
Zwei Berghütten und fünf Künstler
Fernanda Aloi bei ihrer Abschlussperformance am Rechelkopf. Foto: CS
Kunstwanderung am Rechelkopf
In diesem Jahr bezogen im Rahmen der AlmResidency erneut fünf internationale Künstler zwei Almhütten unterhalb des Rechelkopfes in Marienstein. Den Abschluss ihres zehntägigen Aufenthalts bildete eine Kunstwanderung, bei der die Künstler Besucher mit ihren ausdrucksstarken Performances zum Denken anregten.
Summend gehen drei Frauen zu einem kleinen Bach im Wald hinunter, der idyllisch vor sich hinplätschert. Dort holen sie mit bedächtigen Bewegungen Steine aus dem Bach, waschen und trocknen sie und bekleben sie mit einem Paketband auf dem „fragile“, „zerbrechlich“, steht.
Die drei Künstlerinnen Thandi Pinto, Fernanda Aloi und Ivukuvuku (von links) performen „Whispering Stones“. Foto: CS
Auf der Kunstwanderung am 4. Juli erlebten Teilnehmer diese Performance der drei Künstlerinnen Fernanda Aloi aus Brasilien, Ivukuvuku aus Südafrika und Thandi Pinto aus Mosambik. „Whispering Stones“, so ihr Titel, erinnert an die Fragilität der Natur und einen achtsameren Umgang mit ihr. „Wir waren das Land, bevor wir Menschen waren“, sagt Fernanda Aloi im Gespräch mit KulturVision. Die Performance thematisiere den Bruch zwischen Mensch und Erde sowie zwischen Achtsamkeit und Besitz.
Künstler aus aller Welt zu Gast bei der AlmResidency
Die drei Künstlerinnen gehören zusammen mit Sophie Bergemann aus Deutschland (sie war zum Zeitpunkt der Wanderung schon abgereist) und Joachin Perez aus Frankreich zu den Auserwählten, die sich dieses Jahr zehn Tage in der 100 Jahre alten „Ochsenhütte“ im Wald und im „Jagaheisl“ unterhalb des Rechelkopfes ganz ihrer Kunst widmen durften. Initiator dieses großartigen Projekts ist Forstwirt Leonhard Bendel, dem das Waldgebiet und die Hütten gehören. „Ich wollte Künstlern die Chance geben, sich mit dieser Umgebung auseinanderzusetzen“, erklärt er seine Motivation für dieses Projekt.
Thandi Pinto, Fernanda Aloi und Ivukuvuku (von links) auf der Ochsenhütte. Foto: CS
Bereits seit 2016 findet die AlmResidency statt, für die sich jedes Jahr mittlerweile Hunderte von Künstlern bewerben. „Wir legen besonderes Augenmerk auf den Open Call, der explizit Kunstschaffende jeden Alters, jeden Kulturhintergrundes und jeder sexuellen und religiösen Orientierung zur Bewerbung aufruft“, sagen die beiden Organisatorinnen, Künstlerinnen und selbst ehemaligen Alm-Residentinnen Magdalena Jooss und Janina Totzauer. So kamen bereits Teilnehmer aus aller Welt dort oben auf den Almhütten zusammen – von Tunesien über Peru bis Südkorea.
Thema der diesjährigen AlmResidency: „Parasit Mensch“
Erst nach dem Aufenthalt auf der Alm beginnt die eigentliche Produktionsphase für die Künstler. Dann entstehen größtenteils die Arbeiten, zu denen die AlmResidency sie inspiriert hat. Zu sehen sind die Werke im Frühjahr 2026 im Rahmen einer Ausstellung in München – Ort und Datum werden noch bekannt gegeben.
Das diesjährige Leitthema der AlmResidency: „Parasit. Mensch“. Dieser habe sich mittlerweile zum größten Parasiten der Erde entwickelt, der sich an anderen Spezies bereichert, heißt es in der Ausschreibung. Die Künstler seien dazu aufgerufen, sich bewusst damit auseinanderzusetzen, wann uns Menschen ein natürliches Regelwerk des Miteinanders abhandengekommen sei und wie wir dieses Bewusstsein wieder erlangen können.
