
Bildet Banden! Auch literarisch.
„Einmarsch der Autorinnen“ von SCHREIBSAND. Foto: Nani Mahlo
Lesung bei den Valleyer Kulturtagen
Im Rahmen des vielfältigen Programms der Valleyer Kulturtage boten im „Treppenkino“ im Sudhaus der Gräflichen Brauerei die drei Autorinnen Claudia Kreutzer, Karin Sommer und Ines Wagner sowie Video-Künstlerin Nani Mahlo von der Autorengruppe SCHREIBSAND eine multimediale Lesung, die das Titelthema der Veranstaltung aus unterschiedlichen Perspektiven und Motiven beleuchtete.
Die Autorinnengruppe SCHREIBSAND ist aus der Schreibwerkstatt von KulturVision hervorgegangen und setzte bereits einige literarische Ausrufezeichen. „Bildet Banden! Nichts ist so verdächtig wie Solidarität.“ lautete das Motto der spannenden Lesung im dafür wie geschaffenen Treppenkino im Valleyer Schlossbräu und ist ein weiteres dieser Ausrufezeichen. Die Plätze auf dem Weg in die Katakomben des Sudhauses waren so schnell so dicht besetzt, dass die vier Protagonistinnen eine zweite Runde drehen mussten.
„Never again!“ Was Märchen mit Trump verbindet – Claudia Kreutzer
Claudia Kreutzer verbindet die Welt der Märchen der Gebrüder Grimm mit den Auswüchsen unserer modernen Zeit Sie selbst fasst ihren Text „Es war einmal …“ wie folgt zusammen:
„In einer satirischen Neuinterpretation der Grimmschen Märchen treffen bekannte Figuren wie Rotkäppchen, die Bremer Stadtmusikanten und die sieben Geißlein auf eine Welt, in der selbst die Märchen von der Beschleunigung und Sinnentleerung der modernen Zeit betroffen sind. Die Bremer Stadtmusikanten, einst Symbol für Hoffnung und Zusammenhalt, sind verzweifelt über das, was sie im Fernsehen sehen – Gewalt, Krieg und politische Absurditäten. Der klügste der sieben Zwerge erkennt darin das Ende der klassischen Heldenreise und den Verlust humanistischer Werte in der Menschenwelt. Hoffnung keimt jedoch auf, als das tapfere Schneiderlein gemeinsam mit Jugendlichen den Widerstand symbolisch wiedererweckt – mit dem Ruf „Never again“.
Claudia Kreutzer: „Never again!“ Foto: Nani Mahlo
Und nach ihrem speziellen Anliegen gefragt: „Der Text will auf ironische Weise zeigen, wie die Märchenwelt als Spiegel unserer Gesellschaft den Glauben an Wandel und Menschlichkeit zu verlieren droht. Er kritisiert politische und gesellschaftliche Entwicklungen, die Ideale wie Mut, Solidarität und Gerechtigkeit entwerten. Zugleich erinnert er daran, dass Hoffnung und Veränderung durch Engagement und Beteiligung (Aufwachen) – besonders der jungen Generation – möglich sind. Auch ein Aufruf, sich wieder mehr Zeit zu nehmen füreinander – zum Geschichtenerzählen – in den Kinderzimmern aber auch anderswo wie in Valley bei den Kulturtagen.“
Übergestülpte Solidarität in der DDR – Ines Wagner
Ines Wagner behandelte das Thema Solidarität aus ihrer speziellen Sicht auf die damalige DDR, in der sie selbst aufgewachsen ist. Sie las drei Texte, die mehr als nur ahnen ließen, wie es dort damals zuging, ließ mit wenigen Worten tief blicken und machte es auch möglich, dass das aufmerksame Publikum auch in die typische Stimmung voller Misstrauen und unbedingt gebotener Vorsicht eintauchen konnte.
Ines Wagner vor Tausenden von Ameisen. Foto: Nani Mahlo
Sie rezitierte die Kurzgeschichten „Timo und sein Trupp“, „Sonnenblumen für Nelson Mandela“ und „Eine Hand wäscht die andere“. Letztere brachte eindrucksvoll zum Ausdruck, dass in der DDR zwar Solidarität in der Gesellschaft herrschte, aber beim genaueren Hinschauen oder durch Berichte von Insidern klar wird, dass diese nur übergestülpt oder von oben angeordnet war. Die Anwesenheit von „Herrn Schadowske“, der bei Kleingartenversammlung leutselig und von Berufs wegen neugierig ist, weil er – man weiß es nicht so ganz genau – wahrscheinlich bei der Stasi ist, führt dazu, dass Mutti den Vati heimlich unter dem Tisch tritt. Vorsicht ist angesagt, nicht zu viel trinken und ja nichts Falsches sagen!
Zuhören, bis es wehtut – Karin Sommer
Karin Sommer las ihren Haupttext „Zuhören bis es wehtut – die Bücherbande“, in dem es ums Zuhören und Ausredenlassen geht, Eigenschaften, die heutzutage immer mehr an Bedeutung verlieren – elegant verpackt und griffig formuliert.
Ihr zweiter Text „Angst – Banden bilden 1“ ist so kurz, dass er hier ungekürzt wiedergegeben werden kann:
„Angst ist einsam. Sie sucht Verbündete, lernt Unsicherheit, Ängstlichkeit und Zweifel kennen. Sie trifft auf Misstrauen und Hass, lädt sie alle zu sich ein. Sie bestärken einander, erinnern sich gegenseitig an ihr Recht, hier zu sein. Gemeinsam gehen sie in die Welt, bilden Banden, die umherziehen und daran glauben, dass es besser geht.
Karin Sommer vor Computerspiel. Foto: Nani Mahlo
Unsicherheit bestärkt Ängstlichkeit. Gut, dass es dich gibt, gut, dass du da bist. Bleib. Zweifel überlegt, die Gruppe zu verlassen. Nein, sagt Hass. Du gehörst dazu. Du bist wichtig, wir brauchen dich. Zweifel bleibt. Misstrauen sieht Unheil kommen, längst bevor es der Gruppe schaden kann. Unsicherheit traut sich, mehr Raum einzunehmen. Angst wächst zu stattlicher Größe. Hass wird zum Anführer, alle sind sich einig. Er hat das Zeug dazu, zeigt Entschiedenheit, wenn es darauf ankommt. Mit Zweifel, der sich verstreut, ohne dass es auffällt, und Ängstlichkeit, die ständig Unterstützung heranholt, sind sie stark wie nie zuvor. Sie formen sich, Rücken an Rücken, gehen nach draußen. Sie retten die Welt, gemeinsam, sie wissen, wie’s geht, sie sind viele. Sind Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.“
Installation, Video und Bild – Nani Mahlo
Nani Mahlo schließlich steuerte zu dem spannenden und vielfältigen Schreibprojekt, das Ohren und Hirn anspricht, das Visuelle bei, das für die Augen und auch das Hirn bestimmt ist. Sie, die gelernte Fotografin und Filmemacherin, steuerte Fotos, Videos und sonstige kunstvolle bewegte Bilder bei, die aus einer „bloßen“ Lesung ein alle Sinne ansprechendes audiovisuelles Gesamterlebnis werden ließen. Seine angenehme Länge und die entspannte, aber konzentrierte Stimmung im Treppenkino taten ihr Übriges.
Bildkünstlerin Nani Mahlo (links) und Publikum. Foto: RS
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