
Spät aber doch
Dr. Reinhard Linke und Erika Pluhar. Foto: Hannes Reisinger
Thementag in Fratres
Zu ihrem 30. Geburtstag hatte die Kulturbrücke Fratres einen besonderen Gast eingeladen. Mit Erika Pluhar wurde der Nachmittag zu einem Fest des Lebens, der Liebe, aber auch der Erinnerung und des „trotzdem“.
Erwartungsgemäß füllte sich der Stadel im alten Gutshof bei einem solch prominenten Gast zu dem von Jana Zoglauer-Vinšová moderierten Nachmittag schnell. Die Schauspielerin und Autorin hatte ihr jüngstes Buch „Spät aber doch“ mitgebracht, zuvor aber ließ sie das zahlreiche Publikum im Gespräch mit Reinhard Linke an ihren Gedanken teilhaben. Dem ORF-Redakteur und Vorsitzenden des NÖ Kultursenats gelang es durch seine fachkundigen, souveränen und gleichzeitig einfühlsamen Fragen Erika Pluhar zu einem berührenden Dialog zu führen. Schon bald ging sie zum vertrauten „Du“ über.
Kuratorin und Moderatorin Jana Zoglauer-Vinšová. Foto: Petra Kurbjuhn
2007 sei sie das erste Mal zu Gast in der Kulturbrücke hier im nördlichen Waldviertele gewesen – wie sich denn ihrer Meinung nach das Land entwickelt habe, fragte der Journalist. Es sei eine unverletzte Landschaft, diese Weite tue wohl und sie sehe im Gegensatz zu anderen Regionen keine Verunstaltung. Ihre Großeltern seien Tschechen und so fühle sie einen großen Impuls aus dieser Region, die sich gut entwickelt habe. „Aber es wurde nicht immer besser“, schwenkte Erika Pluhar ins Politische, dennoch gelte für sie das Wort „trotzdem“. Ihr Urenkel werde heute fünf Jahre alt. Dies und die Briefe von Vaclav Havel an Olga hätten ihr Leben geprägt, die Aufforderung nämlich, ein aufrichtiges Leben zu führen.
Dr. Reinhard Linke führte das Gespräch eloquent. Foto: Petra Kurbjuhn
Die Schauspielerin berichtete von ihren Anfängen am Wiener Burgtheater, wo sie als Elevin 1960 startete und bis 1999 tragende Rollen innehatte. „Ich war die erste Nackte am Burgtheater“, erzählte sie lächelnd, „das war eine Sensation und die Rangplätze, bei denen man die beste Sicht auf mich auf dem Eisbärfell hatte, waren immer zuerst verkauft“.
Ob es am Burgtheater nach dem Fall des Eisernen Vorhangs einen Aufbruch gegeben habe, fragte Reinhard Linke. Und die Schauspielerin verneinte. Nein, der werde bleiben, bis heute habe sich noch nicht alles gefügt, wohl aus Scheu vor der Annäherung. „Es gibt so viele Vorurteile, da sind wir gut“, sagte sie. Sie selbst sei sowohl in Moskau und Prag als auch in der DDR aufgetreten und habe ein sehr aufmerksames Publikum dort erleben dürfen.
Lesetipp: Erika Pluhar in der Ausgabe 10 der KulturBegegnungen, Seite 26
Könne man denn als Künstlerin etwas erreichen bei den Menschen, fragte Reinhard Linke nach, immerhin könnten Kunst und Kultur provozieren. Sie habe keinen Anspruch darauf, die Welt zu verändern, aber sie sei froh, dass sie Menschen gernhabe. Und wenn jemand etwas mitnehme, dann sei es gut. „Wichtig ist es, sich selbst zu verändern und eine Haltung zu haben.“ So habe sie auch keine Filme gedreht, wo sie heute sagen müsse, Erika, was hast du denn da gemacht und sie habe dreimal die Buhlschaft im Jedermann abgelehnt, „die paar Sätze“.
