Anatevka

„Anatevka“ am 8. Mai als Zeichen der Hoffnung

Das Ensemble des Freien Landestheaters Bayern mit dem Fiedler auf dem Dach. Foto: FLTB

Musical in Miesbach

Endlich nach mehrmaliger Verschiebung konnte das Freie Landestheater unter der Leitung von Rudolf Maier-Kleeblatt das berühmte Musical um den armen Milchhändler Tevje im Kulturzentrum Waitziner Keller noch einmal auf die Bühne bringen und erntete tosenden nicht enden wollenden Applaus und berührte das Publikum zutiefst.

Anatevka, so erklärte Andreas Haas, Geschäftsführer des FLTB, dieses fiktive Schtetl liege in der heutigen Ukraine und handle von Vertreibung und russischen Soldaten. Da stelle sich die Frage, ob man es heute spielen solle. Ja, meinte er, denn der heutige Tag, der 8. Mai, stehe für Hoffnung, dass Kriege zu Ende gehen und so wünsche er heitere, besinnliche und nachdenkliche Stunden.

Tradition unterzieht sich Wandel

Das FLTB bringt die Original-Bühnenproduktion aus New York, inszeniert und choreografiert von Jerome Robbins des Musicals von Joseph Stein (Buch) und Jerry Bock (Musik) sowie Sheldon Harnick (Gesangstexte) nach den Geschichten von Scholem Aleichem nach Miesbach.

Es erzählt die Geschichte der Menschen in Anatevka, insbesondere aber die Geschichte von Tevje, dem Milchhändler, einem tiefgläubigen Juden, der immer mal wieder mit seinem Gott hadert, der tief verwurzelt in der Tradition lebt und durch seine fünf Töchter erfahren muss, dass sich diese Tradition gerade einem Wandel unterzieht. Diesem wiederum kann er sich nicht entziehen und so wird er zum Symbol des Widerspruchs, der Gewissensnöte und des Sieges der Liebe über festgefahrene Verkrustungen.

Anatevka
Jüdische Lebensfreude beim Ensemble. Foto: FLTB

Das Freie Landestheater Bayern mit Chor, Orchester und Solisten zeigt eine überwältigende Inszenierung, die das Publikum immer wieder zu Szenenapplaus animiert. Keine Spur davon, dass die Aufführung immer wieder kurz vorher abgesagt werden musste, keine Müdigkeit, sondern sprudelnde Lebensfreude gepaart mit Melancholie und Verzweiflung als am Ende Anatevka verlassen werden muss.

Anatevka oder Der Fiedler auf dem Dach

Das verbindende Glied der Aufführung ist der Fiedler auf dem Dach (Christoph Hanak), der tänzerisch und Geige spielend von Bild zu Bild führt und symbolhaft die Fragilität des Lebens verkörpert, denn man könne leicht wie er abstürzen, sagt Tevje.

Matthias Degen verkörpert den einfachen und gleichzeitig tief philosophischen Milchmann in berührender Tiefe. Natürlich gerät „Wenn ich einmal reich wär“ zu einem der Höhepunkte der Aufführung, aber auch die anderen Solopartien gestaltet er sängerisch und schauspielerisch in Perfektion.

Anatevka
Im Vordergrund: Golde mit zwei Töchtern, die Heiratsvermittlerin und der Rabbi. Foto: FLTB

Ihm zur Seite steht Golde, seine Frau, die von Elisabeth Neuhäusler mütterlich besorgt, traditionell verhaftet und liebevoll dargestellt wird. Ihre sängerische Qualität wie auch die Tiefgründigkeit ihrer Interpretation kommt im Duett mit Tevje „Ist es Liebe“ überzeugend zum Ausdruck.

Für Heiterkeit sorgt die emsige Heiratsvermittlerin, ohne die eigentlich keine Hochzeit zustande kommen darf. Monika Reiser mit ihrem stark jiddisch gefärbten Dialekt bringt Komik ins Stück, die sie auch im Traum als verstorbene Prima-Sarah aus dem Himmel zeigen darf.

Für Heiterkeit sorgt ebenso der Rupert Ramsauer als Rabbi, der wohl nicht mehr alles so richtig versteht, was um ihn herum geschieht.

Die Macht der Liebe

Die Liebe und die Veränderung in der Welt verkörpern authentisch die drei Töchter Tevjes. Zeitel (Yvonne Steiner) entscheidet sich gegen den Willen des Vaters für den armen Schneider (Manuel Ried) statt für den reichen Fleischer (Andreas Fimm). Hodel (Verena Eckerts) geht mit ihrem Verlobten, dem revolutionären Studenten (Philipp Gaiser) nach Sibirien in die Verbannung. Und Chava (Melanie Renz) hat sich sogar einen russischen Christen (Paul Wiborny) auserkoren.

Anatevka
Der Traum von Tevje. Foto: FLTB

Hier bringt die Inszenierung einen überaus wichtigen Aspekt zum Tragen: Es malt nicht in Schwarz-Weiß, sondern bei den Russen gibt es eben wie überall solche und solche. Und so warnt auch der russische Wachtmeister Tevje vor dem was kommen wird ebenso wie russische Soldaten die Hochzeitsfeier von Zeitel mit Tanz bereichern. Dominik Halamek liefert einen rasanten Kasatschok, an dem die jüdische Gesellschaft teilnimmt und Gemeinsamkeit demonstriert.

Assoziation zu aktuellen Geschehnissen

„Wir bleiben hier“, mit diesen Worten startet das Musical und überfällt das Publikum aufgrund der aktuellen Geschehnisse in der Ukraine mt Wucht. Immer wieder tauchen in der Aufführung Sätze auf, die Assoziationen wecken. „Ich wünsche dem Zaren die Seuche an den Hals“ oder „Wir werden uns verteidigen“.

Aber auch zeitlose Sätze bleiben hängen, wie „Es ist keine Schande, arm zu sein, aber eine Ehre ist es auch nicht“ oder „Was lehrt die Bibel? Trau nie dem Arbeitgeber!“

Lebensfreude, Hoffnung und Verzweiflung

Die Inszenierung arbeitet die Ambivalenz von jüdischer traditioneller Lebensfreude, gepaart mit Hoffnung und die Verzweiflung deutlich heraus, dabei wird dem Chor nicht nur sängerisch sondern auch tänzerisch einiges abverlangt, das Orchester liefert in gewohnt professioneller Weise den Hintergrund für Solopartien und Chor.

Das Bühnenbild (Anne Hebekker), immer wieder neu der jeweiligen Szene angepasst, verkörpert die Tradition des Schtetls und bringt ebenso wie die Kostüme Atmosphäre in die Aufführung.


Abschied von Anatevka. Foto: FLTB

Allen Mitwirkenden gebührt für die großartige Umsetzung eines hochaktuellen Stückes große Anerkennung. Die Betroffenheit des Publikums zeigte sich am Sonntagabend durch Stille am Ende. Dann aber brach der Applaus durch, den Rudolf Maier-Kleeblatt mit seinem Ensemble immer wieder entgegennehmen konnte.

Als Neuproduktion bringt das Freie Landestheater Bayern am 28. Mai um 19 Uhr die Premiere von „Land des Lächelns“ auf die Bühne des Festsaales im Waitzinger Keller. Karten gibt es online bei münchenticket.

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