Franz Schubert und die Einsamkeit einer Winterreise
Zum Schlussapplaus: James Biallieu, Benjamin Appl und Harald Krassnitzer (v.l.). Foto: Michael Bachmann
Konzert in Gmund
Mit Bravorufen und Standing ovations bedankte sich das Publikum in der Tenne von Gut Kaltenbrunn für eine Premiere beim Musikfest Kreuth. Der Abend „Kälte und Einsamkeit einer Winterreise“ verschmolz kongenial Poesie und Musik mit nackter Realität der Forschung in bravouröser künstlerischer Vollendung.
Schwarz und schlicht gekleidet nahmen die drei Protagonisten des Abends ihre Plätze ein. Der bekannte österreichische Schauspieler Harald Krassnitzer am Tisch mit einer flackernden Kerze, der Pianist James Biallieu am Flügel und Bariton Benjamin Appl dazwischen stehend.
Harald Krassnitzer als Partner
Seine Idee war es, Franz Schuberts berühmten Liedzyklus „Die Winterreise“ in Bezug zu einer Polarexpedition zu bringen. In Harald Krassnitzer fand er den idealen Partner. Er entschied sich dafür, Tagebücher und Aufzeichnungen der österreichisch-ungarischen Nordpolexpedition in den Jahren 1872 bis 1874 mit den Gedichten von Wilhelm Müller zu verknüpfen und damit die Einsamkeit einer Winterreise in doppelter Hinsicht zu beleuchten.
Bewegender Spannungsbogen
Franz Schubert hatte diesen Zyklus zwei Jahre vor seinem Tod im Jahre 1828 vertont. Die romantischen Verse, die den Weg eines Wanderers durch die Einsamkeit des Winters beschreiben und die nüchternen Berichte und Tagebuchaufzeichnungen der Teilnehmer einer dramatischen Expedition bauen sich zu einem bewegenden Spannungsbogen auf.
Benjamin Appl und Harald Krassnitzer. Foto: Musikfest kreuth
In der zweistündigen Darbietung erlebten die gebannt lauschenden Zuhörer Grundfragen der menschlichen Existenz in dreierlei Ausformung: Musik, Poesie und Expeditionsbericht. Wilhelm Müller schreibt vom Auszug des Wanderers „Nun ist die Welt so trübe“, während 24 Männer am 13. Juni 1872 mit dem Schiff Bremerhaven verlassen, um einen jahrelangen Plan zu erfüllen, letztlich Ehre für das Vaterland zu erzielen.
Erweiterung unserer Kenntnisse
Die mühevolle Reise in die Polarwelt soll aber nicht der Befriedigung des Ehrgeizes, sondern der Erweiterung unserer Kenntnisse dienen, liest Krassnitzer aus dem Bericht von Kapitän Carl Weyprecht und Expeditionsleiter Julius von Payer.
„Mein Herz ist wie erstorben“ schrieb hingegen Wilhelm Müller. Der junge Bariton Benjamin Appl gibt den Liedern von Franz Schubert tiefe Innigkeit ebenso wie dramatisches Aufbegehren. Seine wandlungsfähige warme Stimme fasziniert in den leisen Tönen ebenso wie in den kräftigen, energievollen. Text und Musik vereint der Künstler zu einer gefühlvollen Einheit, die die Einsamkeit einer Winterreise in allen Facetten widerspiegelt.
Lesetipp: Wenn großartige Musik entsteht
Schlicht und zurückhaltend interpretiert er „Am Brunnen vor dem Tore“ und erzählt lebendig von seiner Liebsten. Die differenzierte Begleitung von James Biallieu am Flügel ergänzt den Vortrag aufs trefflichste. Es ist ein Hochgenuss, den beiden jungen Künstlern lauschen zu dürfen.
Ein besonders gelungener Einfall ist es, dass der Pianist einige Male in die Lesung eingreift und so Lied und Bericht harmonisch ineinander übergehen.
Seekrank
Auch in die nüchternen Texte, von Harald Krassnitzer akzentuiert und lebendig vorgetragen, mischen sich tiefer gehende Gedanken und sogar Humor ein, so wenn der Maschinist Otto Kirsch drei Tage lang nur schreibt: „Seekrank“, wenn zu Silvester die Champagnerflasche bei minus 23 Grad zerspringt oder es später mehrfach in Tagebuchaufzeichnungen heißt: „Klotz und ich marod.“
Zweimal in der Einsamkeit eines Winters
Aber es heißt auch bei tiefem Nebel: „Alles predigt Vergänglichkeit“, oder „flüsterndes Dahinsterben des Eises“. Die Expedition wird dramatisch, denn das Schiff wird eingeschlossen, das Eis verwehrt ein weiteres Vordingen und die Männer müssen zwei Winter lang in Dunkelheit und Einsamkeit ausharren.
Harald Krassnitzer macht Hoffnung und Verzweiflung durch seine Lesung gleichermaßen deutlich. „Die unbegriffene Allgewalt der Natur“ wird dem „Flickwerk des Menschen“ gegenübergestellt, welch eine aktuelle Einsicht.
Irrlichter und Polarlichter
Zart interpretiert Benjamin Appl „Das Irrlicht“ und Harald Krassnitzer ergänzt mit den Berichten über das Nordlicht, das die Expeditionsteilnehmer mit Staunen erfüllt, wenn das Firmament in Flammen steht. „Die Natur scheint den Atem anzuhalten in Bewunderung ihres eigenen Werkes.“
In der ewigen Nacht des Winters gibt es nur noch Essen und Schlaf, Benjamin Appl träumt von bunten Blumen des Frühlings, die Texte ergänzen sich immer wieder zu einem stimmigen Ganzen.
So stirbt man am Nordpol
Die Erzählung endet dramatisch und wird von Benjamin Appl eingeleitet mit den Liedzeilen: „Eine Straße muss ich gehen, die noch keiner ging zurück“, während im Expeditionsbericht steht: „So stirbt man am Nordpol“, der Maschinist Otto Kirsch stirbt.
Gegen Wind und Wetter entschließen sich die Männer letztlich zu Fuß mit Rettungsbooten sich einen Weg über das Eis zu bahnen, sie hissen die Flagge und schaffen es mit unglaublicher Anstrengung zurück in Sicherheit zu kommen. Sie werden triumphal in Wien gefeiert.
Russische Militärbasis
Harald Krassnitzer schließt seinen bewegenden Vortrag über die Einsamkeit einer Winterreise mit einer aktuellen Notiz: Heute ist der Nordpol eine russische Militärbasis. Warum? Wegen großer unterirdischer Mengen an fossilen Brennstoffen. Und Benjamin Appl lässt die Winterreise mit dem berührendem Lied über den „Leiermann“ ganz sanft ausklingen. Es wird dunkel.
Nach dem Schlussapplaus. Foto: MZ
Abend der Sonderklasse
Still und bereichert von einem Abend der Sonderklasse verlässt das Publikum Gut Kaltenbrunn, denn eine solch geglückte Verbindung von Kunst und Naturwissenschaft, wobei sich beide Bereiche miteinander verweben, hat man hier noch nicht erlebt. Und das Ganze in vollendeter künstlerischer Gestaltung.