Klaus Wittmann, Carl Orff, Lesung, Zollinger Halle

„Fudnackert“ stehen sie da

Der Rezitator Klaus Wittmann neben einem Porträt von Carl Orff in der Zollinger Halle. Foto: CS

Lesung in der Zollinger Halle in Valley

In diesem Jahr feiert der berühmte Komponist Carl Orff seinen 130. Geburtstag. Anlässlich dieses Jubiläums las Klaus Wittmann am vergangenen Sonntag die Orffsche Komödie „Astutuli“ sowie das Drama „Die Bernauerin“ vor. Und dies an einem ganz besonderen Ort.

Valley, Sonntagabend. Die Zollinger Halle, die zum Orgelzentrum Valley im Alten Schloss gehört, füllt sich allmählich. Sie ist etwas ganz Besonderes: Denn das Gewölbedach dieses Konzertsaals stammt von einem alten Sägewerk in der Nähe und wurde von dort 2001/02 nach Valley transferiert. Die Holz-Lamellen-Konstruktion, die von Friedrich Zollinger entwickelt und 1923 patentiert wurde, sieht nicht nur beeindruckend aus, sie sorgt auch für eine exzellente Akustik. Zum Beispiel für die historischen Orgeln, die in der Halle untergebracht sind.

Klaus Wittmann liest „Astutuli“ und „Die Bernauerin“ von Carl Orff

Aber an diesem Abend geht es nicht um Orgeln und nicht einmal um Musik. Auch wenn der Anlass das diesjährige 130. Jubiläum des Komponisten Carl Orff ist, des Schöpfers der weltberühmten szenischen Kantate „Carmina Burana“. Es geht um die deftigen Mundart-Bühnenstücke „Die Bernauerin“ und „Astutuli“ aus Orffs „Bairischem Welttheater“, die der Komponist hintereinander zwischen 1944 und 1946 geschrieben hat. Vorgetragen werden sie von einer einzigen Person, die alle Rollen nur mit ihrer Stimme füllt, spielt und verkörpert: Klaus Wittmann.

Schon seit 2018 bietet der Rezitator und künstlerische Sprecher Orffs Werke an ganz besonderen Orten dar, wie etwa Schloss Straubing, Kloster Benediktbeuern und Schloss Nymphenburg. Mit seiner tiefen Stimme, die er wie ein Instrument nutzt und in verschiedenen Tonarten zum Klingen bringt, begeistert er sein Publikum. „Astutuli, Astutuli! Die seltsamst Kumedi zeig i allhie, die Stori ist alt, die Stori ist neu, und eh man sich’s recht besieht, ist sie vorbei“, intoniert Wittmann den berühmten Satz des marktschreierischen Gaglers am Anfang des Stücks.

Der Gagler zieht die Bürger über den Tisch

Der Gagler ist die zentrale Figur in Orffs Komödie, der mit seinen Spießgesellen in eine kleine Stadt kommt und den Bürgern ein riesiges Spektakel vorspielt. Nur mit einem Ziel: sie übers Ohr zu hauen. Zuerst zaubert er Sankt Onuphri, den Patron der Weber, herbei, danach den frechen Kobold Goggolori. Dass nichts zu sehen ist, wollen sich die Bürger nicht eingestehen. Perfekte Bedingungen also, um ihnen ein Gewand vorzugaukeln, das so fein gewebt ist, dass man es nicht sehen kann. Dem Träger soll es einen Blick in die Zukunft ermöglichen.

Der Bürgermeister, Jörg Zaglstecher, reißt sich als Erster die Kleider vom Leib, um das unsichtbare Gewand anzulegen. Bis auch alle anderen dies tun und am Ende „fudnackert“ dastehen. Ein leichtes Spiel für die Gaukler, die sich mit den abgelegten Wertsachen aus dem Staub machen.

