
360-Grad-Blick auf Olaf Gulbransson
Der neue Sammlungsführer des Olaf Gulbransson Museums Tegernsee. Foto: IW
Kunst am Tegernsee
Die Persönlichkeit und das künstlerische Werk Olaf Gulbranssons sowie auch der Museumsbau und die Menschen, die das Museum fördern, werden in dem neuen Sammlungsführer von Andrea Bambi beleuchtet oder kommen selbst zu Wort. Entstanden ist in zweijähriger Arbeit ein vielschichtiger Blick auf den Künstler und sein Haus – und eine kritische Auseinandersetzung mit dem Erbe.
Das einzige monothematische Museum der Staatsgemäldesammlungen feiert nicht nur die Qualität des künstlerischen Erbes Olaf Gulbranssons. Es setzt sich auch mit dem historischen Kontext im Leben und Schaffen des „Titans der Zeichenkunst“, wie ihn der Karikaturist Luis Murschetz bezeichnete, auseinander. So genial der Künstler Olaf Gulbransson war – als pointierter Zeichner und Karikaturist für den „Simplicissimus“ und in seiner freien, nahezu weltentrückten Malerei – so kontrovers diskutiert ist auch seine Persönlichkeit hinsichtlich seiner Haltung während der Zeit des Nationalsozialismus. „Die Fakten werfen Fragen auf, die wir nicht ausklammern dürfen“, heißt es im Vorwort von Anton Biebl, dem interimistischen Leiter der Staatsgemäldesammlungen: „Über die Verantwortung des Künstlers in der Diktatur, über Opportunismus und Anpassung, über Schweigen und Mitmachen.“
Interesse an der Geschichtsaufarbeitung
Ist es so, wie Gulbransson über sich gesagt haben soll: „Ich bin eigentlich kein politischer Zeichner, ich zeichne das Motiv, das ich zwischen die Finger bekomme“? Oder birgt das Wörtchen „eigentlich“ eine Ambivalenz bereits in sich, sodass es nach Kriegsende aus dem Kreis der verfemten und emigrierten Künstlerkollegen den Vorwurf gab, er habe „den Nazis in die Hände gearbeitet“? „Wir sehen bei den Führungen im Museum, dass es ein reges Interesse an der Aufarbeitung der Geschichte gibt“, erläutert Andrea Bambi, Leiterin der Provenienzforschung bei den Bayerischen Staatsgemäldesammlungen und Referentin des Olaf Gulbransson Museums. „Und wir freuen uns, dass wir damit den Gründungszweck des Museums erfüllen können – als Ort des Austausches, an dem über wichtige Themen reflektiert wird.“
Dr. Andrea Bambi bei der Neueröffnung der ständigen Sammlung anlässlich Olaf Gulbranssons 150. Geburtstag 2023. Foto: IW
Bereits 2017 hatte das Olaf Gulbransson Museum mit der Ausstellung „Trügerische Idylle“ als erste Institution die Debatte um die Aufarbeitung der Zeit des Nationalsozialismus im Tegernseer Tal angestoßen. „Seitdem thematisieren wir das kontinuierlich“, so die promovierte Kunsthistorikerin und Autorin des Buches. „Uns ist sehr an Transparenz gelegen und Sandra Spiegler und Sonja Still thematisieren das auch immer bei ihren Führungen durchs Museum.“
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Gesamtwerk in historischen Kontext einordnen
Ausführlich wird daher im neuen Sammlungsführer Olaf Gulbranssons Rolle in der Kaiserzeit und Weimarer Republik, während des Ersten Weltkrieges und zur Zeit des Nationalsozialismus sowie in der Nachkriegszeit ausgeleuchtet. „Die Besucherinnen und Besucher von heute müssen Brüche und Kontinuitäten erkennen, um das Gesamtwerk einordnen zu können“, erläutert Andrea Bambi. Gulbranssons Verhalten sei beispielhaft für die Komplexität der Beziehungen zwischen Kunstschaffenden und totalitären Regimen, die oftmals zwischen persönlicher Überzeugung, künstlerischer Freiheit und opportunistischen Entscheidungen auf einem schmalen Grat am Abgrund balancierten.
