Minute Stille ein. Stille spielt beim wertschätzenden Zuhören eine große Rolle. „Aus der Stille heraus kommen oft neue Gedanken“, erklärt Anja Gild. Aber Stille ertragen sei in einer so lauten Zeit wie der unseren nicht einfach, fügt sie hinzu.

Annemarie Hagn, eine Meisterin der Improvisation, griff einfühlsam das Thema des Abends musikalisch auf. Nach der ersten Stille spielte sie nur mit dem Xylophon und einem Daumenklavier ganz leise Melodien. Zwischendrin las sie Gedanken wie einen inneren Monolog vor – Gedanken, die den eigenen Kopf besetzen während man beim Fernsehen oder einem Gegenüber zuschaut. Ihre Lieder griffen vor allem den Aspekt „Verbundenheit und Liebe“ auf. Zum Schluss forderte sie die Besucher auf, „Guten Abend – Gute Nacht“ gemeinsam zu summen. Stiller ging es fast nicht mehr. Ein absoluter Gänsehaut-Moment! Und knapp 50 Menschen hörten sich zu.

Die Reihe „Wissen und Klang“ im Hahnhof findet am ersten Freitag des Monats statt.

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