
Über die artgerechte Haltung von Gärtnern
Sebastian Girmann vom Biotop Oberland. Foto: Petra Kurbjuhn
Fastenpredigt in Holzkirchen
Mit einem zugleich spannend-informativen und berührendem Vortrag ging die diesjährige Fastenpredigtreihe unter dem Titel „Vier Geschichten, die Mut machen“ zu Ende. Sebastian Girmann, geschäftsführender Vorstand des Biotop Oberland sprach über Erfolg und Herausforderungen bei der Gründung eines Unternehmens.
„Wenn wir für etwas sind, dann setzt das Kraft frei, wenn wir gegen etwas sind, hat das wenig Kraft“, sagte Markus Bogner zur Einführung der Fastenpredigt in der Kapelle zur Heiligen Familie St. Josef. Der Biobauer, Autor und Dozent aus Bad Wiessee organisiert gemeinsam mit KulturVision e.V. die erfolgreiche Reihe heuer zum dritten Mal. Er sei für die artgerechte Haltung von Bauern und wie im Falle von Biotop Oberland für die artgerechte Haltung von Gärtnern.
Moderator Markus Bogner. Foto: Petra Kurbjuhn
Genau dies sei ein Grund für das Vorhaben, das er mit seinen Mitstreitenden seit zehn Jahren umsetze, sagte Sebastian Girmann. Der studierte Gärtner konnte die prekären Arbeitsbedingungen und die schlechte Bezahlung von Gärtnern nicht akzeptieren. „Ich habe meinen Beruf sehr gern, er erfordert viel Kompetenz und sollte anständig bezahlt werden.“ So habe er nach anderen Rahmenbedingungen gesucht.
Zwei Zentimeter zu lange Zucchini
Der zweite Grund für die Gründung von Biotop Oberland sei die Praxis in Gemüsegärtnereien, dass 20 bis 40 Prozent des Gemüses vernichtet werde, weil es nicht den optischen Marktanforderungen entspreche, zu große Zucchini oder Karotten mit mehreren „Beinen“. Als er einmal zwei Schubkarren Zucchini in den Kompost befördert habe, weil sie zwei Zentimeter zu lang waren, habe er entschieden, so gehe es nicht mehr weiter.
Zu dritt gründeten sie eine gemeinschaftsgetragene Landwirtschaft. „Das Konzept ist einfach“, sagte er, „wir bauen Gemüse für unsere Genossenschaftsmitglieder an, die wöchentlich eine Gemüsekiste erhalten“.
Was einfach klingt, war kompliziert, denn sie fingen bei null an, hatten weder Flächen noch Werkzeuge, aber fanden viel Interesse bei Konsumenten. 2015 war die Rechtsform einer Genossenschaft gefunden, ein Landwirt in Lenggries verpachtete Flächen und 100 Mitglieder schrieben sich ein.
Für die Investitionen war ein Betrag von 350 000 Euro erforderlich, der auf der ersten Generalversammlung einstimmig beschlossen wurde, allerdings ohne Kredit, alles sollte aus der Genossenschaft finanziert werden. „Diese Unterstützung der Mitglieder hat uns sehr motiviert“, sagte Sebastian Girmann.
So habe man 2018 zeitgleich mit der Geburt seines ersten Sohnes loslegen können. Auf zwei Hektar Fläche mit großer Hilfe der Mitglieder, ohne Referenzwerte und ohne Werkzeuge, aber mit viel Enthusiasmus startete das Projekt.
Theresa Bichlmeier begeisterte mit ihrer Musik am Hackbrett. Foto: Petra Kurbjuhn
An dieser Stelle konnte das zahlreiche Publikum bei der feinen Musik von Theresa Bichlmeier am Hackbrett das Gesagte setzen lassen. Die junge Musikerin spielte zur Umrahmung der Fastenpredigt mehrere spanische Sonaten und ließ das Instrument, eher bekannt in der Volksmusik, ganz anders klingen. Die Zuhörenden spendeten langen Applaus.