Erika Pluhar erzählt lebendig. Foto: Hannes Reisinger
Das Publikum hätte noch viel länger dem spannenden Gespräch der beiden Protagonisten lauschen mögen, aber der Zeitplan sah einen Übergang zur Lesung vor. Erika Pluhar erzählte, dass dieses soeben erschienene Buch zum Teil autobiografisch sei, vor allem der Anfang. „Es ist eine Liebesgeschichte von alten Leuten so wie ich“, sagte sie, die Luisa habe sehr viel mit ihr zu tun.
Nach 70 Jahren trifft diese Luise auf ihre erste Liebe, die sie in der Tanzstunde mit 15 Jahren traf, der fesche Heinz. Die beiden erinnern sich an den Abend, als aus den Küssen mehr werden sollte. Aber Luisa hatte Angst, „der Körper schlief“ und floh. Sie sahen sich nicht wieder.
Jetzt mit über 85 aber, „Spät aber doch“, begegnen sie sich und Erika Pluhar liest aus einem späteren Kapitel, das sei nicht mehr autobiografisch, betont sie, wie sich die beiden näherkommen. Man müsse Vertrauen haben und analog leben, also gemeinsam, so wie sie sich jetzt gegenübersitzen. „Und was bedeutet dann digital?“ fragt Luisa und Heinz antwortet „mit dem Finger folgend“. Mit dem Finger das Gesicht berühren? Oder mit der ganzen Hand?
Erika Pluhar liest. Foto: Petra Kurbjuhn
Aber die Scheu lässt Luisa lieber von Religion sprechen. Sie erklärt Agnostikerin zu sein und an das Geheimnis zu glauben. Stille, ein Engel fliegt durchs Zimmer.
Und Erika Pluhar beschließt ihre Lesung mit den Worten: „Hättest du diese Freude noch für möglich gehalten? Die Gegenwart ist eine Fülle von Augenblicken. Packen wir es.“ Das Buch ist ein flammendes Plädoyer für die Liebe, die alterslose Liebe, die sich nicht an Falten oder Gebrechlichkeit stört, eine Liebe, die dem Leben Fülle gibt.
Jana Zoglauer-Vinšová, Erika Pluhar und Dr. Reinhard Linke. Foto: Hannes Reisinger
Fülle hat in 30 Jahren die Kulturbrücke Fratres den Menschen geschenkt. Reinhard Linke drückte es in seiner Laudatio so aus: „Hier passiert etwas Tolles, Wahnsinn, wer schon da war. Hut ab vor dem, was hier mit Herzblut entstanden ist.“ Kunst könne verwandeln, zerstören, provozieren und verzaubern. Peter Coreth habe etwas Einzigartiges geschaffen, in dem er nach 1990 Vorurteile und Grenzen überwunden habe. Den baufälligen Gutshof habe er ausgebaut, 1995 die Kulturbrücke und 1997 das Museum Humanum gegründet.
Dr. Reinhard Linke in seiner Laudatio. Foto: Hannes Reisinger
Er habe für seine Sammlung von über 40 000 Objekten einen Bezugsrahmen geschaffen, in dem er transkulturell die Grundfragen des Lebens präsentiere, womit der Besuchende Vergleiche ziehen könne. Kunst sei eine Methode des Überlebens. Vaclav Havel habe einmal gesagt: Warten Sie nicht auf eine Initiative von oben, Ihr seid der Träger der Entwicklung.“ Mit einer Bilderschau zogen 30 Jahre mit 150 Thementagen vorbei – KulturVision durfte davon zehn gestalten.
Die Kulturbrückler der Vergangenheit und Gegenwart. Foto: Hannes Reisinger
Erika Pluhar: „Spät aber doch“, Residenzverlag 2025. Foto: MZ
Zum Weiterlesen: Maske.Macht.Identität