
Short Storys, auf Leinwand gemalt
Künstlerin Ekaterina Zacharova (links) und Kunsthistorikerin Andrea Kühnhackl. Foto: IW
Ausstellung am Tegernsee
„Human Being Mosaic“ heißt die neue Ausstellung von Ekaterina Zacharova in der Rottach-Egerner HypoVereinsbank. Darin verdichtet sie die Komplexität des Lebens in kleinen Formaten und leuchtet das Menschsein aus – auf der ganzen Welt.
Zahlreiche Besucherinnen und Besucher waren zur Vernissage in den Räumen der HypoVereinsbank erschienen. Fanden sich in Grüppchen vor den Bildern, schauten, tauschten sich aus, bewunderten die Details der 60 mal 60 Zentimeter großen Bilder. Die Vielfalt der Sujets und Orte, die pastösen Pinselstriche, die Fähigkeit Ekaterina Zacharovas, das Licht darzustellen und mit diesem Licht und unzähligen Nuancen nur einer Farbe die jeweils charakteristische Stimmung eines Ortes einzufangen … Orte auf der ganzen Welt, einmal um den Globus. Denn zwei Leidenschaften prägen Ekaterina Zacharova: das Malen – „Ich tu’ ja sonst nichts“, lacht die produktive Künstlerin, als sie auf die Menge neuer Bilder angesprochen wird – und das Reisen.
v. l.: Studentin, Sienna; Tutto bene?, Palermo; Rosarote Brille, Miami – die Farben und Stimmungen der Welt. Foto: IW
Wie ein Fries ziehen sich die Bilder entlang der Wände. Szene neben Szene, Paris neben Turin und Havanna – wie die Seiten eines Buches voller Kurzgeschichten. Warum das neue, für sie untypische Format? „Ich wollte mich selbst bändigen, meine Gedanken und Ideen ganz präzise auszudrücken“, beschreibt Ekaterina Zacharova das neue Konzept. „Das kleine, quadratische Format zwingt mich zum genauen Blick, um die Geschichte zu erzählen.“
Leicht hat sie es sich damit nicht gemacht. Während man sich bei großen Formaten leicht im Detail verlieren könne, sei man in diesem kleinen, insbesondere quadratischen Format gezwungen, präzise Aussagen zu treffen und jedes Detail abzuwägen, denn das Format erlaube nur wenige Details. Sie habe wieder eine neue Herausforderung gesucht, so Ekaterina Zacharova. Einfach nur das fortzusetzen, was ihr leichtfiele, das würde sie schnell langweilen.
Bernd Stahuber begleitet mit „Swing it UP“ die Vernissage musikalisch. Foto: IW
Die Bilder der Ausstellung „Human Being Mosaic“ basieren auf Skizzen unterschiedlicher Serien der Jahre 2016 bis 2025, so die Künstlerin, die zuvor hauptsächlich monothematische Bilderzyklen wie „Paris“, „Havanna“ oder die Tegernsee-Serie „Wasserkraft“ präsentiert hatte. „Diese Geschichten mussten noch erzählt werden, damit ich sie loslassen kann.“
v. l.: Künstlerin Ekaterina Zacharova, Thomas Friemel (HypoVereinsbank), Kunsthistorikerin Andrea Kühnhackl, die Laudatorin. Foto: IW
„Jeder Strich sitzt bei Ekaterina Zacharova“, so Kunsthistorikerin Andrea Kühnhackl bei der Vernissage, „und jede Physiognomie sitzt“. Doch nicht allein die Präzision der „Moskauer Schule“ mache die Qualität der Bilder aus, sondern dass die Figuren auf ihnen zu atmen, zu leben scheinen. Der Betrachtende werde dabei selbst sinnlicher Beobachter des Lebens, weil die Künstlerin die Bilder explizit für die Stimmung des gedachten Augenblicks komponiert habe, indem sie Geschichten entwickele, die Fragen aufwerfen.
Mensch im Mittelpunkt
Dabei ist es immer der Mensch, der im Mittelpunkt steht: „Aber die Akteure verlieren sich nicht, sie sind auch nicht einsam, sondern sie sind in sich gekehrt.“ Durch den gewählten Bildausschnitt würde der persönliche Ausdruck zur universellen Bedeutung, so die Kunsthistorikerin. Die außergewöhnliche Fähigkeit der Künstlerin, mit Licht und Lichtreflexen umzugehen, ermögliche eine vielschichtige, emotionale Erfahrung, die sich in den Sehnsüchten der Betrachtenden widerspiegele.
v.l.: Brandung, Nizza neben Aladins Wunderlampe, Kairo. Foto: IW
Die Komplexität des Augenblicks – komprimiert in einer Kurzgeschichte, die jeder Besucher, jede Betrachterin selbst entwickeln kann. Kleine Impulse dazu liefern auch die Titel der Bilder – gleich der Überschrift einer Short Story, die zum Lesen einlädt: „Kennen wir uns?“ (Kopenhagen) möchte ebenso entschlüsselt werden wie „Nachtschwärmer“ (Brüssel) im Kopf der Betrachterin weitererzählt werden, ebenso wie „Eifersüchtig?“ (Turin) oder „Großstadtdschungel“ (New York). Ekaterina Zacharova hat die Städte in ihrer sinnlichen Charakteristik farblich eingefangen – kein Kolorit ist austauschbar.
Short-Story-Meister als Inspiration
Genau hinzuschauen und sich auf die Bilder einzulassen, lohnt sich – wie das Eintauchen in die Lektüre einer spannend konstruierten Kurzgeschichte. So besteht etwa das Bild „Old white men“ (Salzburg) zu 6/8 aus weißer Farbe, in die Ekaterina Zacharova in zig Nuancen eine fantastische Plastizität hineinmoduliert, um der Geschichte Lebendigkeit zu verleihen – bis hin zum Verlassen der korrekten Perspektive, damit die Szene die gewünschte Stimmigkeit und Tonalität erhält. Dabei lässt sich die Künstlerin von ihren geliebten Schriftstellern und Meistern des Short-Story-Genres leiten, wie Anton Tschechow und O. Henry.
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