„10 Werke – 10 Autor:innen“
Zugleich war es ihr ein Anliegen, im neuen Sammlungsführer auch diejenigen Menschen zu Wort kommen zu lassen, die leidenschaftlich engagiert das Museum vor Ort unterstützen – „weil es davon lebt“, so die promovierte Kunsthistorikerin. Im Kapitel „10 Werke – 10 Autor:innen“ teilen neben Michael Beck, dem Vorsitzenden der Olaf Gulbransson Gesellschaft e. V., Kunsthistorikerin Sandra Spiegler und Kulturjournalistin Sonja Still vom Olaf Gulbransson Museum ihre Gedanken und Wahrnehmungen zu jeweils einem von Olaf Gulbranssons Gemälden der Dauerausstellung. Auch Herzogin Anna in Bayern, Kunstförderin und Beirätin der Gesellschaft, die norwegische Botschafterin in Berlin H. E. Laila Stenseng und weitere dem Haus seit vielen Jahren Nahestehende wie beispielsweise die Kunsthistorikerin Mon Muellerschoen und der Kunsthistoriker Bernhard Maaz sind mit Beiträgen über Olaf Gulbranssons Malereiwerke vertreten.
Olaf Gulbransson: Selbstbildnis mit Tuch, 1937. Foto: Bayerische Staatsgemäldesammlungen
„Wenn man rein das künstlerische Werk von Gulbransson anschaut, kann man darin keine antisemitische Tendenz entdecken“, so Andrea Bambi. „Das Werk lebt einerseits von der spitzen Feder, mit der er auch den Stil des Simplicissimus mitgeprägt hat, und andererseits zieht sich Gulbransson mit seinem malerischen Werk komplett auf eine Insel zurück, wo er für sich arbeitet, was sich deutlich unterscheidet von anderen, die arrivierte NS-Künstler waren“. Da habe er sich nicht angepasst, sondern sei in seinem bayerisch-norwegischen Bildrefugium geblieben, das durch ganz wenige Inhalte geprägt ist.
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Auch der Museumsbau selbst, ein architektonisches Juwel von Sep Ruf aus dem Jahr 1966, erhält einen breiten Platz im Sammlungsführer: von der Entstehungsgeschichte und verschiedenen baulichen Erweiterungen bis zu den Menschen, die es ermöglichten – allen voran der Architekt und Gulbranssons Witwe mit ihren Kontakten bis hin zu Bundeskanzler Ludwig Erhard. Beleuchtet werden zudem die Wegbereiter und Wegbegleiter und nicht zuletzt die beiden Ehefrauen, die Gulbranssons Leben und Wirken in Deutschland prägten: Grete und Dagny Gulbransson.
Zeigte sich gern frei und naturverbunden: der norwegische Bayer Olaf Gulbransson. Foto: IW
Sehenswert und sehr anschaulich ist auch die Bebilderung des Museumsführers: Über 40 Gemälde sowie zahlreiche Zeichnungen und Druckgrafiken wurden erstmals mit moderner Fototechnik digitalisiert. Dadurch werden die Feinmalerei und die präzise Linienführung Gulbranssons eindrucksvoll sichtbar. Ergänzt wird die Publikation durch historische Schwarz-Weiß-Fotos, die den Künstler als Kunstfigur, seinen Körperkult und sein naturverbundenes Leben hoch über dem Tegernsee mit Blick auf seine Lieblingssujets dokumentieren.
Spannend ist also insbesondere die zweifache Perspektive des neuen Sammlungsführers: Er beleuchtet einerseits das künstlerische Schaffen von Olaf Gulbransson – seine Karikaturen, Porträts und fein ausgeführten Zeichnungen und Gemälde – und andererseits die Geschichte des Museums selbst, seiner Förderer sowie die bedeutende Museumsarchitektur von Sep Ruf. Damit sind in einem kompakten und handlichen Bildband ästhetische Qualität, kritische Reflexion und museale Übersicht bestens vereint.
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