Rafik Schami

Rafik Schami: „Wenn du erzählst, erblüht die Wüste“

Rafik Schami erzählt in Holzkirchen. Foto: Karin Sommer

Lesung in Holzkirchen

2020 verhinderte die Pandemie den Auftritt von Rafik Schami in Holzkirchen. „Heute haben das nicht einmal die streikenden Lokführer geschafft“, freute sich Cornelia Engl von der Holzkirchner Bücherecke, als sie den bekannten syrisch-deutschen Schriftsteller Rafik Schami in der katholischen Kirche St. Josef willkommen hieß.

„Jede Geschichte hat eine Vorgeschichte“ stellt Rafik Schami zu Beginn des Abends fest. Sein Vater, ein wohlhabender, syrischer Bäckereibesitzer, war auch leidenschaftlicher Bücherliebhaber gewesen und erfreute sich vieler handschriftlich verfasster Werke. Nach seinem Tod verbrannten viele seiner Schätze im Bürgerkrieg, doch einige blieben erhalten. Mit ihnen auch die Erinnerungen daran, dass der Vater weicher wurde, wenn er las. Weinte, lachte, während er beim Lesen nicht gestört werden durfte, und danach liebevoll gewesen war.

Von der Liebe zu Büchern

Die Liebe zu den Büchern war Rafik Schami als einzigem unter den Geschwistern geschenkt und somit auch die Freude über eines der vermachten Bücher mit Volksgeschichten, zwischen dem achten und dem 18. Jahrhundert angesiedelt. Genauso wie die Brüder Grimm keine Märchen geschrieben, sondern sie gesammelt haben, war es auch bei diesem Erzählband. Da es keinen Autor von Volksmärchen gibt, dürfen sie auch von jedem weitererzählt und somit auch verändert werden. Genau das tat Rafik Schami mit dem wertvollen Buch. Er übersetzte den Kern, erzählte ihn neu und gab ihm den Titel „Wenn du erzählst, erblüht die Wüste“. Ein Buch, das sich in eine Reihe von veröffentlichten und mit vielen Preisen ausgezeichneten Büchern einreiht.

Rafik Schami
Cover „Wenn du erzählst, erblüht die Wüste“. Foto: Hanser

Die Inspiration des Erzählens

Die ureigenste Verbreitungsform von Märchen ist das Erzählen, auch wenn sie in Büchern festgehalten und bewahrt werden. Vielleicht liest Rafik Schami deshalb nicht aus seinen Büchern, sondern erzählt aus ihnen. Dadurch werden sie im Moment lebendig, indem er kleine Witze hinzufügt, von den Menschen im Raum dadurch inspiriert, die eine oder andere Geschichte, Erzählfigur oder Wende ins Licht zu rücken.

Kein Licht ohne Schatten

Am Beginn des Buches wie des Abends in Holzkirchen steht wie in vielen Märchen eine Prinzessin im Mittelpunkt des Geschehens. In einem kleinen Land in Arabien, verliebt sie sich in einen Fischer und möchte ihren Eltern an einem ungestörten Ort mitteilen, dass sie nicht standesgemäß heiraten, sondern ihrer Liebe folgen wird. Da nutzen böse Mächte die Gunst der Stunde und die Königin wird anstatt des Königs von einer Kugel getroffen und stirbt. Die Prinzessin erliegt ihren Schuldgefühlen und zieht sich von der Welt zurück.

St. Josef mit Leben füllen
Die Kirche St. Josef. Foto: Petra Kurbjuhn

Der König bietet Belohnungen dafür, seine Tochter gesundzumachen, doch alle Weisen, Heiler, Theologen und Scharlatane scheitern. Der, der die Wende einleitet, ist ein Erzähler, der zuhört. Durch das Zuhören gewinnt er Vertrauen. Durch das Anbieten von Geschichten ermöglicht der Geschichtenerzähler der Prinzessin, den Weg zurück ins Leben zu finden, in dem sie sich in den Geschichten selbst erkennt.

Die heilende Kraft des Erzählens

Doch ist es nicht nur der Geschichtenerzähler allein, der zur Heilung der Prinzessin beiträgt. Er bindet das Volk mit ein, das zu erzählen beginnt und letztendlich sind es die Geschichten oder besser gesagt, die Leben der Heldinnen der Geschichten, die Heilung bringen. Die menschlichen Licht- und Schattenseiten, die miteinander zu tanzen beginnen, nicht ohne einander können und gerade darin das Leben feiern.

Rafik Schami
Geschichten für daheim: Rafik Schami signiert. Foto: Karin Sommer

Um Liebe und Hass geht es da, um Freundschaft und Feinde, um Gauner und deren Widersacher, um Geiz und Großzügigkeit, um Mut und Feigheit, um Menschen, die nicht so sind, wie sie sein sollten, sondern sind, wie sie sind. In unserem Falle bewegen sie sich in verschiedenen Jahrhunderten in der orientalischen Kultur, sind geprägt von Landschaft, Gesellschaft und Zeitgeist. Rafik Schami bringt sie seinem Publikum mit Humor und Gelassenheit näher, betont das Menschliche, das über alle Kulturen und Zeitalter hinweg dasselbe bleibt. Und bekommt dafür sehr viele glückliche Gesichter und Applaus in der katholischen Kirche St. Josef in Holzkirchen.

Rafik Schami „Wenn du erzählst, erblüht die Wüste“, Hanser Literaturverlage

Zum Weiterlesen: Ein Geschichtenerzähler mit Herz und Humor

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