
Weckruf der Frauen
Ensemble der Commedia dell’arte. Foto: Petra Kurbjuhn
Theater in Holzkirchen
Mit dem diesjährigen Sommertheater startete das Sprechtheater des Freien Landestheaters Bayern eine Kooperation mit der TwoBeYou Schauspielschule in München, mit durchschlagendem Erfolg. „Das Kaffeehaus“ von Carlo Goldoni begeisterte das Publikum.
Kein Wunder, Regisseur Michele Olivieri ist nicht nur Italiener, sondern auch ausgewiesener Experte für die Commedia dell’arte, seine Handschrift prägt die temporeiche Inszenierung des Stückes, das von Sophia Julia Schützinger modern adaptiert wurde.
Entsprechend der Philosophie der Commedia dell’arte dient es in erster Linie der Unterhaltung und dennoch hat Goldoni auch wichtige und zeitlose Themen des menschlichen Verhaltens angesprochen. So spielen Gier, Verrat, Täuschung, Sucht eine wesentliche Rolle. Ganz besonders aber, und das ist für die Zeit des Autors im 18. Jahrhundert doch überraschend, betont er die Rolle der Frau, die zu lange nur zuschauten und nun endlich ihr Leben selbst in die Hand nehmen.
Frauenpower gegen den Betrüger. Foto: Petra Kurbjuhn
Die Figuren der Komödie entsprechen Stereotypen der Commedia dell’arte, die teils mit Masken und teils ohne Masken auftreten. Die bekannteste Figur ist der Harlekin, hier ist es Trappola, die Bedienung im Kaffeehaus. Georgina Staudt glänzt in dieser Rolle insbesondere durch ihre selbst choreografierten Tänze und ihre akrobatische Gestik, mit der sie über die Bühne stolziert.
Ihre Chefin, die Kaffeehausbesitzerin Ridolfa wird von Katja-Lisa Engel als bodenständige, schlichte Frau mit gewitztem Hausverstand gespielt, die mit ihrem Leben und ihrer Arbeit zufrieden ist. Dazu trägt auch der bairische Dialekt bei, der der Figur Authentizität verleiht. Sie versucht die Fäden der Handlung zusammenzuhalten und vor allem dem schwachen Typ Mann in Form von Eugenio immer wieder zu helfen.
Judith Heimerl (Vittoria), Katja-Lisa Engel (Ridolfa) und Theresia Benda-Pelzer (Donna Marzia). Foto: Petra Kurbjuhn
Dieser wird von Johannes Amann als dem Spiel Verfallener dargestellt, der aber dann letztlich doch eine Wandlung erfährt. Immerhin ist seine Frau hochschwanger und ständig davon besessen, dass jetzt die Fruchtblase platzt. Judith Heimerl gibt die immer wieder betrogene Ehefrau verzweifelt und dennoch verzeihend und liebend. Zwischenzeitlich indes ruft sie in ihrer Not: „Ich hasse alles, das Stück, den Regisseur, das Ensemble.“
Eine typische „Maske“ im Sinne der Commedia dell’arte ist Pandolfo, weiß geschminkt mit Perücke kommt Korbinian Langl mit gekünstelten Bewegungen, raschen Drehungen um die Tische des Kaffeehauses daher und versinkt in der Betrachtung seiner auffallend roten Schuhe. Ihm nimmt man die Rolle des Verführers ab, der mit gezinkten Karten seine Partner beim Spiel über den Tisch zieht und von seiner unvergleichlichen Intelligenz überzeugt ist. Mit seinem Ausspruch „Carpaccio diem“ indes relativiert er dies.
Georgina Staudt (Trappola) vor Johannes Amann (Eugenio), Korbinian Langl (Pandolfo), Theresia Benda-Pelzer (Danna Marzia) und Katja-Lisa Engel (Ridolfa). Foto: Petra Kurbjuhn
Cathrin Paul darf als Maske und unmaskiert auftreten. Als Tänzerin mit offenbar verletztem Bein und weißer Perücke fühlt sie sich wahnsinnig sexy und als arme Frau bettelt sie im Publikum um Almosen und ist enttäuscht, als sie erfährt, dass ihr Liebhaber Eugenio verheiratet ist.
Cathrin Paul. Foto: Petra Kurbjuhn
Donna Marzia ist die Maske, die alles weiß, die für Klatsch und Tratsch im Kaffeehaus zuständig ist, eine Paraderolle für Theresia Benda-Pelzer mit hochgetürmter Perücke und maskenhaft geschminkt, sowie theatralischer Gestik und Mimik. Sie stellt glaubhaft die Oberschicht der Gesellschaft dar, zwar gebildet, aber sieht sich doch als etwas Besseres.
Johanna Dürr (Kind). Foto: Petra Kurbjuhn
Mit dem „Kind“ hat der Regisseur ein Tüpfelchen auf dem I hinzugefügt, denn deren Äußerungen „Wie bei McDonald’s“ oder „cool“ stammen sicher nicht von Goldoni. Die neunjährige Johanna Dürr spielt das immer wieder auftauchende Mädchen mit dem gelben Ball naseweis und altklug und mit außergewöhnlicher sicherer Bühnenpräsenz.
Zum Gelingen der Aufführung tragen die prachtvollen Kostüme und aufwendigen Masken und Frisuren von Ingrid Huber maßgeblich bei. Das Bühnenbild indes ist spartanisch, besteht nur aus Bistrotischen und Stühlen. In diesem schlichten Ambiente spielt sich die eigentlich unwichtige Handlung ab. Wichtig sind vielmehr die scharf gezeichneten Figuren mit ihren Charakteristika und deren Darstellung durch die allesamt großartig spielenden Mitwirkenden vom FLTB und der TwoBeYou Schauspielschule.
Korbinian Langl (Pandolfo) verführt Johannes Amann (Eugenio) zum Spiel. Foto: Petra Kurbjuhn
Auch wenn ursprünglich in der Commedia dell’arte keine moralischen Botschaften vermittelt wurden, sondern die Stücke auf reine Unterhaltung ausgerichtet waren, so hat doch Carlo Goldoni mit seinen Werken, wie „Diener zweier Herren“ oder auch „Das Kaffeehaus“ Botschaften eingebaut, ohne aber moralisierend zu sein.
So schließen sich am Ende alle Frauen, ungeachtet ihres Standes zusammen und wollen einen Neuanfang, denn „wer schweigt ist mitverantwortlich“, welch zeitgemäße Äußerung. Als Weckruf sehen sie die Verfehlungen und entscheiden zum einen zuzuhören und zum anderen selbst zu entscheiden, wohin der Weg führt.
Der Betrüger muss gehen. Foto: Petra Kurbjuhn
Auch bei der zweiten Vorstellung, die nach der umjubelten Premiere im Freien, im FoolsTheater stattfinden musste, konnte die Inszenierung vollends überzeugen. Das Publikum ging mit, durfte sich auch immer wieder beteiligen und der Applaus wollte kein Ende nehmen.
Zum Weiterlesen: Alle sind verdächtig