Candida Schlichting, Waitzinger Keller

Rätselhaft, poetisch und fesselnd

Candida Schlichting vor ihren Fotos im Kulturzentrum Waitzinger Keller. Foto: CS

Vernissage in Miesbach

Seit Freitag zeigt das Kulturzentrum Waitzinger Keller 53 Werke der Miesbacher Fotografin Candida Schlichting. Auf den ersten Blick wirken ihre Fotos wie abstrakt gemalte Bilder. Erst auf den zweiten Blick erkennt der Betrachter, dass es sich um Fotografien handelt.

Ein schwarzes Kreuz auf rotleuchtendem, kassettiertem Hintergrund. Daneben ein Kreuz auf blauem Hintergrund in der Mitte erleuchtet. Beide Bilder sind auf Leinwand aufgezogen und wirken auch deshalb zunächst wie gemalt. Man muss genau hinsehen, bis man erkennt, dass es sich um Detailfotos von Fenstern handelt.

Deshalb lautet der Titel der Ausstellung auch „Nahsicht“. Denn auf diese Art und Weise fotografiert Candida Schlichting ihre Motive. Sie geht nah an Scheunentüren, Holzkisten, Brunnen, abgeplatzten Putz und Pflanzen heran und lichtet kleine Details des Gesehenen ab. Wie etwa den umgeknickten Kopf einer verblühten Sonnenblume, die mit etwas Schnee bedeckt ist und vor einer blauen Hauswand steht. Zuerst ein visuelles Rätsel für den Betrachter, das sich erst nach einigen Sekunden auflöst.

Betrachter soll Candida Schlichtings Fotos nicht lesen

Wer Hilfe bei Titeln sucht, sucht vergebens. „Ich betitle meine Werke nie“, sagt Candida Schlichting entschieden. Zu sehr würde dies den Betrachter beeinflussen und seinen Blick verstellen sowie Fantasie und Assoziationsvermögen einschränken. Es geht ihr auch nicht darum, dass der Betrachter etwas erkennt, sondern dass er mit ihrem Werk in Resonanz geht und das Besondere darin wahrnimmt.

Candida Schlichting, Vernissage
Johannes Schlichting auf der Bühne mit seiner Frau Bernadetta. Foto: CS

Dass es irreführend wäre, in ihren Fotos einfach nur das Gegenständliche zu suchen, betont auch ihr Sohn Johannes, der bei der Vernissage eine Ansprache hielt. Begleitet wurde er dabei von seiner Frau, der Pianistin Bernadetta Schlichting, die Klavierstücke der Komponisten Josef Anton Steffan, Eugen Suchoň und Johann Sebastian Bach virtuos vorspielte.

Das Bildsame in den Werken seiner Mutter läge etwa in der raffinierten Steigerung von Licht und Farbe und dem Gespür für grafische Rhythmik, sagt Johannes Schlichting. „Der Betrachter ist dazu angeregt, seine Wahrnehmung zu schärfen, indem er möglichst nicht liest und möglichst nicht benennt.“

Candida Schlichting fotografiert mit dem Handy

Das Verblüffende an Candida Schlichtings Schaffen: Ihre Fotos schießt sie mittlerweile mit ihrer Handykamera, denn seit einer Verletzung ist ihr das Schleppen einer schweren Fotoausrüstung zu mühsam geworden. Mit dem Handy kann sie überall, ob auf Reisen oder an ihrem Wohnort in Miesbach, Motive nah heranholen und so grafische Strukturen von Oberflächen sowie raffinierte Farb-, Licht- und Schattenspiele entstehen lassen.

Bernadetta Schlichting, Candida Schlichting, Johannes Schlichting

Bernadetta, Candida und Johannes Schlichting. Foto: IK

Kamera und Drucker übernehmen dabei die Rolle des malerischen Pinsels, heißt es dazu auf dem Ausstellungsflyer: Sie übertragen das Gesehene auf Papier und lassen es zu einem Bild werden.

Studium an der Akademie der Bildenden Künste in München

Candida Schlichting fotografierte schon immer gerne. Das künstlerische Talent liegt in der Familie. Ihr Urgroßvater etwa war Angelo Josef Graf von Courten (1848–1925), ein bekannter Porträt- und Genre-Maler seiner Zeit. Auch Maler und Architekt Leo von Klenze (1784–1864) gehörte zur engen Verwandtschaft der Familie von Courten.

Fotos von Candida Schlichting
Fotos von Candida Schlichting im Waitzinger Keller. Foto: CS

Candida Schlichtings künstlerischer Werdegang führte sie zunächst aber in eine andere Richtung. Sie absolvierte eine Schreinerlehre, bevor sie an der Akademie der Bildenden Künste in München Innenarchitektur studierte und große Häuser gestaltete.

Durch ihre Ehe mit einem Diplomaten lebte sie später mit ihrem Mann und den drei Kindern in vielen Ländern wie Brasilien, Portugal, Spanien und Dänemark. Dort ermutigte sie auch ihr Sohn Johannes, ihre Fotografien einem Publikum zu zeigen. Ein Freund aus Russland, der gerade in Dänemark zu Gast war, half ihr, ihre Bilder 1997 erstmals in Moskau auszustellen. Danach folgten viele weitere internationale Schauen von Königsberg/Kaliningrad über Charkiw (Ukraine) bis nach Barcelona und Nizza.

Lesetipp: Porträt von Candida Schlichting bei KulturVision

Poesie in den Fotos von Candida Schlichting

Für die Ausstellung in Miesbach spielte ihr die Technik im Vorfeld einen Streich – ihr Drucker versagte. Nur mit Hilfe eines Künstlerfreundes schaffte sie es, ihre Bilder noch rechtzeitig zur Schau fertigzustellen.

In der heutigen Flut der digitalen Fotografie seien Fotos alltäglich und banal geworden – ohne Wert und Bedeutung, führt Johannes Schlichting aus. Die meisten Fotos schafften es nicht mal aus der digitalen Welt heraus. „Wer heute ein Foto ausdruckt, hat einen Grund dafür“, sagt er. Dies sei im Falle seiner Mutter das Künstlerische.

Gerhard Braunmiller, Candida Schlichting
Dr. Gerhard Braunmiller hält eine Laudatio auf Candida Schlichting. Foto: CS

Von der starken Präsenz ihrer Bilder ist auch Miesbachs Bürgermeister Dr. Gerhard Braunmiller angetan, der eine Laudatio auf die Künstlerin hielt. „Ihre Werke sind rätselhaft und poetisch – man kann sich nicht sattsehen daran“, sagt er. Ein Eindruck, den jeder, der Candida Schlichtings Fotos sieht, nur bestätigen kann.

Die Ausstellung „Nahsicht“ ist noch bis zum 30. Mai im Kulturzentrum Waitzinger Keller in Miesbach zu sehen. Öffnungszeiten: Montag bis Freitag 9 bis 13 Uhr und Donnerstag 14 bis 16 Uhr und bei Saalveranstaltungen. Eintritt frei.

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