Die Ambivalenz der Transparenz
Detlef Hartung-Georg Trenz: PALIMPSEST I. Foto: Petra Kurbjuhn
Kunstwoche Lenggries
Wieder einmal fasziniert die Kunstwoche Lenggries durch ihr Ausstellungskonzept, ihr hochspannendes Thema sowie die Einbindung von Arbeiten überregionaler Gastkünstler, die die Mitglieder der Künstlervereinigung mit ihren Werken ergänzen.
Schon bei der Ankunft vor dem Pfarrheim ist der Besucher gefesselt von den Arbeiten zweier Gäste. Zunächst die begehbaren Installationen von Gabriela Nepo-Stieldorf. „RÄUME x 2“ realisiert das Ausstellungsthema „Transparenz“ ambivalent, denn in die durchsichtigen Plexiglaswände sind Bilder eingefügt, die die Begriffe ICH, DU, WIR als Essenz der Kommunikation enthalten. „In einer anderen Haut“ ist der Besucher aufgefordert, in fremde Polyesterhüllen zu schlüpfen.
Gabriela Nepo-Stieldorf: „In einer anderen Haut“. Foto: Petra Kurbjuhn
Antonia Leitners Skulptur „Apate – die Täuschung“ kommt in dem Holzstadel zu einer neuen Wirkung. Das durch Mehrfachreflexion an einem polierten Hohlspiegel entstehende Wesen erhält durch die Fernwirkung ganz unterschiedlich nahezu schwindlig machende Effekte.
Antonia Leitner: „Apate – die Täuschung“. Foto: Petra Kurbjuhn
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Im Gebäude empfängt eine weitere verwirrende Projektion des Künstlerduos Detlef Hartung – Georg Trenz. Mit 14 Beamern gestalten sie aus Licht, Wörtern und Bewegung „Palimpsest“. Dieser Begriff beinhaltet das Überschreiben alter Pergamente. Hier aber ist alles Vorherige trotz Überschreiben noch da, der Besucher muss nur durch seinen Körper einige Projektionen auslöschen, um alte Begriffe erkennen zu können und das Verwirrspiel der Überschreibungen zu stören.
Marina Herrmann: „Coloured city“. Foto: Petra Kurbjuhn
Im großen Galerieraum überraschen raumgreifende knapp fünf Meter hohe Transparente. Geht man hindurch, dann ist es nicht wie im Labyrinth von El Anatsui, kürzlich im Haus der Kunst München zu sehen, sondern man bewegt sich wie in kleinen Gässchen durch die großen Metropolen der Welt. Marina Herrmann aus Köln hat mit ihrem Werk „Colour City“ die Identität jeder Stadt erfasst und der Besucher darf auf Entdeckungsreise gehen.
„Alles ist nur in unserem Kopf“
Zu den Werken dieser Gastkünstler gesellen sich die Auseinandersetzungen mit dem Thema „Transparenz“ der Mitglieder der Künstlervereinigung Lenggries. Spannend ist die Video-Installation „In your head“ von Veronika Partenhauser im Foyer. Im Hologramm in einer Glaspyramide erscheint dreidimensional eine Band, aber sie erscheint nur, denn „alles ist nur in unserem Kopf“.
Gabi Pöhlmann: „Julia I und II“. Foto: Petra Kurbjuhn
Gabi Pöhlmann hat eine andere Auffassung. Ihre Porträts „Julia“ mit einem eingeblendeten Text sollen verdeutlichen, dass es eines klaren Geistes bedarf, um die wirkliche Welt außerhalb unserer Ideen und Gedanken zu erkennen.
Schwellen überschreiten
Für Jürgen Dreistein ist das Thema „Transparenz“ die Herausforderung, Schwellen zu überschreiten, Licht ins Dunkle zu bringen. Seine Farbstiftzeichnungen „Lichtszenarien“ sollen die Wahrnehmung in einer unübersichtlich gewordenen Welt schärfen.
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Auch Heidi Gohde will mit ihrer Fotografie Unsichtbarkeit sichtbar machen und Zwischenräume entdecken. In „Blue visions in moonlight“ darf der Betrachter Phänomene in der Natur wahrnehmen, die er sonst vermutlich nicht entdeckt hätte.
Ecki Kober: „Offenes Geheimnis“. Foto: Petra Kurbjuhn
Auf der Bühne fallen die beiden großen Bilder „Offenes Geheimnis“ von Ecki Kober auf. In ihrer stillen Farbkomposition laden sie dazu ein, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren und die Dinge hinter den Dingen zu erkennen.
Aura humana versus Homo digitalis
Diesen Ansatz verfolgt auch Günter Unbescheid mit seinen beiden Fotocollagenserien. Mit „Aura humana“ will er den Blick auf den Kern des Menschen hinter seiner Fassade lenken. Die unfreiwillige Transparenz durch Google, facebook und andere ist in der Serie „Homo digitalis“ erfasst. Hier wird der Mensch reduziert auf Datensätze, die seine Vorlieben wiedergeben.
Günter Unbescheid: „Homo digitalis I und II“. Foto: Petra Kurbjuhn
Im ersten Stock findet der Besucher tiefsinnige Fotografie von Klas Stöver. Der Künstler vereinigt in seinen Arbeiten „Schatten werden zu Licht“ durch Spiegelung lebendige Vegetation mit abgestorbener Vegetation, womit sich die Zeiten vereinigen.
Schlaflose Nächte
In der Hinterglasmalerei von Sophie Frey verbergen sich „Schlaflose Nächte“. Hinter einer transparenten Gardine tummeln sich Tiere, Sinnbilder des Gedankenkarussells, das auch vor dem Traum nicht haltmacht.
Paul Schwarzenberger: Fotocollagen „Transparenz“. Foto: Petra Kurbjuhn
Ganz hinten hat sich Paul Schwarzenberger eine Black box eingerichtet, in der der Besucher sich seine undurchsichtigen Fotocollagen durchsichtig machen kann. Mit Sarkasmus und Humor hat er sich dem Thema in politischem Sinn genähert und die Ambivalenz von geforderter Transparenz ausgelotet.
Transparenz muss in Handeln münden
In seiner Eröffnung machte Günter Unbescheid, 1. Vorstand der Künstlervereinigung Lenggries, die Komplexität des Themas Transparenz deutlich. Denn sie sei eben nicht nur Durchlässigkeit, sondern könne nur als Anfang eines Prozesses dienen, der mit dem Blick auf das Dahinterliegende in Handeln mündet.
Günter Unbescheid und Bürgermeister Werner Weindl. Foto: Petra Kurbjuhn
Zudem wies er auf die versteckte Transparenz der social media Kanäle hin, die zum gläsernen Menschen führe. Und letztlich könne Transparenz auch Spiegelung und Verzerrung bedeuten. Die politische Dimension machten sowohl Bürgermeister Werner Weindl als auch Landrat Josef Niedermaier deutlich.