Poetry Slam

Amüsant, selbstreflektierend, kritisch

Unterhielten das Publikum mit Poetry Slam von Rosenslam: (v. l.) Moderator Thomas Eiwen, NichtGanzDichter, Hannah Stockhammer, Blerim Berisha und Pascal Simon. Foto: Fischer

Poetry Slam im Waitzinger Keller Miesbach

Dichterwettstreit – das klingt antiquiert, direkt der Antike oder zumindest dem Mittelalter entsprungen. Falsch. Der Wettkampf wird als Poetry Slam weiter gelebt. Bei dem geht – wie schon im Altertum üblich – der Publikumsliebling als Sieger hervor. Den konnten um die 30 Besucher im Waitzinger Keller beim „Rosenslam“ küren. Vier Slammer warben um die Gunst der Zuhörerinnen und Zuhörer.

Poetry Slam
Thomas Eiwen fungierte als Moderator. Foto: Fischer

Vier Slammer aus ganz Deutschland würden sich am Rosenheimer Poetry Slam – ergo „Rosenslam“ – beteiligen, erklärte Moderator Thomas Eiwen. Dabei gebe es vier Regeln. „Drei von den Regeln sind für Euch aber komplett egal,“ meinte er mit Blick auf das Publikum. Die vorgetragenen Texte müssten selbst geschrieben sein. Es gelte ein Vortrags-Zeitlimit von maximal sieben Minuten und es dürften keine Hilfsmittel wie Requisiten verwendet werden. Schließlich Regel Nummer vier für die Zuhörerinnen und Zuhörer: Respect the Poet. Also Handy aus, Vorgetragenes genießen und bei Nichtgefallen des Vortrags dennoch klatschen, in diesem Fall aus Höflichkeit, was jedoch aufgrund der ansprechenden Slambeiträge an diesem Abend nicht nötig war. Bei Gefallen möglichst massiver Beifall, schließlich gilt: „Euer Werkzeug sind die Hände.“ Mit diesen wurde in drei Runden der Publikumsliebling bestimmt.

Neben gut gelaunter Einstimmung und Moderation zu den Wettstreitern kündigte Eiwen einen Slammer vorab außer Konkurrenz an – „nämlich mich“. Er stellte sich, nach ostentativ konstatiertem eigenem IQ von 130 als „Exoticus Bavaricorum“ vor. Ein Spiel mit dem lateinischen Genitivus subjectivus und objectivus – als Exot unter den Bayern in seinem Heimatdorf, in das er nicht so recht passe und ebenso als Exot in der Stadt, wo er als Bayer vom Dorf ebenso nicht daheim sei. Ein Thema der Fremdheit, das sich in Variationen während des Abends wiederfinden würde.

Poetry Slam
NichtGanzDichter – mit temperamentvoller Performance einer der Publikumslieblinge. Foto: Fischer

Wortstark, quirlig, amüsant-kritisch auf temperamentvolle Weise präsentierte sich NichtGanzDichter aus Ludwigshafen. „Dir geht´s doch nicht ganz gut. Du bist doch nicht ganz dicht,“ widmete er seinen ersten Beitrag „allen, die nicht ganz normal sind“. Locker sollten sie bleiben, denn schließlich seien sie die Mehrheit und nicht die so genannten Normalen. Thema und Vortrag trafen. „Superknapp“ setzte sich NichtGanzDichter beim ersten Publikumsvoting gegen Slammer Pascal Simon durch.


Sehr persönliche Einblicke gewährte Hannah Stockhammer. Foto: Fischer

Hannah Stockhammer, die aus Wasserburg am Inn in den Waitzinger Keller gekommen war, gewährte sehr persönliche Einblicke in ihr Leben, ihre Hilflosigkeit, ihre Ratlosikeit, ihr Schweigen in der eigenen familiären Situation als Kind und den Weg zur Selbstliebe: „darf mich heilen, darf selber agieren, spiele meine eigenen Karten.“ In der tragischen Geschichte „Nur ein Moment“ ging es um Kritik am überlasteten Gesundheitswesen, die Auswirkung eines Arztfehlers auf das Leben eines jungen Mädchens und politische Entscheidungen, bei denen es um Geld, nicht um Menschenleben gehe.


Die Integration von Widersprüchen betrachtete Blerim Berisha. Foto: Fischer

„Ja, es ist kein deutscher Name, das haben Sie richtig erkannt,“ empfindet der Osnabrücker Blerim Berisha seinen Namen als „Last auf meinen Schultern“. In Deutschland sei er „der Albaner“, in Albanien jedoch „der Deutsche“. Doch vielleicht sei auch diese Zerrissenheit gut so. „So sehe ich nicht nur Schwarz und Weiß.“ Die differenzierte Sichtweise thematisierte Berisha auch im zweiten Beitrag, in dem es um seine widerstreitenden inneren Kräfte ging, Selbstzweifel inklusive, ebenso die Erkenntnis, dass „jede Eigenschaft und jeder Konflikt zwei Seiten derselben Medaille sind, nämlich ich.“


Vielseitigkeit von Reportage-Stakkato bis zu den leisen Tönen bewies Pascal Simon. Foto: Fischer

Eine Sportreportage der ganz anderen Art bot Pascal Simon aus Regensburg. Einen atemraubenden Bericht aus der Mensa seiner Uni, die die neuen Erstsemester als Fachschaftsmannschaften einnehmen wollen. Skurrile Kampfszenen, ein veritables Pandemonium entfaltete sich zum Amüsement der Zuhörenden. Von der Uni ging es zu „Nebelkerzen“. Habe es viele Diskussionen gegeben, ob Veganes als Schnitzel oder Burger bezeichnet werden darf, so sei das Gesetz zur Beschleunigung der Erlangung der Staatsbürgerschaft mit Stimmen der AfD relativ unbeachtet wieder abgeschafft worden, kritisierte Simon. Drum: keine Energie mit Nebensächlichem verschwenden und sich lieber auf Wichtigeres konzentrieren. Damit schaffte es der Slamer ins Finale.

In dem berichtete NichtGanzDichter wieder sehr furios von „einer ganz speziellen Beziehung, die ich pflege“. „Mein Smartphone und ich lieben uns abgöttisch,“ eröffnete er einen Reigen der Abhängigkeit. Es lasse Menschen gegen Straßenpfosten rennen, vibriere sogar im Kreissaal und vieles mehr. Dennoch oder wohl eben deswegen sollte man sich eine handyfreie Zeit gönnen, so sein Rat.

Einen „eher besinnlichen Abschluss“ bot Pascal Simon, einen differenzierten Blick auf die Generationen, auf beliebte Vorwürfe der Älteren, aber auch auf nett gemeinte Angebote. Auf Herausforderungen und Möglichkeiten, die zwangsweise immer generations- und zeitspezifisch sind. Der Blick auf Alt und Jung – dargeboten auch im Zwiegespräch mit seiner Oma – geriet nicht anklagend, sondern liebenswert-dankbar.

Beide Final-Vorträge des Poetry Slam wurden sehr positiv aufgenommen. Schließlich empfand das Publikum per Applausvoting: keiner der beiden Slammer ist besser als der andere. NichtGanzDichter und Pascal Simon sind beide die Gewinner des „Rosenslam“ im Waitzinger Keller.

1. Sieg NichtGanzDichter, superknapp vor Pascal Simon
2. Sieg Pascal Simon gegen verbleibende zwei
Ergebnis: beide Sieger

Zum Weiterlesen: Mozart und Punkpoesie. geht das?

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