Joaquin Perez spielt Handpan für die Kühe
Einen Hinweis dafür liefert die Performance von Joaquin Perez. Hoch oben auf der Alm sitzt er barfuß inmitten einer Herde Kühe und spielt auf seiner Handpan. Das Spannende daran: Die Tiere fühlen sich von den Klängen angezogen und versammeln sich um den Künstler. Ein magischer und denkwürdiger Augenblick.
Joaquin Perez spielte auf der Alm Handpan für die Kühe. Foto: CS
„Mich interessiert der Mensch nicht als einzelne zerstörerische Kraft, sondern als Körper, eingebettet in Ökosysteme, die er formt und von denen er geformt wird – manchmal gewaltsam, manchmal sanft“, sagt er. Für die Ausstellung im Frühjahr will er daher eine ortsspezifische textile Installation entwickeln, die Parasitismus nicht nur als Form der Ausbeutung sieht, sondern als Zustand einer fragilen gegenseitigen Abhängigkeit, so sein Plan.
Performance von Ivukuvuku und eine Installation von Thandi Pinto
Diese Abhängigkeit von Mensch und Natur bringt auch die Künstlerin Ivukuvuku zum Ausdruck. Sie sieht sie nicht nur als Lebensraum, sondern auch als einen spirituellen Ort. Mit Fell und Perlen bekleidet trägt sie Äste auf dem Kopf durch den Wald, an denen Glöckchen befestigt sind. Eine Performance, die durch die indigene Kultur in Südafrika geprägt und auf uralten mündlichen Überlieferungen und Erzählungen basiert: Es geht um Liebe, Heilung und Kräfte der Natur – wie den Mond etwa. „Ich erforsche transformative Momente durch rituelle Ausdrucksformen“, sagt Ivukuvuku.
Sieht die Natur als spirituellen Ort: Künstlerin Ivukuvuku. Foto: CS
Auch Thandi Pinto sieht den Wald als spirituellen Ort: Im „Jagaheisl“ hat sie einen kleinen Altar aufgebaut mit Kerzen, Blättern, Stroh und getrockneten Früchten aus ihrer Heimat Mosambik. Per Band wird eine von ihr vorgelesene Geschichte abgespielt, in der es um die Hüter des Waldes geht. „Der Wald hat eine Seele und er vergisst nicht“, heißt es darin. In einem von uns stecke ein Hüter des Waldes, geht die Geschichte weiter. Thandi Pinto lädt den Betrachter dazu ein, in einen Spiegel zu schauen. „Die Hüter des Waldes zeigten sich nur denen, die es wagen, sich selbst anzuschauen“, heißt es auf einem Zettel über der Installation.
Fernanda Alio mit Fahne und 108 Eiern aus Ton
Die letzte Performance auf der Kunstwanderung kommt von Fernanda Alio. Sie trägt einen schweren Ast den Berg hinauf, an dem eine zusammengeklebte Plastikfolie wie eine Fahne angebracht ist. „Fragile“ steht auf den Klebebändern. Immer wieder pausiert die Künstlerin und verharrt in einer Pose. Am Ende entledigt sie sich der Fahne und legt sich auf einem kleinen Plateau im Gras nieder. Um sie herum: 108 Eier, die aus Ton gefertigt sind. „Sie sind ein Symbol für Hoffnung, in unserer heutigen Welt, die aus den Fugen geraten ist“, sagt sie. Jede Grenze sei fragil.
Joaquin Perez, Thandi Pinto, Ivukuvuku und Fernanda Aloi genießen ihre gemeinsame Zeit auf der Alm (von links). Foto: CS
Über ihre Zeit auf der Alm gerät Fernanda Aloi ins Schwärmen: „Es ist eine wundervolle und inspirierende Erfahrung.“ Umgeben von Natur in einem langsamen Rhythmus zu leben, wecke die Intuition und andere Sinne, sagt sie. Wertvoll sei vor allem auch die Verbindung zu den anderen Künstlern: „Gedanken, Essen, Spaziergänge, Sonnenuntergänge, Kunst, Musik, Stille und Freundschaft miteinander zu teilen – das ist etwas ganz Besonderes.“
Zum weiterlesen: KunstWanderung zum Rechelkopf