Waldviertler Hoftheater Open Air Stefan Rager, Ildiko Babos, und Theatermacher Moritz Hierlander in "Killer Joe"

Nah am Abgrund – wie weit würdest du gehen?

„Killer Joe“ im Waldviertler Hoftheater: Stefan Rager, Ildiko Babos, und Moritz Hierlander (v.l.). Foto: IW

Theater im Waldviertel

Mit „Killer Joe“ steht im Waldviertler Hoftheater Open Air eine Gangster-Trash-Komödie auf dem Programm. Sie strapaziert die Lachmuskeln der Fans von deftigem, schwarzem Humor gehörig, lässt sie aber auch still und nachdenklich werden.

Was auf der Freilichtbühne des Wald4tler OFFtheaters auf die Beine gestellt wird, kann auch für unsere Theaterkultur in Bayern im ländlichen Raum als Vorbild stehen: erstklassiges junges Theaterspiel fernab der Metropolen, mitten auf dem Land.

Theatertradition mutig fortgesetzt

Prüde dürfen die Zuschauer nicht gerade sein und auch ein gediegenes Publikum würde sich eher düpiert fühlen. Unter 16-Jährige dürfen gar nicht erst in die Vorstellung. Auf der Bühne – und speziell auf dem Land und nicht in der Großstadt – ist es eher schon ungewöhnlich, sich an ein solches Stück zu wagen. Und genau das macht den Mut und auch den Erfolg von Moritz Hierländer aus. Er hat das Wald4tler Hoftheater vor etwa drei Jahren nach dem plötzlichen Tod seines Vaters übernommen. Seitdem führt er mit Liebe zum Theater und Neugier auf Neues die lange und angesehene Theatertradition weiter, die Leute selbst aus Wien ins abgelegene Waldviertel in Niederösterreich lockt.

Traditionsbühne: Waldviertler Hoftheater
Traditionsbühne: Waldviertler Hoftheater“. Foto: IW

Dieses Jahr finden zum ersten Mal Vorstellungen des OFFtheaters Open Air hinter dem Theater statt. Was würde sich sonst auch besser für das Setting eines abgehalfterten Wohnmobilparks eignen, in dem kaputte Autos herumstehen, Würstchen zu Kohle gegrillt werden und der Rex des Nachbarn andauernd kläfft?

Open Air und satte Sounds

„Killer Joe“ ist das erfolgreiche Erstlingswerk von Tracy Letts, das bald auch erfolgreich verfilmt wurde und sich in die Reihe der kultigen blutig-trashigen Gangster-Komödien einreiht. Natürlich fehlt auch am Waldviertler Hoftheater die passende Livemusik in dieser Eigenproduktion nicht. Rockmusiker Peter Cerny taucht immer wieder mit Gitarre und rauher Stimme aus dem Off in die Szene.

Killer Joe: Caroline Oismüler und
Lilly (Caroline Oismüler) kokettiert mit Killer Joe Christoph Hackenberg. Foto: IW

Im verwahrlosten Wohnwagen eine Versammlung illustrer Gestalten, verkrachter Existenzen am Rande der Gesellschaft: Der kleine, nervöse Dealer Chris, großartig gespielt von Theaterdirektor Moritz Hierlander selbst, hat massive Geldschulden bei einem Gangster. Er verfällt auf eine tödliche Idee: einen Killer auf seine alkoholabhängige Mutter anzusetzen und deren Lebensversicherung einzustreichen. Bei diesem Plan müssen auch sein Looser-Vater (Stefan Rager) und dessen zweite Ehefrau Gabi (Ildiko Babos) mitspielen. Chris‘ kleine Schwester Lily (Caroline Oismüller) herauszuhalten gelingt nicht, denn der eiskalte Killer Joe (Christoph Hackenberg) erbittet sie als Pfand, weil die Möchtegern-Ganoven die Bezahlung nicht vorstrecken können. Es entspinnen sich die erstaunlichsten Allianzen in diesem riskanten Spiel, in dem jeder der Schauspieler bravourös seine Rolle entfaltet, ohne Scheu vor seelischer und körperlicher Nacktheit.

Die Grenzen ausloten

Zwischen Fast-Food und laufendem Fernseher, derben Worten und nicht jugendfreien Flüchen, Sex und Pornografie entspinnt sich eine Geschichte, welche die Protagonisten immer tiefer in die Katastrophe reitet. „Wie weit würden wir gehen, um aus unserem Elend in eine vermeintliche Glamourwelt zu entfliehen?“ ist die Kernfrage des Stückes. Und wie weit lassen sich diese Grenzen auf der Bühne ausloten?

Showdown bei Killer Joe
Showdown auf dem Wohnwagenplatz. Foto: IW

Das Openair-Setting mit dem schaurig heruntergekommenen Wohnwagenpark unter rauschenden Bäumen versetzt die Zuschauer in eine filmähnliche Landschaft. Die beklemmenden Szenen vorm Wohnmobil ziehen die Zuschauer immer tiefer in einen Reigen aus Gewalt, Rohheit, Demütigung und Hoffnungslosigkeit. Zugleich gelingt die Gratwanderung zur Persiflage, zum blutigen Slapstick, zur aberwitzigen Komödie. Wenn das überraschende Ende nicht so erlösend wäre – vielleicht wäre den Zuschauern beklommen zumute. So gluckst das Lachen ganz befreit aus der Kehle, während der Applaus anschwillt.

Spiegelbild zerrissener Gesellschaft

Unter Regie von Nénad Smigoč zeigt das Wald4tler OFFtheater hier ein modernes Drama und zugleich tiefschwarze Komödie und konzentriert sich dabei auf der Zerrissenheit und Verzweiflung der Charaktere, ohne die trostlos-schrille Umgebung als Spaßfaktor außer Acht zu lassen. Ein Spiegelbild unserer zerrissenen Gesellschaft, das zwischen Verzweiflung und konsumgetriebener Wunschvorstellungen blind hin- und herstolpert.

Wie weit würdest du gehen, um deine Haut zu retten und um ein besseres Leben zu führen? Oder um ein renommiertes Hoftheater in einem abgelegenen Winkel des niederösterreichischen Waldviertels fortzuführen? Moritz Hierlander wagt Großes und wendet sich dabei auch an seine Generation. So bleibt die Tradition jung.

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