
Mit Strumpfsocken und ohne Noten
Die typische Sitzhaltung des Organisten: Gregor Dworzak mit dem Rücken zum Publikum am Spieltisch der großen Steinmeyer-Orgel aus Heidelberg. Foto: Anja Gild
Freie Orgel-Improvisationen in Valley
Der Organist zieht die Schuhe aus und stellt sie ordentlich neben eine Orgel. Und dann beginnt in der Zollingerhalle ein zauberhaftes, intuitives Spiel mit Tönen und Harmonien im Hier und Jetzt: Gregor Dworzak verzaubert sein Publikum mit freien Orgel-Improvisationen an drei Orgeln.
Es ist schon ein ganz besonderer und seltener Moment in unserer modernen Zeit, wenn Musik nicht reproduzierbar ist – im Hier und Jetzt entsteht, nicht vorher war und niemals danach sein wird. Und es ist schon ein ganz besonderer Moment, wenn dies in einer alten Sägewerkshalle auf einem Instrument passiert, das einem Gänsehautgefühle beschert.
Am vergangenen Wochenende tauchte der Organist Gregor Dworzak sein Publikum in der Zollingerhalle in eine fesselnde Klangwelt mit kunstvollen freien Orgel-Improvisationen an drei verschiedenen Instrumenten.
„Der Klavierlehrer verzweifelte“
Gregor kennt keine Noten und spielt ohne Schuhe, bedient nur in Strümpfen die Fußpedale der Orgeln. Er, der IT-Fachmann und Techniker, gleitet in schlafwandlerischer Sicherheit über die Tasten und durch die Welt der Harmonien.
„Alles kommt bei ihm aus dem Augenblick, so wie es ihm jetzt und in diesem Moment gegeben ist.“ Dr. Sixtus Lampl, der Gründer des Valleyer Orgelzentrums, stellt den Organisten des Abends beinahe liebevoll und voll des Respekts vor. „Er holt aus der großen Steinmeier-Orgel etwas heraus, was ich nie herausholen kann.“
Dr. Sixtus Lampl stellt den Organisten des Abends, Gregor Dworzak, voll des Respekts vor seiner musikalischen aber auch orgel-technischen Leistung vor. Foto: AG
IT-Fachmann und Organist in einer Person
Gregor Dworzak ist Mitglied im Stiftungsrat der Dr. Sixtus und Inge Lampl Stiftung. Er ist derjenige, der schon mal die Technik einer Orgel repariert. Er ist ein bescheidener Mensch, der seine musikalische Kunstfertigkeit nie in den Vordergrund stellt. Umso berührender ist es, diesen kräftigen Mann versunken in die Welt der Töne, die aus ihm in die Orgel hineinfließen, zu beobachten und zu hören. „Gregor hat früh Klavier gelernt, aber dann aufgehört. Eine kleine Heimorgel war der Beginn seiner Leidenschaft. Das Spiel hat er sich selbst beigebracht.“ Sixtus Lampl verneigt sich vor seinem Können.
Kleine Orgelkunde ganz nebenbei
Dworzaks Aufgabe an diesem Abend war es nicht nur, Zauberhaftes zu Gehör zu bringen. Seine Aufgabe bestand auch darin, die Unterschiedlichkeit verschiedener Orgeln zu zeigen.
Die Rokoko-Orgel (1745) entfaltet einen weichen Klang. Sie gilt überhaupt als erste in München gebaute Orgel. Foto: AG
Zuerst spielte er eine Improvisation an der Rokoko-Orgel, die im 18. Jahrhundert von Anton Bayer, einem Orgelbauer aus Würzburg in München gebaut wurde. Diese Orgel ist „Opus 1 in München“, erklärt Sixtus Lampl. Er erzählte zwischen den musikalischen Momenten charmant, witzig, klug und unerschöpflich fachkundig Geschichten und Hintergründe zu den einzelnen Instrumenten. „Es gab damals in München keine Orgelbauer. Also wurde auch keine Orgel gebaut. Und damit ist dieses Prunkstück, das Sie gerade gehört haben, das erste in München gefertigte Instrument dieser Art.“ Während Lampl erklärt, sitzt Dworzak still und ohne Schuhe und wartete auf seinen nächsten Einsatz.
Orgel-Improvisationen auf der Eule-Orgel
Auf die Rokoko-Orgel folgen kurze Orgel-Improvisationen auf der sogenannten Eule-Orgel (1939), einem „kleinen, sehr feinen Instrument, das ein authentisches Zeitzeugnis für die Auffassung von Barockklang in der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg darstellt.“ Der klangliche Kontrast zwischen diesen beiden Instrumenten ist deutlich zu hören: Vom warmen, weichen Klangbild der Rokoko-Orgel zu einer „als unangenehm steil disponiert(en) und in der Höhe flirrenden“ Klangfarbe.
Die Eule-Orgel ist ein kleines Instrument, erbaut in Bautzen Ende der 30er Jahre. Foto: Gregor Dworzak
20.000 Einzelteile und 4500 Pfeifen
Aber all das war eher ein Vorspiel. Der krönende Abschluss ist das Spiel an der unvergleichlichen, großen Steinmeyer-Orgel aus der Jesuitenkirche Heidelberg (erbaut 1954 bis 1956). „Ich schätze, sie hat rund 20.000 Einzelteile und rund 4500 Pfeifen“, erklärt Lampl. Gregor sitzt im Parterre am Spieltisch, mit Blick auf das große Gemälde der Hamburger Röver-Orgel. Die Pfeifen der Steinmeyer-Orgel thronen auf der anderen Seite der Zollingerhalle über dem Eingang. Er sitzt mit dem Rücken zum Publikum und taucht die Zollingerhalle mit ihrer unvergleichlichen Akustik in eine Welt der Töne und Harmonien, die ihresgleichen suchen.
4500 Orgelpfeifen der großen Steinmeyer-Orgel bringen die Zollingerhalle zum Beben. Foto: Gregor Drowzak
Langsam, ganz langsam baut er die Melodien auf, wechselt die Rhythmen, meandert zwischen Dur und Moll und schafft es, die Lamellen der Holzdecke, die Menschen, das Inventar, die Orgeln mit Klangwellen einzuhüllen – in einen Rausch der Töne zu versetzen. Ist es die Ehrfurcht vor der Gewaltigkeit und Größe dieser Orgel, die einen Schauer nach dem anderen durch den Körper jagt? Ist es die Musik, die im Hier und Jetzt entsteht? Ist es die Hingabe des Organisten an das Spiel mit der Orgel? Jedenfalls war es ein unvergesslicher Moment.
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