Carl Orffs Stücke voller Zungenbrecher

Typisch für Orffs Stück ist das Rhythmische und Repetitive. Wie etwa beim vermeintlichen Erscheinen des Onuphri, als die Bürger glauben, einen „massigen Mo“ zu sehen, der „Hoar ummadum“ und „Rauch unterm Bauch“ hat.

Klaus Wittmann. Lesung, Zollinger Halle, Carl Orff, Valley
Klaus Wittmann gestikulierend beim Vortragen von „Astutuli“. Foto: CS

Orff lässt die Bürger das vermeintlich Wahrgenommene mehrfach wiederholen und sie in wahnwitziges Lachen verfallen. Perfekt umgesetzt von Klaus Wittmann, der ohne Stolpern die teilweise zungenbrecherischen Passagen vorträgt. Und das einfach nur an einem Tisch auf der Bühne sitzend.

Klaus Wittmann von Carl Orffs Tochter unterrichtet

Sein Können überrascht nicht, denn gelernt hat er von den Besten. Er nahm nicht nur Unterricht bei Axel Wostry, dem bekannten Sprecher, Hörfunk-Regisseur und Lehrer für künstlerisches Sprechen, sondern wurde bereits in seiner Jugend von Carl Orffs Tochter Godela unterrichtet.

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Orffs einziges Kind war Schauspielerin am Bayerischen Staatschauspiel sowie später Dozentin für Sprecherziehung und Sprachgestaltung – unter anderem auch am Orff-Institut am Mozarteum in Salzburg. Wittmann traf sie am Residenztheater, wo sie ihn unter ihre Fittiche nahm und unterrichtete. Beste Voraussetzungen also, um die Stücke von Orff zu interpretieren.

Carl Orff schrieb „Die Bernauerin“ für seine Tochter

Eine Besonderheit ist Orffs Werk „Die Bernauerin“. Es greift das Schicksal der Baderstochter Agnes Bernauer auf, die heimlich den Sohn des bayerischen Herzogs heiratete. Erzürnt über die unstandesgemäße Verbindung, lässt dieser sie in der Donau ertränken.

Orff schrieb dieses Stück für seine Tochter, die 1942 in Friedrich Hebbels Stück „Agnes Bernauer“ am Prinzregententheater in München brillierte. Das erfüllte den Vater mit Stolz und inspirierte ihn zu einer eigenen, bayerischen Fassung.

Mit Godela Orff in der Titelrolle feierte das Werk 1947 im Württembergischen Staatstheater Stuttgart Premiere. Die Presse überschlug sich mit Lob. So zitiert Gerhard Büchtemann, Ehemann von Godela, der das Vermächtnis seiner Frau auf einer Webseite der Öffentlichkeit zugänglich macht, eine Kritik der „Schwäbischen Landeszeitung“: „Aus Godela Orff sprach das Urgeheimnis der bayerischen Lautmalerei in ihrer rhythmischen Biegsamkeit und Klangfülle aus jedem Absatz: Sie war eine Bernauerin, die aus dem jahrhundertealten bayerischen Mimus und Dialekt ihre Gewalt bezog – eine beglückende Verkörperung dieser Rolle.“

Riesenapplaus für Klaus Wittmann

Wittmann schafft es, mit seiner gewaltigen Stimme und seiner Ausdruckskraft das bayerische Liebesdrama vor dem geistigen Auge der Zuschauer entstehen zu lassen. Und das ganz ohne Bühnenbild und Musik.

Klaus Wittmann, Zollinger Halle, Valley, 2025
Klaus Wittmann freut sich über den großen Applaus des Publikums. Foto: CS

Beim dramatischen Höhepunkt, als Agnes in der Donau ertränkt wird, trommelt er schnell und kräftig mit seinen Händen auf dem Tisch. Die Spannung im Raum ist fast greifbar. Am Ende seiner Darbietungen zollt das Publikum Klaus Wittmann einen Riesenapplaus. Auch Godela hätte dies sicherlich getan.

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