„Die Herausforderungen waren ganz anders als erwartet“, startete der Redner seinen zweiten Teil. Alles habe geklappt, Finanzen, Anbau, gehakt habe es im Zwischenmenschlichen. Inzwischen sei die Mitgliederzahl auf 450 gewachsen und dabei solle es auch bleiben, das Team habe sich auf zwölf vergrößert.
Es ist wichtig wie man es tut
Man habe zum einen die Frage klären müssen, wie arbeiten wir miteinander, und habe dafür eine Lösung gefunden. Zum zweiten aber habe er selbst erkennen müssen, kurz vor einem Burn-Out zu stehen. „Ich konnte das Erreichte nicht genießen.“ Auch wenn man seine Arbeit liebe, könne man überfordert sein und ausbrennen.
„Es ist nicht nur wichtig, was man tut, sondern auch wie man es tut“, gab er als Botschaft weiter, denn es müsse jedem gutgehen. Das Biotop Oberland habe sich für ihn als großes Lernfeld erwiesen.
Wichtig sei die Haltung. Jeder müsse als Mensch in seiner Ganzheit wahrgenommen werden. Man müsse auch nicht immer perfekt funktionieren und man müsse erkennen, dass man zusammen das schaffe, was man allein nicht bewältige.
Der Redner überzeugte durch seinen authentischen Beitrag. Foto: Petra Kurbjuhn
Heute habe das Biotop Oberland neben dem Gemüseanbau einen Selbstbedienungsladen „Hofpunkt“, in dem gebündelt die Erzeugnisse der Region angeboten werden. Das dritte Standbein sei der Bildungsbereich, in dem Kindern und Jugendlichen in Gruppen der genossenschaftliche Gemüseanbau vermittelt wird.
Sein Anfangsziel, Mitarbeitende angemessen zu bezahlen, habe sich erfüllt. „Wir zahlen übertariflich und haben nachhaltige Arbeitszeiten.“ Er selbst habe gelernt, Verantwortung abzugeben und Vertrauen zu haben.
Soziokratie bewährte sich im Biotop Oberland
Als Methode der Kommunikation habe sich die Soziokratie erwiesen. „Wir entscheiden nicht basisdemokratisch mit Ewigkeitsdiskussionen und auch nicht im Konsens“, erklärte der Unternehmer, sondern im Prozess der Soziokratie gehe es darum, bei einem Vorschlag alle Meinungen anzuhören und dann auf die Frage zu antworten: Welche schwerwiegenden Einwände gibt es?
Blick in die Kapelle zur Heiligen Familie. Foto: Petra Kurbjuhn
Mit dieser Methode habe man auch den Härtetest bestanden, als vor zwei Jahren ein Hagelschauer ein Schlachtfeld hinterlassen habe. Mit finanzieller und ideeller Unterstützung der Mitglieder habe man es geschafft, Wunder zu vollbringen. In kürzester Zeit wurden Gewächshäuser erneuert, Mitglieder verzichteten auf Ernteanteile.
Sebastian Girmann schloss: „Der Weg aus Krisen besteht in der lokalen gemeinschaftlichen Organisation.“
In der Diskussion konnte er noch weitere Fragen beantworten, etwa, dass das Biotop Oberland 20 Prozent Gemüse aus regionalem Anbau hinzukaufe, dass der Vorteil gegenüber den Sonnenäckern darin bestehe, dass es das ganze Jahr über Gemüse gebe und dass in der Genossenschaft jeder das beitrage, was er könne.
Markus Bogner schloss mit einem Vorschlag aus einer anderen Genossenschaft, der zur artgerechten Haltung des Gärtners passt. Dort nämlich ist der Stundenlohn des Steuerberaters, der für die Genossenschaftsmitglieder arbeitet, identisch mit dem Stundenlohn der Gärtner.
Zum Weiterlesen: Von Aleppo an den Tegernsee