Wege ins Ungewisse
Wege ins Ungewisse. Foto: Rainer Sachs
Online-Vortrag im Zukunftsforum
Wie geht man mit dem Ungewissen, dem, was wir nicht fassen oder berechnen können, um? Wie können Kultur und Natur bei diesem Prozess helfen? Im Zukunftsforum von anders wachsen gab Dr. Rainer Sachs in seinem Online-Vortrag Antworten auf diese brisanten Fragen und diskutierte mit den Gästen.
Das Zukunftsform von anders wachsen, einer Kooperation von KulturVision und dem Katholischen Bildungswerk in Landkreis Miesbach, ist ein langfristig angelegtes Mitmachprojekt. Hier sollen Utopien und Visionen gesammelt und analysiert werden, um Handlungsimpulse für die Gegenwart abzuleiten. Jeder ist eingeladen, sich zu beteiligen.
Lesetipp: Aufbruch zum Zukunftsforum
Daneben findet eine Vortragsreihe statt, die Impulse für die Initiative geben soll. Der erste Vortrag von Dr. Martin Schneider hatte das Thema „Resilienz“, das zunehmend vom Einzelnen gefordert wird. Der Sozialethiker aber betonte, dass die gesamte Gesellschaft resilient werden müsse und die Verantwortung nicht auf den Einzelnen abgewälzt werden dürfe.
Lesetipp: Resilienz heißt auf Krisen vorbereitet sein
Resilienz ist deshalb so wichtig, weil wir in Zukunft immer mehr mit Risiken und Ungewissheiten konfrontiert sind. Dr. Rainer Sachs ist Physiker und war viel Jahre in der Finanzwirtschaft damit befasst, Risiken zu berechnen. Er berät heute Unternehmen und NGOs zum Thema Risikomanagement und ist Mitglied des Teams Zukunftsforum.
Macht der Zahlen
Er räumte gleich eingangs ein, dass er als Naturwissenschaftler ein Anhänger von Daten und Fakten sei und Unsicherheit nicht möge. Aber Veränderungen und Krisen seien nun einmal da, ob beim Klima, im Finanzsektor oder bei Pandemien. Wichtig in seiner Arbeit sei es gewesen, möglichst genau die Folgen von Risiken greifbar zu machen. Dabei gehe es um die Macht der Zahlen.
Entwicklung der Erderwärmung. Foto: Rainer Sachs
Am Beispiel der bekannten und wissenschaftlich gesicherten Entwicklung der Erderwärmung wies er nach, dass es eine große Hürde zwischen Erkenntnissen und Handeln gibt. Dazu komme die unterschiedliche Einschätzung, zum einen in Bereichen, wo man sich auskenne und „scheingenau“ bewerte und in Bereichen, in denen man sich nicht auskenne und zu waghalsigen Annahmen neige. „Heute aber gibt es nicht mehr das Dorf, sondern eine globale Vernetzung“, sagte er, was zu problematischen Einschätzungen führe.
Immer neue Szenarien, immer mehr vom Gleichen. Grafik: Rainer Sachs
Um aber wirklich mit Risiken umgehen zu können, genüge es keinesfalls, immer neue Szenarien nach demselben Muster zu berechnen, sondern man brauche einen neuen Umgang mit dem Risiko. Mit dem Urnenexperiment, bekannt aus der Wahrscheinlichkeitsrechnung, zeigte er wie subjektiv Menschen Risiken einschätzen und danach handeln. In der Urne seien 20.000 weiße und eine schwarze Kugel. Nehme man die schwarze, drohe der Tod, nehme man die weiße, gebe es Geld. „Wer greift in die Urne?“, „Wieviel Geld braucht es, um hineinzugreifen?“ Niemand aus der 24köpfigen Runde war auch für eine Million bereit dazu.
20.000 weiße und eine schwarze Kugel sind in der Urne. Foto: Rainer Sachs
Die Wahrscheinlichkeit zu sterben sei 1: 20.000, genauso groß wie die Wahrscheinlichkeit, im Straßenverkehr zu sterben, informierte Rainer Sachs. „Wir fürchten uns vor Dingen, die unrealistisch sind und machen Dinge, die gefährlich sind.“
Perspektivwechsel für den Weg ins Ungewisse
Um mit Risiken besser umgehen zu können, brauche es einen Perspektivwechsel. Dies sei das Thema seiner aktuellen Forschungsarbeit, sagte er. „Wir sollten wegkommen vom Vermeiden von Risiken und hin zum Betrachten des Erstrebenswerten.“ Ein möglicher Weg dazu sei eine Änderung der inneren Haltung. Dazu bedürfe es Präsenz und Resonanz, aber dies sei nicht allein durch Ratio zu erreichen. Er favorisiere eine Verbindung mit Geisteswissenschaften, mit Kultur und Natur, um zu innerem Wachstum zu kommen. Der Fokus sollte dabei auf der Stärkung eigener Ressourcen liegen, wobei man weniger verwundbar gegenüber Überraschungen werde.
Perspektivwechsel notwendig. Grafik: Rainer Sachs
Entscheidend dabei aber sei auch die Anerkennung von Diversität, Meinungsvielfalt und Netzwerkverhalten, denn letztlich seien Verbindungen wichtiger als Einzelelemente. Die Beurteilung von Risiken, so wies er anhand von Fakten nach, sei abhängig von Alter und Geschlecht der Entscheidungsträger, was bedeute, dass hier Ausgewogenheit am Platze sei.
Appetit auf Risiko
Rainer Sachs warb für einen „Appetit auf Risiko“ und erklärte, dass mit dem Zukunftsforum kein Leitfaden, aber ein Aufbruch gewagt werde. Ein schmaler unscharfer Pfad führe in die Zukunft, beschwerlich, und einer müsse vorangehen, um den Weg freizumachen. „Risiken und Unsicherheiten dürfen uns nicht davon abhalten, uns auf den Weg zu machen.“
Dr. Rainer Sachs. Foto: Becky Köhl
In der lebhaften Diskussion wurde einheitlich dem Vorschlag von Rainer Sachs zugestimmt, Risiko und Ungewissheit, also ein Risiko, das man nicht quantifizieren kann, positiv zu bewerten. In der Evolution habe es immer Lebewesen gegeben, die das Risiko gewagt hätten. Andererseits möge man bei transparenten Risiken, wie etwa dem Skitourengehen, Warnungen ernstnehmen.
Die Bedeutung von Kunst zur Bewältigung von Unsicherheiten erklärte Rainer Sachs so: „Künstler haben eine positive Einstellung zur Ungewissheit, denn der schöpferische Prozess ist voller Risiken.“ Nicht den worst case, sondern den best case möge man sich vorstellen, denn dies mobilisiere die Schöpferkraft, meinte eine Künstlerin. Dem konnte der Risikoforscher nur zustimmen und meinte: „Immer nur worst case Szenarien berechnen, das macht etwas mit mir, für etwas Schönes braucht es andere Instrumente.“
Auch Erfahrungen in der Natur, so betonte Rainer Sachs, verschaffen über Resonanz Zugang zu den inneren Ressourcen. Und Erkenntnisse aus der Natur, wie die Anfälligkeit von Monokulturen, erlauben Erkenntnisse über die Ratio. Letztlich waren sich alle einig, dass es zwar kein Patentrezept für den Weg ins Ungewisse gebe, aber man von der Schadenminimierung weg hin zu positiven individuellen Ansätzen kommen müsse.